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Krimi-Auslese 02/2003

 

Augen auf beim Bücherkauf! Unter dem Titel »Das fünfte Paar« beliefert der Verlag Hoffmann und Campe seit Mitte März Buchhandlungen und Warenhäuser mit einem Cornwell-Roman - gebunden, zum günstigen Preis von nur 14.00 Euro. Das riecht nach Schnäppchen, und zahlreiche Cornwell-Fans werden bei unbekanntem Titel und Knüller-Preis kaum den Umschlagtext gelesen haben: Da ist am Ende zu erfahren, dass alter Cornwell-Stoff nur eine neue Verpackung bekommen hat. Der Roman hieß bis vor kurzem »Herzbube« und war seit diversen Jahren als Taschenbuch lieferbar - für etwa die Hälfte des aktuellen "Schnäppchenpreises". Viele werden's erst zu Hause gemerkt haben. Ein Schelm, wer dem Verlag Absicht unterstellt.

Für eine weitere Überraschung sorgt der Argument-Verlag: Val McDermids leicht angestaubte Romane »Der Fall« und »Das Nest«, im Original 1989 bzw. 1991 erschienen, sollen im Oktober in neuer Auflage rauskommen. Das ist an sich nicht bemerkenswert. Bemerkenswert allerdings: Die beiden Texte mit recht schmalem Umfang kosten bisher 6.90 Euro - laut Verlagsankündigung soll der Preis im Herbst satte 10.50 Euro betragen! Der Gang in die nächste Stadtbibliothek dürfte verträglicher sein.

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Bufo & Spallanzani Viel Holz sind auch die 10.90 Euro, die der Schweizer Unionsverlag für »Bufo & Spallanzani« von Rubem Fonseca verlangt: Das Material ist fast zwanzig Jahre alt und wurde schon in anderen deutschen Verlagen durchgenudelt. Das Taschenbuch hat keine 260 Seiten, ist dafür aber reich an Druckfehlern. Kaum anzunehmen, dass das gerade mal zweiseitige Nachwort von Patrícia Melo die Preisexplosion rechtfertigt. Dafür kann aber niemand Rubem Fonseca haftbar machen, der mit »Bufo & Spallanzani« einen grandiosen, zeitlosen Roman geschrieben hat. Einen Roman? Nun, eigentlich sind's gleich mehrere, die Fonseca in einem schmalen Band unterbringt - ein bisschen Kafka, eine Prise Thomas Mann, ein Schuss Agatha Christie (mit unübersehbarem Augenzwinkern, selbstverständlich). Herrliches Lesevergnügen um einen alternden Schriftsteller, eine tote Geliebte und einen "speckigen" Polizisten, ein verwirrendes Spiel um Identitäten und eine meisterlich eindeutig uneindeutige Erzählperspektive. Herrje, wie verwirrend schön und wie schön verwirrend Literatur doch sein kann!

Rubem Fonseca: Bufo & Spallanzani. (Bufo & Spallanzani, 1985). Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Karin von Schweder-Schreiner. Mit einem Nachwort von Patrícia Melo. Zürich: Unionsverlag, 2003 (1. Aufl. - München: Piper, 1987), UT metro Nr. 259, 251 S., 10.90 Euro (D)

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Apollofrau Nur 7.90 Euro kostet »Die Apollofrau« von Hagen van Beeck und G.-Roger Forster. Damit allerdings ist schon das Beste vorweggenommen, denn die Story ist zum Haareraufen unplausibel. Dabei ist das Krimi-Debüt der beiden Autoren stilistisch nicht ungeschliffen: Das Buch ist sprach-witzig, und manche Passagen sind bilderreich gelungen. Auch die Hauptfigur Carsten Preszburger - arbeitsloser, (zumeist) schwuler Elektriker aus Lehrte bei Hannover, der sich mit Kunstdiebstahl über Wasser hält - ist gewiss nicht uninteressant. Erfreulich unklemmig würzen die Autoren ihren Roman mit schwulem Sex, so dass das Buch nicht zu einem pädagogisch inspirierten Verständigungstext fürs Coming-Out gerät. Allein - die Geschichte um ein Massaker, über das Carsten Preszburger bei einem seiner Raubzüge stolpert, und das ihn zu einem Sportstudio führt, in dem eine knabenhafte "Apollofrau" Alltagsfrust mit militaristischem Drilling kuriert, ist gespenstisch unsinnig und steht auf derart schiefen Säulen, dass der Roman jederzeit zusammenzubrechen droht.

