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Schauderhaft & Jammervoll

Wenn Krimis stocklangweilig werden...

Vermutlich ist Kriminalliteratur die erfolgreichste Textsortierung seit Erfindung des Kapitalismus. Immer mehr Verlage setzen auf den Trend und warten mit neuen Krimiprogrammen auf. Doch die gnadenlose Überproduktion hat Konsequenzen auf allen Ebenen. Funktioniert das Kalkül nicht, bleiben die Umsätze hinter den Erwartungen zurück, droht eine neue Marginalisierung des Genres.

Von Thomas Wörtche

 

Es ist in letzter Zeit schick, bei den endemisch gewordenen Umfragen, was uns am Krimi so fasziniere, aufs Kathartische nach Aristoteles hinzuweisen - man lasse sich eben gerne läutern & und finde Vergnügen am letztendlich Moralischen. Lassen wir mal den Subtext beiseite, daß die Umfrage, lautete sie: Warum kaufen Sie Krimis? mit der Antwort: Weil sie stapelweise an Buchverkaufsstellen zur Hand sind und ich mich nicht langweilen will beim Lesen bestens bedient wäre. Aber wir streben ja, seit Krimis, Thriller & Co. die beliebtesten und immer noch mehr beliebtesten Literatursorten sind, nach Höherem. Vermutlich ist Kriminalliteratur in der Tat die erfolgreichste Textsortierung seit Erfindung des Kapitalismus, und so etwas erfordert dann zugegebermassen mindestens Aristoteles. Ob eine bald zweitausendvierhundert Jahre alte Theorie über Dramen so mirnichtsdirnichts auf erzählende Prosa unserer Tage zu übertragen wäre, wollen wir hier noch nicht mal ansatzweise diskutieren. Sondern einfach feststellen, daß das Jammervolle und Schauderhafte, das laut Aristoteles die Dramen bevölkert, auch in Kriminalromanen vorkommt. Als Thema und Plot, als Story und Fabel - und natürlich auch als Qualitätsbeschreibung: Die meisten Krimis sind halt jammervoll und schauderhaft schlecht, aber das ist nun mal so, wenn man über menschliche Hervorbringungen spricht...

Vor allem sind Krimis viele. Sehr viele sogar. Auf meinem Schreibtisch landen pro Monat circa 170 Stück aus deutschsprachigen Verlagen - ob "Krimi", "Thriller" oder sonstwas draufstehen mag. Das ist dann doch eine ziemliche Menge, die nicht nur ein klein wenig nach Inflation riecht. Das ist Überproduktion, Halde, Leichenberg. Zweifelsohne: jeder dieser Titel ein großer Wurf, zweifelsohne jeder Titel bestens werblich aufgestellt, betreut, gefeatured, sachkundig und kompetent lektoriert, mit optimalen Umschlägen, brillant & hochwertig übersetzt, auf feinstem Papier gedruckt und enorm preisgünstig. Ja! Wer möchte da widersprechen? Natürlich hat eine solche gnadenlose Überproduktion Konsequenzen. Auf allen Ebenen. Und in aller Dialektik. Vor allem verwirrende, denn sehr rational scheint es in Krimi-Land zur Zeit nicht zuzugehen.

Versuchen wir uns mal an ein paar Symptomen:
In der Verlagswelt hat sich irgendwie herumgesprochen, daß man mit Kriminalliteratur Geld verdienen könne. Nämlich einfach so, wie mit einer Art Gelddruckmaschinchen, ohne besondere Kosten. Die tief illusionären Beispiele und Belege dafür sind allerdings meistens fragwürdig, wenn man sie genauer anschaut.

Andrea Maria Schenkel etwa und ihre Erfolgsstory seit "Tannöd". Nichts allerdings spricht dafür, daß man auch nur im Geringsten weiß, WAS genau denn diesen Erfolg dieser Autorin in diesem Verlag (Nautilus - man freut sich, daß der Erfolg auch mal "die Richtigen" trifft) zu diesem Zeitpunkt (2005/6 bis heute) ausgemacht hat. Man weiß auch nicht, warum bei dem Tsunami aus historischen Krimis, der uns zur Zeit ununterscheidbar mit ununterscheidbarer Thematik, dito Figuren, dito literarischer Organisation überspült, tatsächlich Multiplikatoren auftauchen, die dergleichen unbedarften Unfug für "gut recherchiert" halten. Wir wissen nicht, wie man bei der Welle der Global- und Ethnokrimis, die in fremden Welten und Gesellschaften spielen, es schaffen kann, ein Publikum zu überzeugen, daß dicke schwarze Detektiv-Mamis, liebe türkischen Polizisten und durchtriebene asiatische Schurken irgendwie "authentisch" oder "mit gaaaanz viel Lokalkolorit".

