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Süden in Nordost

Gerd Friedrich Marenke über Friedrich Anis Roman »Gottes Tochter«

 

Gottes Tochter Das ist ein trauriger Text aus einem vereinten, geteilten Land: Rico und Julika wollen einander einfach nur lieben. Er Rostock, sie München - sie Eltern mit Geld, er Plattenbau.

Sie türmt an ihrem 18. Geburtstag von zuhause und reist einmal quer durchs Land, um bei ihm zu sein, bei ihrem Rico, den sie erst ein paar Wochen zuvor hinter dem Rücken ihrer Eltern kennengelernt hatte, als sie mit ihnen im Fernen Osten der Republik zu Besuch war.

Jule ist eine kluge, junge Frau mit hochentwickelter Reflexionskraft, aber auch zerbrochen durch die ewigen Verfolgungen, den brutalen Zerstörungswillen des Vaters, den er Liebe nennt und durch die Sprach-, Hilf- und Blicklosigkeit einer leeren Mutter.

Papa akzeptiert nicht , dass "das Kind" gegangen ist und er hat genug Einfluss, um die Polizei auf Trab zu bringen. Er trifft auf Kriminalhauptkommissar Tabor Süden, Besoldungsgruppe A 11, Vermisstenstelle, und er trifft seinen Antipoden.

Tabor Süden ist der Mann im Verlies hinter turmhohen Mauern, er raucht Pilze in der Pfeife, trinkt zuviel und lässt Bart und Haare wachsen. Er wacht aus seinen Alpträumen manchmal nicht mehr auf; das Bild ist das Immergleiche: Ein Mann steigt in eine Mülltonne, macht den Deckel zu und schießt sich tot. Dieser Mann war Südens bester Freund.

Süden zieht die übliche Vermisstenroutine durch und nach ein paar Tagen kommt ein Fax aus dem Osten: Die Gesuchte Julika de Vries ist vor ein paar Tagen als Zeugin vernommen worden. Sie war dabei, als es bei einer Explosion auf einem Party-Schiff im Rostocker Stadthafen eine Tote gab.

Süden fährt hin und das Stück kann beginnen! Unglaublich, was Friedrich Ani an Vorbehalten, Urteilen, Missverständnissen, Enttäuschungen und anderer Sprache zusammenträgt. Unglaublich, wie wenig sich die Menschen auch nach fünfzehn grenzlosen Jahren verstehen. Auch Jule und Rico reden oft aneinander vorbei, allerdings macht er den Mund nur zum Stammeln auf und sie spricht ins Kissen oder ihre Sätze sind ihm zu kompliziert, aber sie haben ihre Liebe, was man von den Polizisten aus Ost und West nicht unbedingt sagen kann.

Fast unglaublich auch, wie dicht Ani die jüngste Geschichte in die Fiktion einarbeiten kann: Vier junge Leute werden zurückgestoßen in die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen Ende August 1992, denn sie waren dabei. Und die örtliche Polizei gleich mit, denn auch sie war damals dabei, weiß Gott. Es ist eine Geschichte von Vertuschungen, Lügen und falschen Loyalitäten. - Nazi, ich? Niemals, ich bin neutral rechts! - So spricht sinngemäß der Vater einer der Täter.

Und damals wie heute ist es die Geschichte eines Mordes.

Friedrich Ani versteht es auf eindrucksvolle Weise, sich in die Erfahrungen und Gefühle seiner Figuren einzuleben (beachtenswert ist Jules Tagebuch) und sie spannend, einleuchtend und in immer passenden Tempi aufzuschreiben. Dass diese deutschdeutsche Romeo-und-Julia-Variante in der Katastrophe endet, ist nicht seine Schuld.

 

Friedrich Ani: Gottes Tochter. Roman. Originalausgabe. München: Droemer Knaur, 2003 (Droemer Profile), 395 S., 19.90 Euro (D).

 

© Gerd Friedrich Marenke, 2004

 

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