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Cream of Crime 1/1994

Marc Behm: Durchgeknallt

 

In der Konfettiabteilung "bunt, frech und anders" - abschreckender geht's nimmer - hat der Piper-Verlag einen Autor von beachtlichem Format versteckt: Marc Behm, bestens bekannt für seine Drehbücher ("Charade", zum Beispiel, oder "Help!"), berühmt und überall sonst auf dieser Welt hochgeschätzt für seine maliziösen Romane ("Das Auge"). "Durchgeknallt" ist der zweite Band der schäbig gestylten, aber immerhin wohlfeilen Werkausgabe, die man mit mindestens 10jähriger Verspätung endlich plant. Eher eine lange Novelle als ein Roman, weil epische Breite für Behm nur zum Verspotten da zu sein scheint. Ein "Epos" ist nämlich in die Erzählung von dem einsamen, reichen Patrick Nelson eingelagert - die überdrehende Parodie historisierender Exotik-Schinken wie "Watermusic" von T.C Boyle etwa.

Die Haupthandlung von "Durchgeknallt" hat ebenfalls stark parodistische Züge. Ein Serialkiller geht mal wieder mit der Axt um und schlachtet wahllos Männlein und Weiblein, vornehmlich in der Umgebung von Briefkästen. Patrick Nelson, der nur ein bißchen wunderlich ist, ein reiner Tor sozusagen, verliebt sich in eine Polizistin, die mit dem Gehacke befaßt ist, und lenkt deren Aufmerksamkeit auf sich. Geschickt kondensiert und komprimiert Behm viele Merkmale und Handlungsklischees der Psychopathenromane der letzten Jahre zu einem Buch, das sie (fast) alle überflüssig macht. Hat man Behm gelesen, kennt man alle Serialkiller-Bücher, alle ihre Implikationen und hat sich auch noch über ihre (gegen-) aufklärerische Propaganda lustig gemacht, denn natürlich gibt es zum Schluß kein sauberes Ende. Es wird weiter geschlachtet.

Gleichzeitig spottet Marc Behm auch über das feinsinnige Gebilde namens "psychologischer Thriller", indem er seinen handelnden Personen, allen voran wieder Nelson, solch abgedrehten Macken und Ticks, eine solch lupenreine Genese der seelischen Beschädigung zudichtet, daß die Strickmuster von Highsmith bis Ruth Rendell grell leuchten. Die Copnovel mit ihren sorgfältig ausgepinselten Nebenrollen (auch da jagt ein Spinner den anderen) wird ebenfalls von Behm mit ein paar Strichen bis zur Kenntlichkeit eingedampft. Ein Strichlein mehr, und schon wird's komisch. Die größte Leistung aber ist, daß Behm dennoch und schlußendlich eine kleine Tragödie aus dem täglichen Aberwitz von Los Angeles erzählt. So sehr er überzeichnet und parodiert, spottet und zitiert, umso plausibler, umso echter werden seine Figuren.

Das ist nur anscheinend ein Paradox, denn Behm setzt literarische und sonstwie medial erprobte und mittlerweile totgelaufene oder schon immer fragwürdige Verfahren der komischen Brechung aus, denn sie alle taugen, ernsthaft und reinlich und korrekt angewendet, nicht, um den Irrsinn, der mittlerweile auf den Straßen einer Metropole herrscht, literarisch in den Griff zu bekommen. Die Wirklichkeit läßt die Literatur komisch aussehen, und nur eine Literatur, die das bedenkt, kann sich an die Wirklichkeit wagen. So könnte Behms These zur Realismusdebatte lauten, wenn er nicht lesbar mehr Spaß hätte, diese trockene Erkenntnis in elegante, ökonomische Prosa umzusetzen.

Und ganz nebenbei entwirft er noch eine kleine Dämonologie des Alltags, ein bedrohliches Szenarium des Gewöhnlichen, ein Appell ans genaue Hinkucken auf angebliche Nebensächlichkeiten, auf die Haushälterin, auf den Automechaniker oder die Postbotin. Das wiederum ist ein direktes Zitat eines der brillanten Urväter des Genres: Gilbert Keith Chesterton. Welche Story ich meine, will ich nicht verraten, um Behms Clou nicht zu verraten.

Den dämlichen Aufkleber (s.o.) hat der 1925 geborene Behm wahrlich nicht verdient, wohl aber die gute Übersetzung von Stephan Steeger.

© Thomas Wörtche

Marc Behm:
Durchgeknallt.

(O-Titel nennt der Verlag nicht) 1994.
Deutsch von Stephan Steeger.
München: Piper Verlag,
186 Seiten, DM 14,90

 

 

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