Wir wissen auch nicht, was Verlage dazu bringt, "Krimireihen" zu gründen, die dann mit einer alten Lizenz und einem zufällig zugelaufenen Autor aus Übersee als "Reihe" starten (so geschehen bei Kein & Aber), ohne daß irgend jemand im Haus Ahnung von der Materie erkennen ließe. Und vom vielbeschworenen "Markt" auch nicht, denn der ist so doof nun auch wieder nicht, wie man zu unterstellen geneigt sein mag. Das wird leider auch der nette, sympathische Quer-Verlag mit seiner schwul-lesbischen "Reihe" spüren - know how kann man nicht einfach aus dem Ärmel zaubern.

Man kann schon gar nicht nachvollziehen, was Zsolnay/Hanser dabei denkt, die Umsatzdelle, die das Ausbleiben der Moneymaker, nämlich Henning Mankells "Wallander-Romane" (die Non-Wallanders reichen bei weitem nicht an die Umsätze der Erfolgsformel heran) ausgerechnet mit einem längst abgelaufenen Modell wie den Parker-Romanen des leider gleich nach Start der Serie gestorbene Donald E. Westlake (alias Richard Stark) ausbeulen zu können. Nicht, weil diese charmanten, aber thematisch und ästhetisch arg zopfigen Büchlein nicht nett, liab und lobenswert wären, sondern weil man eigentlich wissen müßte, daß man mit dieser Art von Retro-Pflege zwar ein engagiertes und helles Publikum erreicht, das aber in diesem Lande quantitativ sehr überschaubar ist. Zudem widerlegt die Ökonomie der Parker-Romane (die soviel verkaufen mögen, wie das Marketing behauptet, aber natürlich weit entfernt von den Zahlen sind, die Megaseller ausmachen, die strukturell wichtig für einen Verlag sind), daß alleine der Erscheinungsort schon einen gewissen Verkaufserfolg garantiert. Das Prestige liefert im Falle Parker der weltweite Ruhm von Westlake selbst, der Zsolnay/Hanser-Effekt, von dem Mannkell profitierte, zieht hier nur beim Feuilleton. Für die Leser bildet Zsolnay/Hanser ein Milieu, in dem explizite hack-Autoren wie Westlake auch einer war, eher ungewöhnlich sind.

Kein Mensch aber weiß erst recht, was man sich bei Suhrkamp gedacht hat. Die Gründung einer eigenen Krimi-Reihe kam eigentlich zu spät. Zu einem Zeitpunkt nämlich, an dem das gierige Setzen auf eine kostengünstige Cashcow schon allzu durchsichtig war. Es sei denn, man glaubt, daß man erst vor ein, zwei Jahren in der Lindenstraße die Liebe zum Genre entdeckt hat. Man möchte auch gerne glauben, daß die Verlegerin Krimis über alles schätzt, und daß man sich die größte Mühe gegeben hat, die Filetstücke des Genres auf dem Weltmarkt zu erhaschen. Aber dann weiß man immer noch nicht, was um Himmels willen die Verantwortlichen dazu getrieben hat, mit einem sinnlose schlechten Roman ("Der deutsche Freund" von Dorph/Pasternak), einem sinnlos langweiligen Roman ("Miss Winters Hang zum Risiko" von Kathryn Miller Haines) und einem sehr guten Autor (Don Winslow) aufzumachen, der allerdings hierzulande schon als gescheitert galt (der Buchhandel hat für dergleichen ein langes Gedächtnis). Dazu eine Medienarbeit, die extrem putzig ist. Werbung auf der qualitätsnotorischen "Krimi-Couch", anbiedernde Mails ins Blogger-Milieu, anstatt Position zu beziehen. Wie auch, gibt es doch keine substantiellen Äußerungen zu Programm und Idee des ganzen Unternehmens. Von der Buchgestaltung, die die Krimis anscheinend vor genuinen Suhrkamp-Lesern durch die intendierte Verwechselbarkeit der Cover mit Konzernverlagsbücher verstecken wollen, möchten wir gar nicht reden. Angesichts der Ressourcen des Hauses, einfach schade - und nur in Zeiten überhaupt denkbar, in denen man schnelle Umsätze ohne große Kosten generieren muß. Kein Kompliment für das Genre, eher ein Beleg für die wirkliche Verachtung für das Genre.

