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Walter Satterthwait - Ein Nachruf

 

Wand aus Glas Im März des vergangenen Jahres berichtete ein Kollege, dass der amerikanische Kriminalschriftsteller Walter Satterthwait an schweren gesundheitlichen Problemen leide und über eine Fundraise-Plattform im Internet Geld sammle, um ein - wohl letztes - Buchprojekt zu finanzieren. Ein knappes Jahr später nun erreichte uns die traurige Nachricht, dass Walter Satterthwait gestorben ist.

Walter Satterthwait war - als Mensch wie als Schriftsteller - ein Wanderer zwischen den Welten, der vielleicht nirgends richtig heimisch wurde. Geboren am 23. März 1946 in Philadelphia, lebte er u.a. in New York, Oregon, New Mexiko und in Florida. Ohne College-Abschluss, hielt er sich mit Jobs als Barkeeper oder Restaurant-Manager über Wasser. Mehrere Jahre seines Lebens verbrachte er außerhalb der Vereinigten Staaten - in Ländern, in denen er als Schriftsteller auch mit geringen finanziellen Mitteln leben konnte: in Kenia, in Thailand oder auch in Griechenland, wohin er immer wieder zurückkehrte.

Mit fünfzehn Romanen und einigen Kurzgeschichten hinterlässt Walter Satterthwait kein Werk, dessen Umfang man als gigantisch bezeichnen würde - er war keiner, der Massenware produzierte. Dennoch ist es nicht einfach, sein Schaffen einzusortieren, denn Satterthwait war ein Autor, der klassische Formen der Kriminalliteratur übernommen und sie spielerisch von innen nach außen drehte.

Nach zwei frühen action-geladenen Abenteuerromanen Anfang der 1980er Jahre (die nicht ins Deutsche übertragen wurden), eroberte er sich gegen Ende der Dekade eine treue Leserschaft mit einer fünfbändigen Privatdetektiv-Saga, die in Santa Fé, New Mexiko angesiedelt ist. Die Reihe um Joshua Croft bedient die Form des klassischen Privatdetektiv-Romans, hat aber einige Zutaten, die die Bücher zum Funkeln bringen: Das Multikulturelle des Schauplatzes etwa, die brodelnde Sprach- und Kulturmischung aus indigener Bevölkerung, den Latinos und den Anglo-Amerikanern. Und, natürlich - die Beziehung zwischen Joshua Croft und seiner Chefin Rita Mondragon, zu der Croft in stiller Liebe entflammt ist. Seit einer Schießerei ist Rita an einen Rollstuhl gefesselt. Die Umstände des tragischen Ereignisses bleiben unklar; erst der letzte Band der Croft-Romane wird etwas Licht bringen in die dunkle Vorgeschichte.

Miss Lizzie Satterthwaits Schreibe zeichnet sich aus durch einen genauen Blick auf Schauplätze und Figuren, die er mit warmherziger Lässigkeit, mit Melancholie und Humor beschreibt - eine Mischung, die auch für seine anderen Romane prägend ist: "Miss Lizzie" etwa, Satterthwaits grandioser, vielschichtiger Roman über die Freundschaft eines dreizehnjährigen Mädchens zur vermeintlichen Hackebeil-Mörderin Lizzie Borden (genau, die mit dem Knittelvers!). Oder "Oscar Wilde im Wilden Westen", eine Mischung aus Kriminal-, Western- und Serienkiller-Roman mit wunderbar verschrobenem Personal und prunkvoll-barock anmutender Lust am Fabulieren:

"Stattlich und feist drückte Oscar Fingal O'Flahertie Wills Wilde mit leichtem Druck der blassen Spitzen seiner breiten Finger die hölzernen Flügeltüren auseinander und rauschte mit königlichem Augenaufschlag ins grelle Licht der Gaslampen. Blaue Rauchschwaden stiegen aus Zigaretten, Pfeifen und Zigarren langsam und sich kräuselnd zur Decke. Die Menschenmenge lärmte. Ein blechernes Klavier hämmerte. Irgendwo rechts auf der Bühne kreischte eine Frau - vielleicht vor Lachen. An der langen, geschwungenen Bar aus dunklem Kirschholz, und noch einmal im silberglänzenden, geschwungenen Spiegel dahinter, drehte sich eine Reihe Stetsons in seine Richtung. Unter den Krempen weiteten sich die Augen vor Überraschung oder zogen sich verunsichert zusammen. Nachdem Oscar bedächtig die Zigarette aus seinem Mund genommen und eine nach Nelken duftende Rauchwolke in die Luft geblasen hatte, hielt er einen Moment inne, um die Reaktion der Menge abzuwarten und sich fiir eine eigene Vorgehensweise zu entscheiden. Erfreut. Ja, er war erfreut. Der große Saloon war randvoll, ein achtbares Ergebnis. Jeder Tisch war umgeben von einer Traube Cowboys, Bergarbeiter, Ladenbesitzer und schwindelerregend bunt gekleideter Frauen. Die Männer hatten ihre Hüte auf und trugen (wie anscheinend auch einige Frauen) den gleichen, walroßartigen Schnäuzer. Und jetzt gafften Männer wie Frauen Oscar an."

