kaliber .38 - krimis im internet

 

Krimi-Auslese 03/2001

 

Herzjagen Den Blick ein bißchen zu starr auf die Charts gerichtet hat Robert Ferrigno mit seinem neuen Roman "Herzjagen". Das kann man dem Mann aber verzeihen: Neben Stephen Hunter galt Ferrigno beim amerikanischen Verleger Putnam als die große Bestseller-Hoffnung im Thriller-Bereich. Doch der Erfolg stellte sich nicht schnell genug ein: Statt die eigenen Autoren zur Bestsellerreife zu fördern, leistete sich Putnam - so das Gerücht - für schlappe 35 Millionen US-Dollar die in der Verkaufspitze etablierte Autorin Patricia Cornwell. Für Robert Ferrigno war bei Putnam kein Platz mehr. Das ist bedauerlich, denn mindere Qualität als Patricia Cornwell liefert Robert Ferrigno keinesfalls.

Valentine "Val" Duran ist kein Cop. Nur deshalb kann die Staatsanwaltschaft in Florida Duran in den intimsten Kreis des Drogenbosses Junior Mayfield einschleusen, aus dem er die Behörden mit brisanten Informationen versorgt. Doch als Junior Vals besten Freund - einen undercover ermittelnden Cop - ermorden lässt, wird der Job auch für Val zu heiß: Val rächt sich an Juniors Killern, deren Spur sich auf immer in den Everglades verliert, packt seine Koffer und taucht unter in Los Angelese.

In Los Angeles verliebt sich Val in seine hinreißende Nachbarin, die Meeresbiologin Kyle Abbott. Kyle stammt aus einer alt eingesessenen, dekadenten Laguna-Beach-Familie. Ihr nichtsnutziger, geldverschwendender Stiefbruder Charles Abbott III - "'Sag Kilo zu mir, Babe'" - hat sich mal mit einer namensgebenden Menge Rauschgift erwischen lassen: Anlass für Hohn und Spott, aber nichts, was die Verbindungen einer etablierten Familie nicht elegant aus der Welt schaffen könnten. Charles ist ungeduldig und kann es kaum erwarten, unbegrenzten Zugriff auf das Familienvermögen zu bekommen. Und vor dem steht vor allem seine Stiefmutter.

Für Val ist es schwer genug, Kyle vor seiner heißgelaufenen Florida-Connection zu schützen. Doch als Val immer tiefer in die schmuddeligen Familienangelegenheiten der Abbotts reingezogen wird, droht auch er den Überblick zu verlieren. Denn nicht nur Charles ist scharf auf das gigantischen Besitz der Familie...

Robert Ferrignos Roman "Herzjagen" hat einen rasanten Auftakt, verliert aber schnell an Fahrt. Eine deutlich straffere Dramaturgie hätte dem Text gut getan. Doch Ferrigno hat viele ausgefallene Ideen, die den Leser bei der Stange halten: Brilliant etwa ist die nächtliche Partie Minigolf auf einer Anlage, die den billigen Horror-Trash-Filmen der 50er und 60er Jahre nachempfunden ist. Auch fallen ihm für seine Figuren viele spaßige Details ein: Einen blutjungen Todesengel kolumbianischer Herkunft in einen prachtvollen Matrosenanzug zu stecken, komplett mit Epauletten und goldenen Knöpfen, ist schon rasend gut.

Ein Schelm, wer in manchen Szenen an Carl Hiaasen denkt... Daß Hiaasen bei Ferrigno Pate stand, scheint mir offensichtlich, aber es spricht für Ferrigno, sich kein schlechteres Vorbild gewählt zu haben.

Robert Ferrigno: Herzjagen. (Heartbreaker). Roman. Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog. Deutsche Erstausgabe. Goldmann Taschenbuch Nr. 54054 (Manhattan), 320 S., 14.90 DM

 

Unter die Haut Zum Original: Endlich wieder lieferbar ist des spitzfindig-burlesken Meisters Roman "Unter die Haut" - eine Groteske, die Gott sei dank nie zur Klamotte verkommt.

Mick Stranahan, frühpensionierter Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, führt ein beschauliches Leben auf seinem Pfahlbau vor der Küste Floridas. Doch die Beschaulichkeit endet jäh, als ihm jemand einen Killer auf den Hals hetzt. Die Fäden laufen zusammen bei einem obskuren Schönheits-Chirurgen, der seine vornehmlich weibliche Kundschaft Hollywood-kompatibel gestaltet: flacher Bauch, straffe Brüste, runder Hintern.

