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Chabon-Barock in einer verrückten kleinen Stadt

Pieke Biermann über »Die Vereinigung jiddischer Polizisten« von Michael Chabon

 

Die Vereinigung jiddischer Polizisten Spaß am Spiel mit der Geschichte hat angelsächsische Schriftsteller immer wieder zu bösartigen, komischen oder klugen Romanen inspiriert. Nun hat sich auch Michael Chabon an der literarischen "What-If?"-Spekulation probiert. Herausgekommen ist »Die Vereinigung jiddischer Polizisten«.

Ganz recht: jiddischer, nicht allgemein jüdischer. Angesiedelt nicht etwa in einem osteuropäischen shtetl des 19. Jahrhunderts - wo man als einigermaßen kulturkompetenter Mensch plausiblerweise erwarten dürfte, dass das Jiddische so mainstream ist, dass es sogar zur eigenen Staatsmacht reicht. Nein: Chabons jiddische Polizei obliegt ihren Dienstpflichten in einem Zipfel am Ende der US-Welt, der kaum ferner vom zweiten (zum dritten, Israel, kommen wir noch) jiddisch gesehen plausiblen Ort, New York City, liegen könnte: Im 3,2-Millionen-Distrikt Sitka in Alaska. Von hier sind Vancouver oder San Francisco Südstaatenorte. Klimatisch geht es also zu wie in »Fargo«, dem so bösen wie anrührenden Film der Brüder Coen.

Die Ursprungsfrage lautet wie üblich: Was wäre, wenn die Nazizeit anders geendet hätte, als wir zu wissen glauben? Wenn die Nazis erst die Sowjetunion besiegt, 1946 aber die Hiroshima-Bombe abgekriegt hätten, die Gründung des Staates Israel gleich 1948 gescheitert, die Shoah aber nicht passiert wäre, weil die US-Regierung den verfolgten Juden Europas ein Reservat zur Verfügung gestellt hätten? Eben jenen Distrikt Sitka. Da sitzen sie seit 60 Jahren, sollen aber in neun Wochen das Terrain für die einstmals bestohlenen Ureinwohner freiräumen, die Tlingit.

Michael Chabon ist bekennender Fan von Comics, Conan Doyle und des Spiels mit Klischees. Letztere lässt er, detailgenau ausgepinselt, genüsslich ineinander rasseln. Hier sind das unter anderem: ein Polizist mit Namen Meyer Landsman (genial), der daherkommt wie ein Wiedergänger aller klassischen Noir-Privatdetektive auf einmal, "nur zwei Zustände kennt: arbeitend oder tot" und "schon beschossen, geschlagen, verkühlt, verbrannt" wurde, ein verkorkstes Liebesleben hat und säuft und raucht; sein treuer Partner (und Cousin) Berko Shemetz mit Tlingit-Blut und ähnlichen Nehmerqualitäten, aber glücklicher Kleinfamilie; eine verführerische Bina-jetzt-wieder-Gelbfish, Landsmans Ex und plötzlich Chefin; eine mysteriöse Leiche, die angeblich Emanuel Lasker wie der Schachgroßmeister heißt, in Wahrheit aber Shpilman wie - nein, nicht wie Polanskis Pianist, sondern wie der Vater, Rabbi, Oberschurke, -fundamentalist und -verschwörer von Sitka; sowie ein Set handelsüblichen Mafiatreibens, angefangen beim Über-Leichen-Gehen.

Auch der Plot kommt daher wie ein klassischer Noir: Leiche am Anfang, Aufklärung am Ende, dazwischen wimmelt es von Twists, Behinderungen, (Schach-)Rätseln und Ballereien. Es wimmelt auch von witzigen Slapsticks und Smartcracks, von sprechenden komischen Namen - shoyfer fürs Handy, nos für Schnüffler, ein zwergwüchsiger Polizist heißt ausgerechnet Willie Dick, ein Gangsterwagen Ford Caudillo... Und genau das ist leider das Problem: Es wimmelt. Kaum ein Satz "fettfreie Prosa" (das wahre Markenzeichen der Handlers & Chammetts), eine Witz-Arabeske jagt zwei andere. Nach fünfzig Seiten merkt man, dass Chabon eben doch unbedingt "mehr als Krimi" will. Etwas Zähes legt sich über die perfekt konstruierten Spannungsbögen, und man muss entweder hartnäckiger Fan des legendären Chabon-Barocks oder neugierig auf das Innenleben drolliger jüdischer communities sein, um weiterzulesen. Die deutsche Übersetzung trägt leider auch mehr zur Verschärfung dieses Problems bei als zu seiner Linderung.

Die Brüder Coen übrigens, so rauscht es durch den PR-Wald, sitzen bereits an der Verfilmung

 

Michael Chabon: Die Vereinigung jiddischer Polizisten. (The Yiddish Policemen's Union, 2007). Roman. Aus dem Amerikanischen von Andrea Fischer. Deutsche Erstausgabe. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2008, gebunden mit Schutzumschlag, 422 S., 19.95 Euro (D).

 

© Pieke Biermann, 2008
(Deutschlandradio, 23.05.2008)

 

Ein Gespräch mit Pierke Biermann über den Chabon-Roman finden Sie auf der Internetseite des Deutschlandradios unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/745320/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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