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Jörg Juretzka: Fallera

Eine Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Rotbuch Verlags.

 

Kapitel 1 (Auszug)

Fallera »Ich bin unschuldig wie ein Lamm«, sagte ich, automatisch.
      »Kryszinski«, seufzte es am anderen Ende der Leitung, »ich habe Sie nur gebeten, heute einmal bei mir im Büro vorbeizuschauen. Sie können es also tun, oder Sie können es lassen. Und fragen Sie mich nicht, was mir lieber wäre.«
      Ich nahm den Hörer vom Ohr und sah ihn kurz und überrascht an. Dies war ein Novum. Menden bittet normalerweise nicht. Und er lässt einem auch nicht die Wahl. Normalerweise kommandiert er, und wenn man nicht sofort spurt, schickt er zwei Mann raus, zum Nachhelfen. Wie gesagt, normalerweise.
      Sie mussten bis zum Hals in der Scheiße stecken, auf dem Präsidium.
      »Was wäre Ihnen denn lieber?« fragte ich, den Hörer wieder am Ohr, und hatte Zeit, die Pillen vor mir auf dem Küchentisch in drei Reihen zu sortieren ­ links die blauen Dragees, in der Mitte die hellgelben Tabletten und ganz nach rechts die zur einen Hälfte weiß und zur anderen transparent gehaltenen Kapseln voll winziger roter Kügelchen - bevor der Hauptkommissar seinen langen Atemzug der mühsam erkämpften Beherrschung hinter sich gebracht hatte. Doch als er dann endlich sprach, klang er völlig verändert, geradezu fremd.
      »Ich fände es sehr nett, wenn Sie sich die Zeit nähmen«, sagte er, und ich musste mit mir ringen, den Hörer nicht ein zweites Mal in kritischen Augenschein zu nehmen. »Ich habe Ihnen einen kleinen, leichten Job anzubieten, der eigentlich voll auf Ihrer Linie liegen müsste und der obendrein mehr als angemessen dotiert ist.« Und seine Stimme klang warm und freundlich dabei, fast schon väterlich. Wie die Stimme des Mannes mit der Haube über dem Kopf, der sagt: 'Sehr schön, und wenn Sie jetzt noch so reizend wären, Ihren Kopf durch diese Schlaufe hier zu stecken, macht ein gut sitzender Strick die ganze Angelegenheit doch soviel einfacher für beide von uns.'
      Genau so.
      Warum ich trotzdem hingegangen bin?
      Tja.

*

Gott im Himmel, da hatten sie uns ja ein wundervolles Panoptikum von Wackelköpfen zusammengestellt. Ich besah sie mir unauffällig, während Hufschmidt ein großes Gehampel daraus machte, mir die Handschellen aufzuschließen. Im Hintergrund, mit dem Rücken zu mir, in Betrachtung der Aussicht versunken, gleich zwei Rollstuhlkrüppel. Toll. Das würde eine schöne Plackerei werden, in einer Gegend wie dieser. Dazu kamen, auf den ersten Blick, ein Dorftrottel, dem sie die Wachstumsdrüse zehn Jahre zu spät ausgeknipst hatten, ein wie ein später Picasso in seinen Proportionen verschobener Spastiker, ein kleiner, wulstiger Mongoloide, eine babbelnde Schwachsinnige mit einer beunruhigenden, faustgroßen Delle in der Stirn, und dieser Klops auf Beinen mit den halbverhangenen Augen und dem schmierigen Grinsen, der auf mich zu getrippelt kam und mir eine schwielige Rechte entgegenstreckte, die ich garantiert nicht schütteln würde, war in schönster Offensichtlichkeit vom Onanieren verblödet.
      »Guten Morgen«, strahlte er mich an, mit Zähnen, die noch eine Schattierung gelblicher daherkamen als altes Elfenbein. »Sie müssen Kristof Kryszinski sein, aus Nordrhein- Westfalen, richtig?« Und er hielt seine Hand weiterhin ausgestreckt, ungeachtet der Tatsache, dass meine sich angewidert hinter meinem Rücken zu verstecken suchte. Was kommt nach Elfenbein? dachte ich. Zwölfenbein?
      »Ich bin Doktor Welfenheim«, stellte er sich vor, und meine Rechte fühlte sich eigenartig in die Pflicht genommen, »der geistige Urheber dieses Projekts.«
      Sein Händedruck war überraschend trocken und eigenartig explorativ. Als wolle er mal kurz meine Handknochen auf Vollständigkeit überprüfen. »Meine Aufgabe unterwegs wird die psychologische Betreuung und ­ « er machte eine schwangere Pause - »Begutachtung sein.«