Hiaasen wirft in seinem Roman einen scharfen Blick auf die durch Werbung und Medien geprägten (Schönheits-) Ideale. Mit ätzender Ironie zeigt er den Dilettantismus hinter der Fassade des Erfolgs: Der Star-Anwalt, der seit zehn Jahren keinen Gerichtssaal mehr von Innen gesehen hat; der plastische Chirurg, der nicht mal einen Pickel entfernen kann, ohne die Gesundheit seines Patienten nachhaltig zu gefährden, oder auch der Moderator einer Real-Crime-Show, der sich selbst die Wunden zufügt, die angeblich von den interviewten Schwerverbrechern stammen.

Höchstintelligente Unterhaltung. Und ein absolutes Muss für alle, die sich in den bizarrsten Tötungstechniken vervollkomm - , äh, weiterbilden wollen...

Carl Hiaasen: Unter die Haut. (Skin Tight, 1989). Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak. Goldmann Taschenbuch Nr. 43990 (1. Aufl. - Bergisch Gladbach: Bastei Verlag Lübbe, 1990), 380 S., 17.90 DM

 

Beinarbeit Garantiert nicht den an Hollywood orientierten Schönheitsidealen entspricht eine neue Frauenfigur, die hoffentlich ihr (nicht nur weibliches) Publikum findet: Vorhang auf für die scharfzüngige, hemdsärmelige Casey Jones und ihre Erfinderin, die amerikanische Autorin Katy Munger. Casey Jones ist Privatdetektivin in Raleigh, North Carolina. Sie hat keine Lizenz und auch keine Aussicht, jemals eine zu bekommen, denn eine Jugendsünde brachte sie ins Gefängnis:

   "Achtzehn Monate hinter Gittern in einem Frauengefängnis in Florida änderten mich total. Ich wurde eine heißhungrige Leseratte und ein kluges Köpfchen, das jedes faule Ei schon auf zwanzig Meter riechen kann. Außerdem wurde ich eine Feministin, die keine Frauen mag, und eine Frau, die keine Männer mag, aber trotzdem mit fehlgeleiteten Optimismus immer wieder mit ihnen ins Bett steigt."

Casey beginnt in Raleigh ein neues Leben und übernimmt für den fetten, fresssüchtigen und faulen Detektiven Bobby Dee die "Beinarbeit" - so auch der Titel des ersten Romans der Reihe, der gerade im Unionsverlag erschienen ist: Mary Lee Masters, eine "typische Neue Frau des Südens", hat die - zumindest vage - Chance, als erste Frau in der Geschichte North Carolinas in den Senat gewählt zu werden:

   "...Mary Lee war in den Siebzigerjahren aufs College gegangen, die erste weibliche Generation, die sich nicht mehr verstecken musste. Der unterdrückte Machthunger eines Jahrhunderts hatte sich explosionsartig Bahn gebrochen und dabei eine Furcht erregend charmante politische Maschine namens Mary Lee Masters hervorgebracht.
   Sie war reich genug, um eine politische Karriere zu finanzieren, gewandt genug, um sich in jeder Gesellschaftsschicht des Südens bewegen zu können, und dazu auch noch hübsch genug, um den good old boys die eine oder andere Wählerstimme abzuluchsen. Sie verstand mit den Wimpern zu klimpern, aber ihre Augen dahinter waren klein, kalt und blau. Ich bewunderte sie höllisch."

Mitten in der heißesten Phase des Wahlkampfes gerät Mary Lee Masters unter Mordverdacht: Auf der Auffahrt vor Ihrem Anwesen liegt in ihrem Wagen der erschossene Thornton Mitchell, ein Erschließungs-Tycoon, der sich im Straßen- und Häuserbau nicht nur eine goldene Nase verdiente. Außerdem gehört Thornton Mitchell zu den großen Spendern des Landes - aber für die politischen Gegner von Mary Lee Masters.

Casey Jones, als Bodyguard bei der feschen Politikerin angestellt, ermittelt in dem Mordfall auf eigene Faust. Sie stößt auf zwielichtige Entwicklungsprojekte und ökologische Widerständler, auf ein System mafiöser Kumpanei und auf reizende alte Damen, die ihre Männer und Söhne marionettengleich im vorderen Bereich der politischen Szenerie dirigieren.

