kaliber .38 - krimis im internet

 

Die Ödnis der schonischen Ebene

Gerd Friedrich Marenke über Henning Mankell

 

ZWEIFEL I
Was macht der Mensch nicht alles, wenn er sich unsicher ist. Nach der Lektüre von "Mittsommermord" und "Mörder ohne Gesicht" war ich überzeugt, dass Henning Mankell überhaupt nicht schreiben kann. - Unmöglich, dachte ich, er verkauft Riesenauflagen, so viel Menschen können sich nicht einfach irren. Mehrere Millionen Bücher und übersetzt in 20 Sprachen.

Vielleicht liegt es an der Übersetzung, dachte ich weiter. Schon in den unvergessenen Sjöwall/Wahlöö-Krimis vor 25-30 Jahren kam mir die Sprache irgendwie spröde vor. - Warum aber sollte Schwedisch "spröder" sein als andere Sprachen, wenn es ins Deutsche übersetzt wird? Alles Quatsch. Ich besorge mir "Mörder ohne Gesicht" auf Englisch , weil ich einfach wissen will, wie Mankell in einer anderen Sprache klingt.

Übersetzen ist ein haariger Job, das wissen wir. Zwei Sprachen richtig gut können und in einer auch noch schreiben, ohne die Vorlage zu kompromittieren ist eine hohe Kunst. Steven T. Murray hat das Problem gelöst. Offenbar kann er besser Englisch als seine Kollegen Deutsch.

 

WALLANDER, KURT. KOMMISSAR
Ich verlange ja gar nicht, dass Mankell "schön" schreibt. Nicht bei einer so garstigen Materie wie Serienmord in der südschwedischen Provinz. Auch bestehe ich nicht darauf, ständig Bilder aufgetischt zu kriegen, wo keine hingehören. Geschweige denn solche:
Die Ermittlung hatte Schiffbruch erlitten. Alles, was übrigblieb, war das Wrack.

Was aber gefällt den Leuten daran, Banalitäten aufgezählt zu bekommen? Warum sollte ich wissen wollen, dass Wallander im Zuge einer Autofahrt anhält, weil er dringend urinieren muss und dieses Bedürfnis gegen einen Baum seiner Wahl exekutiert. Wird er nächstens am Schreibtisch onanieren und alles schreit vor Lust? Wird er nicht, sondern beim Hamburgerfressen Durchfall kriegen und feststellen, dass er den Schlüpfer mal wieder wechseln könnte. Echt. Überhaupt sind die persönlichen Angelegenheiten des Herrn Kommissars geradezu stilbildend für die Ödnis in der Sprache Mankells. Gut, Wallander schafft es tagelang nicht, sein Auto in die Werkstatt zu bringen. Er lässt seinen alten Vater verkommen, weil ihm die Ermittlungen absolut keine Zeit lassen. Außerdem kann Vati seinen Sohn nicht ausstehen, vermutlich wegen dessen "Eintritts in den Polizeidienst". Alles gut, aber drei Infinitive mit zu in einem Satz? - Und warum nimmt sich Wallander bei jedem fettigen Hamburger vor, seine Eßgewohnheiten "umzustellen"? Wer will das wirklich wissen? Halten die Leute sich selbst auch so schlecht aus wie Kurt Wallander?

Halten wir fest: Die Leute lesen Mankell, weil sie gelangweilt werden wollen, weil sie sich zuhause fühlen in seiner zutiefst bürokratischen Sprache, die Belanglosigkeiten belanglos aneinander reiht, und wenn sie etwas zu vertiefen vorgibt, sich nur noch schamloser wiederholt. Die Leute mögen Wallander, weil er ist wie sie. Weil er wegen allem und jedem Schuldgefühle hat, die er natürlich mit keiner liebenden Seele teilen kann, allein wie er ist. Allein wie wir alle, ratlos und stets zu Depressionen aufgelegt. Würden nicht auch wir gern erwägen, das Rauchen wieder anzufangen, um nicht noch fetter zu werden? Kaufen nicht auch wir unseren Lieblingsfusel, obwohl wir ihn uns nicht leisten können? In "Mörder ohne Gesicht" denkt Mankell sich eine Wallander-Nummer aus, die ihresgleichen sucht: Kurt ist scharf auf die Staatsanwältin, und als er bei ihr zu Gast ist, säuft er sich blitzschnell voll und geht ihr ans Bein, kassiert eine Backpfeife und kauft am nächsten Tag ordentlich Blumen. Wie im wirklichen Leben.

Manchmal hat Wallander auch unglaubliches Pech: Er fährt tanken und wenig später geht ihm das Benzin aus. Aber dafür kann Kurt nicht, das war sein Meister. Oder der Lektor.

 

DIE PROZEDUR
Wie viel Whodunit und Police procedural verkraftet ein Text, verkraften die Leser, wenn der Autor nicht endlich fertig wird? Wie oft kann ein Autor den Hauptverdächtigen wechseln, ohne der verehrten Kundschaft damit auf den Keks zu gehen? Und immer wieder wird mittendrin von vorn angefangen, bestimmt ist irgend etwas übersehen worden, ein winziges Detail -­ und der beschissene Wallander war's.
Sie hatten keine andere Wahl, als noch einmal von vorne anzufangen.

