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Würmer, Wale, Weltuntergang

Über Frank Schätzings Katastrophen-Thriller »Der Schwarm«

 

Der Schwarm In einer historischen Topographie der menschlichen Ängste dürfte das Meer unangefochten den ersten Platz einnehmen. Vermutlich gibt es quer durch die Geschichte nicht eine einzige Kultur, die überhaupt von der Existenz der Meere wusste und die Ozeane nicht zum Lebensraum der schauderhaftesten Ungeheuer erklärt hätte. Noch heute, in Zeiten hochentwickelter Offshore Industrien, weltweit dichtem Schiffsverkehr und atomgetriebener U-Boote, die durch stockfinstere Tiefen tuckern, halten sich hartnäckig Mythen von gigantischen Monsterfischen und mörderischen Riesenkraken. Entdeckt hat sie freilich noch niemand, aber auch das ist plausibel: Mit modernen Tauchrobotern gelangt man zwar fast überall bis auf den Meeresgrund, kann aber in den lichtleeren Schichten allenfalls einen oder zwei Meter weit gucken respektive messen. UFOs kommen auch immer nur, wenn keiner hinschaut, denn damit beweisen die grünen Männchen ihre überlegene Intelligenz. Arrgh!

Eben diesem Muster folgt auch Frank Schätzing mit seinem Katastrophen-Thriller »Der Schwarm«. Über die Tiefsee vielleicht nur zwei Flugstunden vor unseren Küsten, schreibt Schätzing, wissen wir weniger als über manch entlegenes Sonnensystem. Genau deshalb bieten sich die Tiefen der Weltmeere für ein hollywoodkompatibles Armageddon-Spektakel an - und das ist dem Autor grandios gelungen. Das bombastische Werk hat gut eintausend Seiten und lässt sich mit mehr als einem Kilo Gewicht nicht gerade bequem wegschlönzen. Dennoch ist der Leser am Ende noch lange nicht satt: Trotz des drallen Umfangs ist die Story wohltuend fettarm und so flott vorgetragen, wie man es in der Unterhaltungsliteratur nur selten geboten bekommt.

Die Horror-Show beginnt mit ein paar Fischern, die vor der Küste Lateinamerikas auf unerklärliche Weise verschwinden. In der Nordsee schlagen sich norwegische Öl-Experten, die mit ihren Bohrturmrüsseln tief in den Meeresgrund pieksen, mit merkwürdigen Würmern rum: Mit bizarrem Beißwerkzeug knuspern die Tierchen an bodennahen Methanhydraten, einer verheißungsvollen Energiequelle der Zukunft. Auf der kanadischen Insel Vancouver Island indes protokollieren Walforscher einige Anomalien: Zunächst bleibt die frühjährliche Passage der Meeressäuger aus. Als sie schließlich doch noch auftauchen, zeigen sie sich erschreckend aggressiv und attackieren Touristenkutter und Lastenkähne. Auch der Nahe und der Ferne Osten bleiben nicht verschont: Mehrere verheerende Schiffskarambolagen schockieren die Bevölkerung - schuld ist klebriges Kleinstvieh aus dem Meer, das die Ruder und Navigationsanlagen der Pötte komplett verkleistert.

Eine globale Katastrophe nimmt ihren mörderischen Lauf - erst sanft plätschernd, dann anschwellend, und schließlich bricht eine monumentale Riesenwelle über die Küstenlandschaften, bis von Europa nicht viel mehr als das Testbild zu empfangen ist. Steht die Welt am Abgrund, richten sich die hoffnungsvollen Blicke auf die Lametta-Jungs vom Militär (bei Schätzing übernimmt eine Lametta-Dame das Kommando). Die modernsten Geschütze werden geladen, auch wenn noch nicht klar ist, auf wen oder was die Kanonen zu richten sind.

Frank Schätzing entfaltet sein Schreckensszenario erfreulich schnell, erfreulich spannend und erfreulich fies (von einigen Figuren darf sich der Leser schon nach einem knappen Drittel verabschieden). Von der Funktion des Golfstroms über die Geologie der Meeresböden, von den verheerenden Riesenwellen, den Tsunamis, bis zur überraschend banalen Erklärung des Phänomens Bermuda-Dreieck ist der Thriller prall gefüllt mit komplexen wissenschaftlichen Theorien, die Schätzing mit leichter Feder veranschaulicht. Gewiss, die Schwarte ist nicht ganz frei vom üblichen Öko-Gejammer (böser, böser Mensch!). Andererseits umschifft der Autor elegant ein paar esoterische Klippen, auf die man seinen Roman schon zuzusteuern wähnte - anthroposophisches Zeugs von Freund Delphin und Bruder Indianer.

Nichts Neues und nichts wirklich Wichtiges, mehr Production Design als Literatur - doch »Der Schwarm« ist ein riesiges Lesevergnügen im Breitwandformat. Applaus!

 

Frank Schätzing: Der Schwarm. Roman. Originalausgabe. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2004, 1008 S., 24.90 Euro.

 

© j.c.schmidt, 2004

 

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