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Das Morddorf

Über den Roman »Tannöd« von Andrea Maria Schenkel

 

Tannöd Tannöd, Gemeinde Einhausen, ein oberpfälzischer Flecken. Zehn Jahre ist der Zweite Weltkrieg nun zu Ende, das Leben normalisiert sich langsam wieder. Mit bauernschlauer Geschmeidigkeit haben sich die Honoratioren des Kaffs, die vor einer Dekade noch stramm auf der Seite der Nationalsozialisten standen, in das neue System der amerikanischen Besatzung integriert. Die Verstrickung mit der jüngeren Vergangenheit wird in einen kollektiven Mantel das Schweigens gehüllt. Da erschüttert ein schauriger Massenmord die bayerische Gemeinde: Die Bauernfamilie Danner wird erschlagen auf einem entlegenen Hof gefunden - Großeltern, Eltern, Kinder, selbst vor der jungen Magd, die nur ein paar Stunden zuvor ihre Stelle angetreten war, fand der Blutrausch keinen Einhalt.

Tannöd, so nüchtern lautet auch der Titel des fulminanten Debüt-Romans der Autorin Andrea Maria Schenkel - ein schmales, nichtsdestotrotz furioses Werk von kaum mehr als 120 Seiten. Der Mordtat nähert sich Schenkel auf unterschiedlichen Pfaden: Als Erzählerin folgt sie mehreren Figuren und schildert Ereignisse des Mordtages (und ein kurzes Stück danach). Gleichsam als Dokumentaristin lässt sie Nachbarn, Amts- und Würdenträger des Ortes und Angehörige zu Wort kommen, die sich in ihren Gedanken, Anschuldigungen, Erklärungen und Rechfertigungen ergehen. Sichtbar wird ein komplexes soziales Geflecht - ein ländlicher Kosmos, in dem Hass, Missgunst, Geiz, Geldgier und Ausbeutung herrschen. Ein brutaler Patriarchismus, in der Frauen sich der auch physischen und sexuellen Gewalt zu beugen haben und von der Kirche mit Gebetsbüchern sediert werden. All dies zeigt Andrea Maria Schenkel mit glasklarer, nüchterner Prosa, die an keiner Stelle vor Entrüstung fiebrig wird, sondern die Ereignisse für sich sprechen lässt.

Der Tradition eines klassischen Kriminalromans folgend, löst Andrea Maria Schenkel schließlich ihren Mordfall und präsentiert einen Täter. Schade, denn ihr Buch ist so stark, dass sie ihre Leserschaft gerne auch ohne Lösung hätte entlassen können.

 

Andrea Maria Schenkel: Tannöd. Kriminalroman. Hamburg: Edition Nautilus, 2005, 125 S., 12.90 Euro (D)

 

© j.c.schmidt, 2006

 

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