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Stimmen und Stimmungen

Ernest Bornemann führte ein aufregendes Leben zwischen diversen Polen. Auf dem Gebiet der Sexualforschung war Bornemann genauso Pionier wie als Forscher und Kritiker in der Jazz-Musik. En passant verfasste Bornemann ein paar - erfolgreiche - Kriminalerzählungen und -romane. Zufall? Eher nicht.
Von Harald Justin.

Ein Vorabdruck aus »Jazz in Crime«, dem »Kalender für Kriminalliteratur 2008«,
der Ende August im Daedalus Verlag erscheint.

 

Jazz in Crime Ein Schrei? Mit einem Schrei beginnt das Leben, ein Schrei kann am Ende des Lebens ertönen. Ein Krimi ohne einen Todesschrei? Undenkbar. Musik ohne Geschrei? Geht gar nicht, weder von Seiten der Musiker noch von der der Fans. Und Liebe ohne Gestöhn und Geschrei? Aaaargh!
      Und es gibt nur einen Autor, der alle diese Arten der Lautgebung in seinem Werk vereinigt hat: Ernest Bornemann. 1915 in Berlin geboren, setzte er seinem Leben 1995 durch Selbstmord ein Ende. Was ereignete sich dazwischen? Zweifellos eines der erregendsten Leben des 20. Jahrhunderts, der Kriminalgeschichte des wahren Lebens so eng verbunden wie Mann und Frau!

Es mag Menschen geben, die ihn lediglich als Rat gebenden Sex-Onkel in deutschen und österreichischen Illustrierten kennen. Dass er mit seinen Büchern einer der vielgerühmtesten Sexualwissenschaftler des 20. Jahrhunderts war, gerät darüber leicht in Vergessenheit. Sein Hauptwerk Das Patriarchat, 1935 begonnen, 1975 veröffentlicht, beschrieb die Konterrevolution der Männer gegen die frauenrechtlichen Gesellschaftsstrukturen in der Antike, sorgte in den Siebzigern für Furore und wurde recht kontrovers diskutiert.
      Er lehrte Soziale Kulturpsychopathologie am Psychologischen Institut der Universität Salzburg, hatte mit dem Buch Die Ur-Szene (1977) eine reflexive Autobiografie verfasst, die eine intellektuelle Selbstanalyse ist und zudem einem Gang durch das 20. Jahrhundert mit seinen Kämpfen und Persönlichkeiten gleichkommt. Ja, bekennender Marxist war er zudem. Aber an Marx erinnert man sich heute ebenso ungern wie an Bornemann.

Weitestgehend vergessen ist Bornemann auch als Jazz-Kritiker. Dabei war er auf diesem Gebiet ebenso ein Pionier wie auf dem der Sexualforschung. Seine Liebe zum Jazz begann, als er 1930 in Berlin dem legendären Jazz-Musiker Sidney Bechet begegnete. Als Bornemann 1933 vor den Nazis nach England floh, war der 18-jährige alsbald regelmäßiger Gast im "Nest" oder im "Shimsham", den angesagtesten Jazz-Clubs in London, wo er, Bass, Drums oder Klavier spielend, auf Dizzy Gillespie, Louis Armstrong oder Duke Ellington traf.
      Natürlich schrieb Bornemann, der in England zusammen mit Brecht die Dreigroschenoper ins Englische übersetzte, auch über Jazz und avancierte alsbald zu einem der wichtigsten Autoren des Genres. In einem über 600 Seiten dicken Manuskript Swing Music hatte er 1940 versucht, auf musikwissenschaftliche, soziologische und ethnologische Weise, Antworten auf die Fragen des Jazz zu geben: Was bedeutet der Rhythmus, die Synkope im Jazz? Woher stammt das Wort "Jazz"? Wie wirkt sich Marihuanagenuss auf die Musik aus?
      Zudem machte er in Kanada Jazz-Filme, veranstaltete Konzerte mit Mezz Mezzrow und Oscar Peterson, wurde Mitherausgeber des amerikanischen Jazz-Magazins The Record Changer, schrieb u.a. für Down Beat, Melody Maker, Metronome, Variety und Présence Africaine, veröffentlichte ein Buch wie A Critic Looks At Jazz und eine 1954 von der BBC aufgeführte Jazz-Oper, verfasste Liner Notes zu Alben, hielt Vorträge, machte Radiosendungen. Thema oft genug: der Jazz und seine afrikanischen Wurzeln. Für Nat Hentoff, einen der profiliertesten Jazz-Experten (und Krimi-Autoren!), war er schlicht einer der führendsten und Jazzkritiker und -forscher der Welt.
      Ende der sechziger Jahre hatte er noch einmal mit einer Arbeit über den Jazz angefangen. Black Light And White Shadow sollte das Projekt heißen, ein soziologisch-ethnologisch-musikwissenschaftliches Werk über die afrikanischen und kreolischen Ursprünge des Jazz und ihre Behauptung im modernen Jazz. Ein Werk, angeschoben von den Überlegungen der Universität Graz, für ihn einen Lehrstuhl für musikalische Afro-Amerikanistik einzurichten. Da wurde dann nichts draus - aber immerhin vermachte er dem Musikarchiv der Akademie der Künste in Berlin Manuskripte zum Thema Jazz im Gewicht von etwa 80 Kilo.
      Dass sich sein letztes Jazz-Projekt Black Light And White Shadow wie der Titel eines Krimis anhört, - Zufall? Eher nicht. Denn er war zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten nicht nur Tellerwäscher, Dramaturg, Kameramann, Filmemacher, Festival-Organisator und als Intendant des geplanten staatlichen deutschen Fernsehens im Nachkriegsdeutschland Adenauers im Gespräch, sondern zudem Krimiautor. Zusammenarbeit mit Brecht, Orson Welles, Wilhelm Reich und Louis Armstrong, klar! Zudem aber Soloarbeiten: Kriminalromane. Einfach so. Natürlich mit Erfolg. Aber wer kennt ihn heute noch als Krimi-Autor?