*

»Was genau heisst 'Mehr als angemessen dotiert'?« fragte ich, atemlos, noch nicht ganz im Zimmer, duckte mich vorsichtig unter dem Türrahmen hindurch und die Klinke entglitt mir und ein Donnern fuhr bis in die Grundmauern, als die Türe gegen den Aktenschrank krachte.
      »In Zahlen?«
      Hauptkommissar Menden stand am Fenster und blickte sinnend hinaus. Das kann er, da macht ihm keiner was vor. Man könnte auf die Idee kommen, der Staat zahle ihm sein Gehalt einzig und alleine dafür, dass er den Innenhof des Mülheimer Präsidiums im Auge behält.
      »Schließen Sie die Tür, Kryszinski, und setzen Sie sich. Leise!«
      Aus irgendeinem Grund entglitt mir die Klinke beim Schließen nochmal, doch zum Ausgleich dafür setzte ich mich dann so leise es ging. Der Stuhl ächzte gefährlich unter meinem Gewicht, und seine vier Stahlrohrbeine stanzten münzgroße Stücke aus dem Linoleum. Ich hatte die Kapseln in Verdacht. Die mit den roten Kügelchen drin. Nur ein paar zuviel davon, und schon... Nichts schien mehr zu passen. Selbst der Kragen meines T-Shirts schnürte sich eng und enger. Ich zerrte dran, bis der Stoff knirschend nachgab. Anschließend ging es mir kurz ein bisschen besser.
      Menden entließ eine Menge Atem in vielen kleinen Stößen, dann löste er den Blick vom Hof und schenkte ihn, wie man so sagt, mir. Immer ein Moment, das, bei Menden. Immer ein bißchen so, wie dem Sensenmann an einem Montagmorgen zu begegnen. Da ist dieses lange Gesicht, so hager dabei, gefroren zu einem Ausdruck, für den es wohl keine vollendetere Umschreibung gibt als 'Bis zum Erbrechen genervt'. Und dann erst seine Augen. Sie sind von der gleichen Farbe wie der Inhalt einer Urne, nur ungleich lebendiger, irgendwie. Sie weiteten sich bei meinem Anblick. Sie weiteten sich, bis sie die Höhlen bis an den Rand ausfüllten, doch damit war noch nicht Schluss. Sie dehnten sich, wuchsen, schwollen an wie Ballons, bis zum Platzen geblähte, weiße Ballons in Netzen von schwarzvioletten, pulsierenden Adern, begannen, mit einem feucht und gedämpft knackenden Geräusch den Schädel des Hauptkommissars auseinander zu drücken, wuchsen und wuchsen...
      »Was ist mit Ihnen, Kryszinski?« fragte der winzige Mund unter den beiden fussballgroßen, starrenden Augäpfeln. »Sie sehen krank aus.« Das sagt der Richtige, dachte ich.

*

Der verdammte Schlüssel... er passt nicht mehr. Das kann nur eins bedeuten: Dieser heimtückische Hausmeister hat schon wieder mein Schloss ausgewechselt... Ich werde ihn suchen müssen, jetzt gleich, und ihm ein für alle Mal klarmachen, dass er die Finger von meinem Schloss zu lassen hat... Ein für alle Mal... Hab ich das nicht schon?... Ein für alle Mal?...
      »Kryszinski? Sind Sie das?« Eine Frauenstimme. Hinter der Türe. Hoch. Hysterisch.
      Da haben diese Arschlöcher meine Bude schon weitervermietet... Dafür werden sie mir büßen, alle... Einfach meine Bude weiterzuvermieten... Man braucht ihnen nur kurz den Rücken zuzudrehen... Wie lange bin ich eigentlich nicht mehr zuhause gewesen?...
      »Gehen Sie weg! Ich kann Sie durch meinen Spion sehen, Kryszinski! Gehen Sie weg! Sie haben sich schon wieder in der Wohnung geirrt! Ihre ist eine Etage höher, verdammt nochmal!«
      Hysterisch, die Alte.
      »Wenn Sie noch einmal an meiner Wohnungstüre kratzen, hole ich die Polizei!»
      Komplett hysterisch.
      Gottsverdammte Scheiße, hier sieht aber auch eine Etage aus wie die andere... Eine verkommener als die andere... Voller Dreck, Ungeziefer, Abschaum... So wie diese kaugummikauende Daunenjacke mit der Schmiere im Haar... Zu doof, sich die Schuhe zuzubinden... Hose mit dem Schritt in den Kniekehlen... Auf fast zwei Meter aufgedunsen durch einseitige Überfütterung mit Cola, Chips und Schokoriegeln... Aufgesetzte Coolness, wiegender Gang... Macht auf gar keinen Fall Platz... Gut...
      »Ey, Mann, was's los? Hassu kein' Respek'?«
      Kein Respek'? Kein Respek'? Wie soll ich Respekt haben vor jemandem, der sogar zum Artikulieren zu faul ist, du aufgeschwemmter Hosenscheißer? Soll ich dir zeigen, was das ist, Respekt? Soll ich es dir zeigen?!... Soll ich?...
      »Ey, Mann, komm weiter!« Zu zweit jetzt. Der andere, der Kleinere, ist hier aus dem Haus. Zieht den mit der Daunenjacke mit sich. Augen groß, voller Schrecken. Der Größere protestiert noch, stammelt weiterhin was von 'Respek''.
      »Nun komm schon, weg hier! Bist du verrückt?« Sie sind fast am Treppenabgang, jetzt, doch mein Atem flieht noch immer. Ein Schleier, rot wie Blut, hat sich vor meine Augen gelegt und ich spucke Blasen. »Weißt du nicht, wer das ist?! Das ist Kryszinski, von Nummer 743. Gemeingefährlich... Völlig verstrahlt...«

*

»Laut meiner Liste stehen Sie auf der Seite der...« Dr. Welfenheim suchte nach einem Wort, »...Begleiter«, entschied er sich, »und nicht etwa der Patienten, und doch wäre es vielleicht ganz gut, wenn wir beide uns heute im Laufe des Tages mal zu einem Gespräch zusammensetzten. Sie haben da ein Problem, ich spüre es, und Ihnen, glaube ich, ist das auch bewusst. Was ich gerne herausfinden möchte, ist, wie weit Ihre ... nennen wir es Ablehnungshaltung ... geht.«
      »Klar doch«, sagte ich. Und dachte: Mach dich auf was gefasst, Dickerchen. Das wird eine ziemliche Reise.

 

© Rotbuch, 2002
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