Diese Beispiele - es fallen mir auf Aufruf sicher noch ein paar andere Fälle ein - aber nur als Beleg für die Vermutung, daß die "Verwertung" des Krimis so allmählich ihre letzte Phase erreicht.

Denn eines ist auch klar: Funktioniert das Kalkül nicht, d.h. verkaufen die Verlage mit ihren neuen "Krimi-Reihen" nicht sehr bald sehr viele Bücher - und das werden sie, dazu braucht man kein Prophet sein, nicht tun, - dann ist's zappenduster. Das Genre wird ratzfatz wieder re-marginalisiert werden. Und deswegen sehe ich solche Entwicklungen mit der beschriebenen Dynamik auch nicht gerne.

Denn der größte Feind der Kriminalliteratur ist nicht nur die schlechte Kriminalliteratur. Der noch schlimmere Feind ist die noch nicht mal schlechte, bzw. die sosolala-Kriminalliteratur bzw. die artige Kriminalliteratur. Die domestizierte und zahn- und klauenlose Kriminalliteratur. Denn es sind ja nicht nur Suhrkamp, Zsolnay und andere mehr oder weniger ahnungslose, aber wacker bemühte Programme, die die Einfallslosigkeit und das Prinzip "Gehen-wir-mal-auf-Nummer-sicher" durchexerzieren, bis jegliches Risiko weggebügelt und desinfiziert ist.

Die Kehrseite des Booms heißt nämlich Konformität, Bravheit, Wohlerzogenheit, ein wenig Neokonservatismus, Wohlanständigkeit, Gediegenheit, Muff und Rückzug auf gesicherte Werte. Es sind die glatten Romane von Jan Costin Wagner, von Oliver Bottini, von Thomas Kastura et al, die in letzter Zeit den Eindruck vermitteln, gerade deutschsprachige Kriminalromane seien irgendwie "besser" geworden, substantieller, durchdachter, gebildeter. Weil Bildungsgut pausenlos thematisiert, ausgefaltet, angespielt und verarbeitet wird, bleibt anderes auf der Strecke - nämlich eine Ästhetik des Kriminalromans, die irgendwie in der Lage sein könnte, zu verstören, Chaos und Entsetzen, in der Tat Jammervolles und Schauderhaftes anzurichten und vor allem: endlich mal wieder die Grenzen des angeblich guten Geschmacks einzureißen und die allzu selbstgefälligen Sinnstiftungen mit ein paar literarischen Sprengladungen zu sabotieren. Dazu all diese gut gemeinten Krimis über Kinderschänder (ob die allerdings gutgemeint sind oder sich mit ihrem empörtem Duktus einfach an die Sensationsgeilheit einer RTL-isierten Klientel dranhängt, kann man nicht immer deutlich ausmachen.....), über Gewalt gegen Frauen, über Menschen mit Migrationshintergrund, also alle die Krimis, die sich mit ihrer "über-"Thematik schon aus dem Kreis der ernst zunehmenden Literatur verabschiedet haben, bevor man begonnen hat, sie zu lesen, die alle sind ja zur "guten Unterhaltung" runter gebrochen und folgen simpel den Erfordernissen einer Verlags- und Vertriebslandschaft, die den AutorInnen allzu gerne alles vorgeben möchten: "Das kann man sooo nicht machen", hört man es oft aus Lektoratsstuben schallen, das "geht im Krimi nicht" und ähnliches Geblubber von Leuten, die dafür bezahlt werden, AutorInnen jeden Hauch von Individualität, Exzentrik, ja, Genie und Wahnsinn auszutreiben und "vernünftige" massenkompatible und genormte Produkte herzustellen.