Eskapaden Überhaupt: Historische Stoffe wusste Walter Satterthwait genauso routiniert zu gestalten wie zeitgenössisches Material. Vor allem in Frankreich und Deutschland hatte er Erfolg mit einer Trilogie um den Pinkerton-Detektive Phil Beaumont und Jane Turner, die Anfang der 1920er Jahre an unterschiedlichen Schauplätzen in Europa in Kriminalfälle verwickelt werden. In diesen Romanen - in denen von Houdini, Sir Arthur Conan Doyle, James Joyce, Ernest Hemingway, über Picasso und Gertrude Stein bis hin zu einigen Nazi-Schergen diverse reale Figuren der Zeit auftreten -, bedient sich Satterthwait eines feinen Kniffs: Das Geschehen wird erzählt aus der Perspektive des (amerikanischen) Pinkerton-Mannes Beaumont, aber zusätzlich gespiegelt in Briefen, die die (englische) Pinkerton-Dame Jane Turner an eine Freundin schreibt. Mit spielender Leichtigkeit beherrschte Satterthwait sowohl die männliche als auch die weibliche Perspektive, er konnte hardboilded fiction aber auch die cozy-Tradition bedienen und mit beiden Formen nach Belieben jonglieren.

Autoren, die quer zu allen Formen und Trends schreiben, sind am Markt schwer zu platzieren (mit dem Standalone "Scherenschnitte" hat Satterthwait nur einen Roman geschrieben, bei dem er vielleicht ein bisschen aufs Publikum geschielt hat). Werbe-Etats bleiben den Bestseller-Kandidaten vorbehalten - also den Autoren, die schon durch ihren Namen auf dem Cover in den oberen Verkaufscharts landen. So wurde es auch für Satterthwait immer schwieriger, Abnehmer für seine Texte zu finden respektive - wie im letzten Frühjahr, als er die Fundraise-Kampagne startete - Verlage, die in sein Buchprojekt investieren und mit einem Vorschuss die Entstehung des Textes erst ermöglichen. Seit deutlich mehr als zehn Jahren sind seine Bücher nur noch als eBooks erhältlich. Umso bedeutsamer war es für ihn, als im Herbst 2019 das "Down and Out" Magazin seine Story "The Death of Mr. Jayacody" druckte, und er - bereits von der Krankheit gezeichnet – endlich wieder einen eigenen gedruckten Text in der Hand halten konnte.

Maskeraden Ich bin Walter einmal persönlich begegnet, als er seinen zweiten Beaumont-Turner-Roman "Maskeraden" in Deutschland promotete und für den dritten Teil recherchierte, der unter anderem in Berlin spielen sollte: ein hochgewachsener Mann, mit klarem, stetem Blick und einem messerscharfen, detailversessen Verstand. Ich werde ich nicht vergessen, wie er uns in kleiner Runde mit Fragen zur historischen Berliner Hinterhof-Architektur demütigte: Schon an seinen detaillierten Fragen war klar zu erkennen, dass er über die Baugeschichte der Stadt mehr wusste als wir, ihre Bewohner.

Das Spinnen krimineller Intrigen beherrschte Walter Satterthwait mit großer Kunstfertigkeit - als Meister ihrer Auflösung wird er indes wohl nicht eingehen in die Geschichte der Kriminallitetatur: Nicht immer gelang es ihm, alle geschnürten Knoten zur vollen Zufriedenheit des Lesers aufzulösen. Aber wegen seiner eleganten Lässigkeit, seinem feinen Gespür für verschrobene Figuren und den brillanten-scharfzüngigen Dialogen habe ich seine Romane in meinem Bücherregal neben Elmore Leonard platziert. Satterthwait war eher ein writer's writer, wie sich auch an der Liste seine Fundraise-Unterstützer ablesen lässt, auf der sich einige namhafte Persönlichkeiten der Krimiszene befinden.

Walter Satterthwait, der sich seit gut drei Jahrzehnten dem buddhistischen Glauben verbunden fühlte, ist am Morgen des 26. Februars 2020 an COPD und Herzinsuffizienz gestorben.

 

© j.c.schmidt, 2020

 

Walter Satterthwait: Die Bibliographie

 

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