1937 erschien in London unter dem Pseudonym "Cameron McCabe" sein erster Krimi The Face on the Cutting Room Floor (Stumme Zeugen lügen nicht, Bern 1969). Eine Fingerübung für Bornemann, die ihm das Studium finanzieren helfen sollte, und recht experimentell gehalten. Später tauchte "Cameron McCabe" in Krimi-Anthologien als einer der wichtigsten Autoren auf, in einer Reihe mit Edgar Allen Poe, Raymond Chandler, Patricia Highsmith, Dashiell Hammett und Umberto Eco. Sein Buch galt als sprachliche Meisterleistung, wurde, in viele Sprachen übersetzt, gar zum Welterfolg - und das Pseudonym blieb über Jahrzehnte lang ungelüftet!
      1948 erschien in London und New York Tremolo (Am Apparat des Jenseits, Bern 1968), das Buch, das Spannung, Spiel und Sensationen, sprich: Suspense, Jazz und Bornemanns anderes Lebensthema, Frauen, miteinander kurzschloss. Ohne den Spannungsknoten aufzulösen, sei kurz geschildert, wovon Tremolo handelt: Es ist ein Krimi der Stimm(ung)en. Ein vom Jazz begeisterter Klarinettenfabrikant ist auf der Suche nach der idealen Klarinettenstimmung und auf der Suche nach seinem Instrument. Seine Liebe gilt dem Jazz und seiner Frau. Was aber ist, wenn die Stimme seiner Frau ihn täuscht? Wie klingt die Stimme der Liebe? Wie die der Eifersucht? Irgendwann hält der Wahnsinn Einzug in den Alltag, und alles ist zum Schreien. (Auch wenn viel geflüstert wird in diesem Buch!) Tremolo ist ein Buch der Stimmen, es handelt vom Erlernen der Erkenntnisfähigkeit, in (weiblichen) Stimmen Wahrheiten zu hören.
      Die Auflösung des Falls ist dann eine, die an Robert Blochs Psycho erinnert - , nicht zufällig interessierte sich Hitchcock für den Stoff. Es war dann Yul Brynner - "damals hatte er noch Haare" (Bornemann) -, der Tremolo für CBS 1950 als Fernsehspiel inszenierte.
      Das Grandiose an diesem Psycho-Krimi? Die Jazz-Szene erscheint nicht als exotische Dreingabe eines Kriminalfalles, sondern als eine von mehreren kunstvoll miteinander verwobenen Ebenen, von denen jede eine inhaltliche Deutung beansprucht. Der Jazz bietet Vertrauen, die Liebe Zweifel und Vertrauen, die übersteigerte Liebe Eifersucht, Wahnsinn und falsche Stimm(ung)en. Die führen zum Verbrechen. Und falsche Stimm(ung)en haben im Jazz und anderswo nichts zu suchen. Ein sehr stimmiger Jazz-Krimi, möglicherweise einer der wenigen, die außerhalb der afroamerikanischen Jazz-Krimis entstanden sind, die ihr Attribut verdienen. (Und der natürlich unstimmig übersetzt wurde!)

Ist es da ein Zufall, dass Bornemanns Freund und Übersetzer einiger Texte, der in den sechziger Jahren zum deutschen "Jazz-Papst" erkorene Joachim Ernst Berendt ebenfalls die "Stimmen der Frauen" zu seinem Lebensthema machte?
      Berendt hielt in jenen Jahren in der Jazz-Szene die Position inne, die Bornemann bei Interesse ebenso hätte ausfüllen können. Berendt hatte als Jazz-Kritiker begonnen, sich aber Anfang der achtziger Jahre neuen Themen und Thesen wie "Das Hören ist weiblich" zugewandt. Wie Borneman und Berendt, die im freundschaftlichen Disput standen, sich wohl miteinander über "die Stimmen der Frauen" ausgetauscht haben? In welchem Verhältnis Berendts Bücher zu denen von Bornemann stehen? Für Jazzfans dürfte die Klärung dieser Fragen so spannend wie ein Krimi sein.
      Und Krimifans sollten mit einem leichten Schrei der Verzückung reagieren, wenn eines fernen Tages vielleicht doch noch einmal eine neue deutsche Übersetzung mitsamt Kommentierung von Tremolo auf dem deutschen Markt erscheint. Ja, Schreie des Verlangens gibt¹s auch!

 

© Harald Justin, 2007
Jazz in Crime - Kalender für Kriminalliteratur 2008
Daedalus Verlag, ca. 140 S., 9.95 Euro (D)

 

Weiteres zu Ernest Bornemann:
Sigrid Standow (Hg.): Ein lüderliches Leben - Porträt eines Unangepassten (Festschrift für Ernest Bornemann zum achtzigsten Geburtstag), Löhrbach, o.J.

 

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