Katy Munger hat eine wohltuend respektlose Schreibe, der es nicht an Tiefgang fehlt. Sie hat einen genauen Blick für den gesellschaftlichen Wandel in den Südstaaten und beschreibt die Verdrängung des alten Geldes durch die neuen Eliten. Ihre Figur Casey Jones - wuchtig wie Eva Wylie, schlagfertig wie Stephanie Plum - ist ein Glücksfall. Dabei bedient sich Katy Munger eines Kunstgriffs: Sie stattet ihre Figur mit einer Vita aus, die weit in die Vorgeschichte des Romans reicht, aber im Dunkeln bleibt - Dramen, wie der gewaltsame und unaufgeklärte Tod von Casey's Eltern, die man erschossen in einem Sojafeld gefunden hatte, sind nur angedeutet. Dies ist kein billiger Effekt, um den Leser bei der Reihe zu halten. Das ist eine gelungene Methode, um der Figur von der ersten Seite an lebensechte Konturen zu geben.

Katy Munger: Beinarbeit. (Legwork, 1997). Ein Fall für Casey Jones. Aus dem Amerikanischen von Tom Appleton. Deutsche Erstausgabe. UT metro 197, 284 S., 16.90 DM.

 

Der Willy ist weg Sie kennen die prekäre Situation, wenn man sich in unangemessener Umgebung vor Lachen kaum halten kann: etwa im Feierabendverkehr in der U-Bahn, wo dumpfe Gesichter nur peinliche Berührung zum Ausdruck bringen, oder - schlimmer noch - zwischen leidensbitteren Mienen im Wartezimmer einer Arztpraxis. Wo Sie die quietsch-lebendigen und schrill-komischen Ruhrpottkrimis von Jörg Juretzka lesen, sollten Sie sich daher genau überlegen. Aber lesen sollten Sie sie in jedem Fall. Dieser Tage ist "Der Willy ist weg" erschienen - der dritte Roman mit Kristof Kryszinski, dem schrägsten Privatdetektiv der deutschen Krimiszene.

Mülheim an der Ruhr, a. D. 1984 - eine Ruhrmetropole in festlicher Weihnachtsstimmung: Die Stormfuckers, "grosse, breite, haarige, ledergewandete, an delikaten und weniger delikaten Stellen tätowierte und gepiercte, einander zu unverbrüchlicher Loyalität verschworene Männer", kurz: Mülheims schlagkräftigste Motorrad-Gang, begehen zünftig wenn auch wenig traditionell das Fest der Liebe. Das eine oder andere alkoholhaltige Erfrischungsgetränk wird gereicht, und als die braven Männer so langsam aus dem Koma erwachen, stellen sie bestürzt fest: Der Willy ist weg.

   "Willy hing damals schon seit längerer Zeit als so eine Art ewiger Volontär im Dunstkreis der Stormfuckers herum. So einer, der immer davon spricht, auch den Führerschein machen und sich dann diese oder jene Maschine kaufen zu wollen, und doch ... Einer von denen, bei dem man gleich spürte, dass es dabei bleiben würde. Beim Sprechen davon. Gleichzeitig war er sympathisch, ging keinem auf den Sack und war sich nie zu schade, Zigaretten zu verteilen und Bier holen zu gehen. Nenn es Faktotum, nenn es Maskottchen, nenn es Hanger-on, Tatsache ist, praktische jede Gang hat so einen von der Sorte."

Willy - eigentlich Wilfried Heckhoff - ist der einzige Nachfahre eines Maschienenbauers, der seine Ein-Mann-Hinterhofklitsche zu einem 400-Mann-Unternehmen ausgebaut hatte. Seit einem tragischen, aber mitnichten vielbeweinten Autounfall des Patriarchen ist Willy Waise und lebt mit den Stormfuckers in der elterlichen Villa mit vornehmer Adresse.

Der Willy ist testosterongesteuert (aktuelles Objekt seiner Begierde ist die Nachrichten-Fee Dagmar Berghoff, die er in herzerweichend unbedarften Briefen um einen Besuch in Mühlheim angeht). Außerdem fängt er dauernd Streit mit den falschen Leuten an. Diesmal scheint es den Willy richtig getroffen zu haben, denn er ist wie vom Erdboden verschluckt. Eine horrende und sehr nachdrückliche Lösegeldforderung klärt die Sachlage. Willy ist entführt, und Kristof Kryszinski und die Stormfuckers verschreiben sich der kreativen Geldbeschaffung.