 

DAS WETTER
Der schonische Winter ist hart, keine Frage. Es ist verschiedenen literarischen Gattungen eigen, die Elemente zu bemühen. Auch Mankell tut das, aber kein Mensch weiß wozu. Es ist völlig wurscht, wie das Wetter gerade ist, es wirkt sich auf die Akteure ebenso wenig aus wie auf den Stoff. Aber Wallander wartet und wartet ängstlich auf Schnee, und als es dann schneit, hat der Polizist wieder was zu jammern, zu meckern, zu erdulden mit stoischer Impertinenz.
Gleichzeitig kam der Schnee.

 

"DAS POLITISCHE"
Seit Maj Sjöwall und Per Wahlöö ihre Bücher schrieben, scheint die skandinavische Kriminalliteratur ohne Politik und Sozialkritik nicht auskommen zu können. Mankell muss da mit, aus Überzeugung sozusagen, und er hat sich für die denkbar mieseste Variante entschieden. Er sagt über seinen Helden, dass er ihn eigentlich ganz gern mag, es aber wohl nicht lange mit ihm aushalten würde. - Danke, Henning. - Wallander ist ein kleiner Spießer, der den schwedischen Sozialstaat in neun Episoden den Bach runtergehen sieht, immer wieder den Kopf dazu schüttelt und sich fragt, wie all die Kälte und Härte denn sein kann. Und weil er das alles nicht versteht, will er zwischendurch kein Polizist mehr sein, alles hinschmeißen und fertig, denn seiner eigentlichen Mission, nämlich dem Volk das Unsägliche zu ersparen, kann er ja gar nicht nachkommen, die Grenzen seiner Heimat sind ungeschützt offen, Polen und Neger kommen wie sie wollen und die Deutschen kaufen den Einheimischen das Land weg. Strohmänner schwedisch, sagt Wallander, wo soll das hinführen. Und all die Gewalt, immer mehr und härter, hat sogar bis nach Ystad gefunden, wohin sonst gar nichts findet. Wallander verkörpert den mittelmäßigen Xenophoben schlechthin, und er schreitet einher im Gewand des aufgeklärten toleranten schwedischen Mitteleuropäers. Leider einem, dem in seinen feuchten Träumen eine "farbige" Frau erscheint. Der Dichter Mankell beweist - fast ohne eigenes Zutun, denkt man ­, dass der Rassismus, der Antisemitismus, jede weitere denkbare Widerlichkeit aus der Mitte der Gesellschaft kommt; er beweist, dass es keine rechtsradikalen Kampfgruppen braucht, um Leichen zu hinterlassen. Bei ihm gibt es Menschen, die wie Schweden aussehen, weil sie blond sind und andere, die aussehen wie Tschechen, weil sie eine slawische Sprache sprechen. Und jeder mittelalte Gouda-Dealer sieht aus wie ein Holländer. Das Beste an Mankell ist, dass er durch seinen eigenen Scheiß manchmal nicht mehr blickt. Und dann hat sein Kretin Wallander die Arschkarte.

Mankell: "Es liegt mir sehr daran, zu betonen, dass Wallander aus meinem Bedürfnis heraus geboren wurde, über Rassismus zu schreiben."

 

DAS RÄTSEL/ZWEIFEL II
... eine ältere Dame [stand] in der langen Schlange vor dem Tisch, an dem der gefeierte Autor Autogramme verteilte. Sie hielt den "Mittsommermord" in den Händen und wartete geduldig. "Ich weiß", sagte sie, "dass es bessere Autoren gibt als Mankell. Ich weiß, dass seine Serienmorde konstruiert sind. Ich schenke Ihnen den Mittsommermord, wenn Sie mir einen deutschen Autor nennen, der ebenso spannend erzählen kann wie Mankell. Schönen Abend noch."
Gnädige Frau, es handelt sich um ein Missverständnis. Gucken Sie sich doch mal richtig um: Es gibt jede Menge Autoren, die ebenso spannend und vor allem besser schreiben können. Geben Sie sich nicht zufrieden mit schlecht konstruiertem Unfug, wenn Sie schon in die Niederungen der Kriminalromanschreiberei hinabsteigen. Sie haben natürlich recht: Autoren deutscher Zunge gibt es reichlich, die nichts zustande kriegen als hastig gedichtete, inkongruente Nullnummern. Aber deshalb gleich einen Mankell verschenken?

 

DER MANN
ist 1948 in einem Ort mit Namen Härjedalen geboren (je nach Quelle in Mittel- oder Nordschweden) und hat schon früh von Afrika geträumt. Die Baumstämme aus den Wäldern flussaufwärts auf dem Wege zum Meer werden ihn irgendwie an Krokodile erinnert haben, sagt er sinngemäß. Hauptsächlich dort, also in Afrika, lebt und arbeitet er seit mehr als zehn Jahren, zusammen mit Gattin Eva Bergman, Ingmar ihm seine Tochter. In Maputo (Mosambik) macht er Theater und setzt sich für Kinder ein. Dort schrieb er auch seine Wallander-Krimis.
Mankell: "Nun stehe ich sozusagen ziemlich breitbeinig da, mit dem einen Fuß im Schnee und dem anderen im Sand."
1991 erschien "Mördare utan ansikte" (dt. "Mörder ohne Gesicht") in Schweden, seitdem ist ein Kurt Wallander in der Welt.
In Schweden ist Mankell seit Ende der 60er Jahre durch Theaterinszenierungen und Texte für Kinder und Jugendliche bekannt (in Deutsch erschienen bei Oetinger).
Henning Mankell hat versprochen, keine Wallander-Bücher mehr zu schreiben. Hoffentlich hält er sich dran.

 

© Gerd Friedrich Marenke, 2001

 

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