Dem Vernehmen nach arbeiten Beeck und Forster bereits an einem weiteren Roman um Carsten Preszburger. Nur Mut - Talent ist reichlich vorhanden. Wird das Manuskript schon im Entstehen mit Argusaugen überwacht, haben die beiden Jungautoren durchaus das Zeug für einen spannenden Kriminalroman.

Hagen van Beeck und G.-Roger Forster: Apollofrau. Roman. Originalausgabe. Leipzig: Militzke, 2003 (Reihe M.), Paperback, 220 S., 7.90 Euro (D)

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Der Schatten des Jägers Meinte es die Bush-Administration wirklich ernst mit dem "Krieg gegen den Terror", wäre die heißeste Schlacht kaum zwischen Euphrat und Tigris noch sonstwo in der nah- und fernöstlichen Welt zu schlagen, sondern in den schwer zugänglichen Wäldern Montanas, den Sümpfen von Texas oder den Apalachenausläufern in West-Virginia. Eine beunruhigende Allianz von christlichen und sonstwie religiösen Wirrköppen, von Rassisten und Frauenhassern, von fanatisierten Abtreibungs- und Steuerngegnern sorgt für bombige Stimmung: Den Bundesbehörden zufolge gehen rund 60.000 Sprengstoffanschläge auf das Konto dieser diffusen US-Anti-Bewegung - binnen gerade mal fünf Jahren.

Davon erzählt der Amerikaner P. T. Deutermann in seinem sehr komplexen Roman »Der Schatten des Jägers«, der ihm in seiner Heimat in Zeiten des Hurra-Patriotismus nicht sonderlich hohe Auflagen einbringen dürfte.

Bis er über eine Spionage-Affäre stolperte, weil er sich den politischen Weisungen seiner Vorgesetzten widersetzte, arbeitete Edwin Kreiss für das FBI. Offiziell zumindest. Tatsächlich diente er der CIA als Abräumer für spezielle Aufgaben: übergelaufene Agenten auf US-Territorium aufspüren und ausschalten, denn die CIA darf laut Gesetz die amerikanische Muttererde nicht mit Blut besudeln. Als seine Tochter spurlos in den Bergen Virginias verschwindet, legt der Jäger im Ruhestand noch einmal Drillich an und wird wieder aktiv - entgegen einer schriftlichen Erklärung, die zu unterschreiben er beim Ausscheiden aus dem Dienst gezwungen wurde.

Die Suche führt Kreiss zum Gelände einer stillgelegten Munitionsfabrik, in der bis vor ein paar Jahren hochexplosive Stoffe hergestellt wurden. Die Ruhe auf dem Areal ist trügerisch, denn im Schutze der Abgeschiedenheit wird in der alten Anlage noch fleißig gewerkelt - an einer verheerenden Bombe, die die Attentäter vor einem Regierungsgebäude in der Hauptstadt Washington zünden wollen.

»Im Schatten des Jägers« ist ein extensiv recherchierter und grundsolider Thriller über ein unappetitliches Sujet. Deutermann sind stellenweise sehr stimmige, sehr klaustrophobische Szenen gelungen. Aber die knapp sechshunderseitige Schwarte wäre bekömmlicher, hätte man ihr ein paar zähe Fasern rausgeschnitten: Kompetenzen, Interessen und Eifersüchteleien zwischen FBI, ATF, CIA, diversen Sondereinheiten und Ministerien sind bei Deutermann so breit angelegt, dass sich der Roman zum Teil liest wie ein Handbuch für den Behördendienstweg.

Auch leidet das Werk an einer unerquicklichen politischen Schieflage: "Die Bösen" sitzen in Deutermanns Roman nicht ausdrücklich in der Regierung, aber in den Führungsetagen der Regierungsbehörden. "Die Guten" bekommen schließlich entscheidenden Beistand von Hillbillys, die üblicherweise aus ihren Blockhütten auf jeden ballern, der sich als Staatsbediensteter zu erkennen gibt - und sei er nur von den Wasserwerken. So bedient P. T. Deutermann genau die Vorurteile, die in ihrer radikalisierten Form zum Zündeln mit selbstgebastelten Sprengsätzen führt.

