kaliber .38 - krimis im internet

 

Von Dumpfbacken und Sumpfhühnern

 

Grappa und das grosse Rennen Trister Kommunalwahlkampf in Bierstadt: Die biedere, steinkalte CDU-Kandidatin Gerlinde "Gerry" Smart, die als Software-Entwicklerin mit ihrem Sumpfhuhn-Ballerspiel Millionen verdiente, fordert den nicht minder drögen Willi Junghans raus, Spitzenkandidat der seit mehr als 50 Jahren regierenden SPD. Der Sozi befindet sich in einem Stimmungstief, nachdem er bei einer Verkehrskontrolle mit bloßem Schniedel und einer Dame vom Straßenstrich erwischt wurde.

SPD-Willi klammert sich an seinen Sessel, an Rücktritt nach der Blowjob-Affäre verschwendet er keinen Gedanken. Plötzlich jedoch werden die gebeutelten Genossen von ihrem Skandal-Kandidaten erlöst, denn Junghans segnet das Zeitliche. Zugegeben - nicht ganz freiwillig: Der Unglückliche wurde an ein Großplakat der CDU-Spitzenkandidatin gekreuzigt. Sein Haupt ziert eine in Sado-Maso-Kreisen übliche Ledermaske.

Schwere Zeiten für die SPD. Die kandidatenlose Provinz-Partei mobilisiert die inkontinente Basis zu einem Parteitag:

»Der SPD-Parteitag fand in dem großen Saal einer Pleite gegangenen Komsumgenossenschaft statt. Irgendwie passte das zusammen. Eine durch unfähige Politiker heruntergewirtschaftete Merhheitspartei und eine von unfähigen Vorständen zugrunde gerichtete Lebensmittelkette. (...)
Manthey hatte sich hinter das Rednerpult gestellt und begann. Fünf Minuten später kam bei den Delegierten eine der ältesten sozialdemokratischen Tugenden zur vollen Entfaltung: Schlafenkönnen mit offenen Augen.«

Ein neuer Kandidat wird gekürt, altes Liedgut wird gepflegt. Doch kurz nach dem stimmungsvollen Ausklang droht der Partei neues Ungemach: Der Vorsitzende Manthey liegt tot in den Rathaus-Rabatten. Auch Mantheys Glatze steckt in einer Ledermaske, wie schon bei Junghans findet man bei der Leiche ein Schreiben mit einem wabernden Zitat aus den Werken des Marquis de Sade. Unterschrieben ist der Zettel von den »Erneuerern in der SPD«.

Killer im kommunalen Wahlkampf? Ungestüme Jusos? Ruchlose Machenschaften im Konrad-Adenauer-Haus?

Der unkonventionelle Abgang der Politiker bringt die Medien auf Trapp - besonders Maria Grappa, quietschfidele Journalistin vom Bierstädter Tageblatt. Sie will den Mörder finden, ihm für die Belebung des politischen Diskurses danken und über die Grenze in ein Land schmuggeln, das nicht in die Bundesrepublik ausliefert. Grappas Ermittlungen führen sie zu Chez Justine, den Privatclub für Kenner, einen serbischen Arzt, der sich mit allen Formen sexueller Gewalt beschäftigt, und den bosnischen Muslimen Nazmi Radic, dessen Frau Marja seit 1992 verschollen ist.

Grappa und das grosse Rennen ist ein ordentlich geschriebener Provinzkrimi, der sich besonders mit flotten Dialogen hervortut. Das Buch ist gut, wo es sich aufs Lokale bezieht: Was Gabriella Wollenhaupt über die kommunale Politszene zu berichten weiß, ist nicht neu, aber rund erzählt. Der Bosnien-Twist dagegen hängt bleiern an der Geschichte wie die Goldkante an der Ado Gadine. Und wenn Maria Grappa sadomasochistische Praktiken schlicht als krankhaft stigmatisiert, erscheint sie tumb wie eine Tusse auf Speed.

 

© j.c.schmidt, 2000

 

Gabriella Wollenhaupt: Grappa und das grosse Rennen. Kriminalroman. Originalausgabe. Dortmund: Grafit, 2000, 192 S., 14.80 DM

 

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