Auch das gab es natürlich schon immer und ist nichts Neues unter der Sonne, sondern tritt nur im Moment besonders deutlich zu Tage, wo der "Kriminalroman" im Mittelpunkt des ökonomischen Interesses steht. Und von solchen Konjunkturen haben die Avantgarde, haben die wirklichen Innovatoren noch nie so richtig profitiert, zumindest nicht im Genre "Kriminalroman". Vermutlich einfach deswegen, weil Avantgarde und Innovatoren zwar unter Autoren etc. geschätzt und geliebt werden, den Distributoren aber herzlich egal sind. Und den nachbetenden Presseorganen sowieso, denn bei denen entfällt ja in Zeiten der Hausse eines Genre sowieso jede Qualitätskontrolle, weil keine Maßstäbe zur Verfügung stehen.

Hat man also solchermaßen ein ganzes Genre zum portionsweisen Verkauf und häppchenweisen Konsum kleingeschreddert und mit Emulgatoren und anderen Gleitmitteln versetzt, harmlos gemacht, verdödelt und verblödet, ist auch dem scheindemokratischen Diskurs darüber Tür und Tor geöffnet. Deswegen können solche Portale wie die "Krimi-Couch" und brotdumme Blogs von der Sorte, die Populismus und Hetze gegen Kompetenz und Trennschärfe betreiben, (um einen schönen Artikel von Adam Soboczynski in der ZEIT 22/2009 zu zitieren) auch noch mit der Unterstützung von Verlagen rechnen, denen diese Art unkontrollierte, hämische und höhnische Denunziation von Differenzierung, Bildung, Argumentation usw. sowieso bestens in die Marketing-Pläne passen, die jeden Schrott als "Kultur" verkaufen müssen, um sich behaupten zu können. Wobei, um sinnlose Diskussionen zu vermeiden, es natürlich auch ganz wunderbare Blogs gibt. Das Medium kann man nicht für dessen Verwahrlosung haftbar machen.

Die graue, gleichgeschaltete und mit allerlei "Illusionsräumen" ausgestattete, demoskopisch-statistisch verstandene Kultursimulation (in der Leute Bücher "rezensieren", deren Handlung sie noch nicht einmal korrekt zusammenfassen können, aber Anspruch auf Juryplätze, Akzeptanz und intellektuelle Satisfaktionsfähigkeit erheben), die Siegfried Kracauer schon in seinem "Angestellten"-Buch (1929f) beschrieben hat, sie ist wiedergekehrt, Grausiger denn je, und ausgerechnet auf einem Feld, an dem man mit guten Gründen den Dissens mit gesellschaftlichen Verlautbarungen, mit Propaganda, Leitkultur und anderen Schein-Konsensen unserer Gesellschaften vermuten konnte: Bei der Kriminalliteratur.

Die Projekte, die etwas wagen, die riskant sind, werden kaum belohnt: Christine Lehmann wurde belehrt, ein Kriminalroman dürfe nicht auf dem Mond spielen (»Nachtkrater«), Stuart MacBride muß sich mit seinen bizarr-komischen Romanen aus Aberdeen pausenlos als kleiner Ableger von Ian Ranking jovial auf die Schulter klopfen lassen (vermutlich weil seine Bücher auch in Schottland spielen), und bei Lee Child wird kaum bemerkt, wie intelligent dieser Autor mit den Problemen von Zufall, Kontingenz und Gewalt umzugehen weiß. Statt dessen werden biedere Provinzautoren wie Horst Eckert mit Autoren von Weltrang wie Ross Thomas in Zusammenhang gebracht (naja, Mozart und James Last, Moppel-Ich und Dichtung und Wahrheit, ist eh alles wurscht) und Betroffensheitsgrimmis wie Gisa Klönnes »Nacht ohne Schatten« als literarische Offenbarung gehandelt.

Was also tun mit diesem ganzen Biederkram, mit dieser Flachheit auf Niveau, mit dieser Langeweile im Spannungskleidchen? Warten bis bessere Zeiten kommen? Das Jammervolle und Schauderhafte hinnehmen wie's kommt? Und auf die Katharsis hoffen? Die allerdings soll dann bitte nicht moralisch-sittlich (von welcher Warte aus auch?) sein. Sondern ästhetisch. Krimis sollen und müssen dringend endlich mal die Sau raus lassen. Damit stürmen sie dann immerhin gut durch die (kriminalliterarische) Krise, die kommt, so sicher wie das berühmte Amen in der Kirche.

 

© Thomas Wörtche, 2009
(Buchkultur
Krimi Spezial
Sommer 2009
)

 

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