P.T. Deutermann: Der Schatten des Jägers. (Hunting Season, 2001). Thriller. Aus dem Amerikanischen von Barbara Föst. Deutsche Erstausgabe. Bergisch Gladbach: Bastei Verlag Lübbe, 2002, 574 S., 7.90 Euro (D)

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Eine süße Ewigkeit Geduld muss der Leser auch in George P. Pelecanos Roman »Eine süße Ewigkeit« investieren - nach »King Suckerman« und »Das große Umlegen« der Abschluss der Trilogie um den griechischstämmigen Dimitri Karras und seinen schwarzen Kumpel Marcus Clay. Es dauert weit mehr als einhundert Seiten, bis Pelecanos endlich auf ein paar seiner zahlreichen Charaktere fokussiert, bis sein Roman Gestalt gewinnt. Wer aber ausharrt, wird kräftig belohnt.

Washington D.C., 1986: Teile der US-Metropole versinken im Chaos. Der Dealer Cleve Tyrell und seine Gang haben die Herrschaft über die Straßen übernommen, die Ordnungsmacht lässt sich nur noch in Gestalt der beiden korrupten Cops Richard Tutt und Kevin Murphy blicken. Einziger Hoffnungsschimmer in dem verkommenen Stadtteil ist die neu eröffnete Filiale von Real Right Records, dem Plattenladen von Marcus Clay und Dimitri Karras.

Doch gleich vor dem Geschäft ereignet sich ein scheußlicher Unfall, bei dem einer von Tyrells jungen Drogenkurieren tödlich verunglückt. Ein Passant klaut aus dem Unfallwagen einen Kissenbezug voller Koks-Dollar und entfacht damit einen Höllenkrieg in Downtown. Nicht nur die beiden unkonventionellen Geschäftsmänner Clay und Karras geraten zwischen die Fronten der blutigen Auseinandersetzung, sondern auch ein paar unbeteiligte schwarze Jugendliche, auf die Pelecanos zunehmend sein erzählerisches Interesse konzentriert.

»Eine süße Ewigkeit« zeigt, wie der Krieg gegen die Gewalt auf den Straßen der US-Metropolen schon vor der großen Crack-Epidemie verloren ging, weil die Politik sich mehr um die Bedürfnisse der Wohlhabenden kümmerte und die explosiven Stadtteile der Armen einfach aufgab. Mit moralischen Appellen wurde die klaffende soziale Lücke notdürftig geflickt: "Sag einfach nein!", lautete einer der infamen Slogans, der den Ghetto-Kids zwar keine Zukunft, dafür aber eine Verantwortung für die Misere bescherte. Die Kiez-Polizisten Tutt und Murphy stehen als Repräsentanten der Staatsmacht allein im Schneeregen. Die beiden Cops sind nicht nur korrupt - ihr Arrangement mit dem Gangster Tyrell ist auch ein verzweifelter Versuch, in diesem Vorposten der Hölle zumindest ein Quäntchen an Zivilisiertheit aufrecht zu erhalten.

Mit seinen Kriminalromanen, die die nicht so glanzvollen Seiten der jüngeren US-Geschichte beleuchten, avancierte George P. Pelecanos in den letzten Jahren zu einem der wichtigen amerikanischen Romanciers. Pelecanos schreibt auch Drehbücher und leitete bis vor Kurzem eine unabhängige Filmproduktionsfirma (die u.a. ein paar Filme der begnadeten Coen-Brüder produzierte). Kaum verwunderlich, dass Pelecanos' Prosa stark von der Erzählweise des Kinos beeinflusst ist: Viele Szenen werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln geschildert, als seien sie mit mehreren Kameras aufgenommen.

Gewöhnungsbedürftig ist der manchmal arg protokollhafte Stil: Da fährt man im Z von der U zur 11th Ecke T. Ständig wird dokumentiert, welche Musik im Hintergrund dudelt, und die Figuren plappern viel belangloses Zeug über Platten, Bands und Konzerte - unliterarisches namedropping, das so gewiss nicht den Beat der Zeit zum Leben erweckt, wie ein berauschter Rezensent zu Papier gab. Dennoch: Der Leser gerät zunehmend in den magischen Sog der düsteren Geschichte, und am Ende sind die dramatischen Konflikte so hoch verdichtet, dass Pelecanos' Material auch gut für zwei Romane hätte herhalten können. Alles in allem eine beeindruckende Lektüre.

George P. Pelecanos: Eine süße Ewigkeit. (The Sweet Forever, 1998). Roman. Aus dem Amerikanischen von Bernd W. Holzrichter. Deutsche Erstausgabe. Köln: DuMont, 2003, gebunden mit Schutzumschlag, 336 S., 19.90 Euro (D).

 

© j.c.schmidt, 2003

 

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