"Der Willy ist weg" ist Juretzka at its best - präzise und bitterböse Beobachtungen und gleichzeitig ein wahres Feuerwerk an Frohsinn und Heiterkeit. Unvergessliche Szenen, etwa die auf einer Pferderennbahn, in der Kryszinsky seine Wette nach der Anzahl der Pferdeäpfel platziert, die den Mähren aus dem Arsch plumpsen. Oder auch der Kokser Pierfrancesco auf der Eisbahn. Oder auch - ach was, lesen Sie selbst, was Kristof, Poppel, Scuzzi, Charly, Hoho, D.O. und all den anderen netten Jungens so alles zustößt... Und Heiner Sültenfuß, legendärster Schrottplatzhändler des ganzen Ruhrgebiets, ist natürlich auch wieder dabei ("'Wärste mal gestern gekommen, da hatte ich noch 'nen astreinen Käfer hier, nur vier Vorbesitzer, mit Schiebedach sogar...'").

22.90 DM für ein knapp 300seitiges Taschenbuch ist natürlich zu teuer.

Jörg Juretzka: Der Willy ist weg. Der dritte Kristof-Kryszinski-Krimi. Originalausgabe. Rotbuch Krimi 1118, 286 S., 22.90 DM.

 

Der süße Duft des Todes Das Beste zum Schluss.
Es sind oft die schlichtesten Mittel, die die poetischsten Werke hervorbringen. Ein Beispiel ist der Roman "Der süße Duft des Todes" des Mexikaners Guillermo Arriaga. Arriagas Sprache ist karg und tritt ganz hinter seine fast novellenartig vorgetragene Erzählung zurück.

Loma Grande, ein Dorf irgendwo in der ausgedörrten Weite Mexikos. Bis zur nächsten Stadt ist es ein halbe Tagesreise in der brütenden Hitze. Es gibt keinen Arzt, keinen Priester und keine Polizei. Carmelo Lozano, der korrupte Chef der Landpolizei, kommt nur sporadisch mit seinen graublauen Mannschaftswagen vorbei - weniger, um nach dem Rechten zu sehen, als den fälligen Obulus einzukassieren und ein Pläuschchen bei Gratisbier zu halten.

Auch als man auf einem Feld die nackte Leiche eines jungen Mädchens entdeckt, hält sich die Landpolizei auf Drängen des Gemeindevorstehers aus der Sache raus. Verbrechen aus Leidenschaft, um das es sich hier offensichtlich handelt, sind keine Staatsangelegenheit. Und die Typen von der Staatsanwaltschaft, die ihre Nase in das Dorf stecken, will schon keiner haben.

Der Tod des Mädchens führt zu den wildesten Spekulationen - und die schaffen alsbald ihre eigene Realität. Klatsch, die schiere Lust am Fabulieren - der Rausch, einmal mit erfundenem Wissen und erdachten Beobachtungen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, bestimmen den Gang der Entwicklung: Der junge Ramón, der die nackte Leiche entdeckt hatte und noch ganz starr vor widerstrebenden Gefühlen ist, soll mit dem Mädchen eine leidenschaftliche, wenn auch geheime Affäre gehabt haben:

"Inmitten all diesen Lärms erfuhr Justino Téllez [der Gemeindevorsteher] das Unausweichliche: Adela war die Freundin von Ramón Castaños. Anfänglich weigerte er sich, es zu glauben. Er dachte, es wäre nur dummes Geschwätz. Doch wurde der Satz so häufig und von so vielen Mündern wiederholt, dass er ihm schließlich Glauben schenkte."

Die Lüge gewinnt derart an Fahrt, dass sie auch diejenigen mitreißt, die es eigentlich besser wissen müssten. Der junge Ramón selbst kann sich der Lüge nicht entziehen: Er übernimmt die Rolle des heimlichen Liebhabers und damit auch die des tragischen Rächers. Die Lüge gewinnt nicht nur Macht über das Vergangene, die Lüge bestimmt auch den Lauf der Zukunft.

Arriaga trägt seinen hochdramatischen Plot so gekonnt und plausibel vor, dass sich der Leser der Geschichte nicht entziehen kann. Mit scharfen Blick und poetischer Kunst beleuchtet er den kleinen Kosmos, das bäuerlichen Dorf Loma Grande mit seinen Leidenschaften und Zerwürfnissen, mit seinen Intrigen und Eitelkeiten. Und an den Rändern der Geschichte finden Sie viele kleine Hinweise, mit denen es sich ganz trefflich spekulieren lässt...

Guillermo Arriaga hat mit "Der süße Duft des Todes" einen Roman geschrieben, der sich auch vor den ganz großen Namen der zeitgenössischen Literatur Lateinamerikas nicht verstecken braucht.

Guillermo Arriaga: Der süße Duft des Todes. (Un dulce olor a muerte, 1994). Roman. Aus dem mexikanischen Spanisch von Susanna Mende. Gebunden, 208 S., 28.00 DM .

 

© j.c.schmidt, 2001

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen