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Cream of Crime 5/1995

Robert Littell: Der Gastprofessor

 

Das Chaos hat etwas Verbindendes. Es verbindet Sankt Petersburg, Rußland, mit Backwater, USA; es verbindet die Interessen von Ex-KGB, Cosa Nostra, Mossad, Syrien und dem FBI, stößt aber bezeichnenderweise das Pentagon ab; es verbindet einen Serial Killer, eine Ausbildungsvorschrift der Royal Canadian Air Force, den Gründer einer Talmud-Schule, den E-Z Mart, Pi und den Hite Report. Das Chaos verbindet zum guten Ende auch seinen russischen Erforscher Lemuel Falk und die ausübende lebensweltliche Chaotikerin Rain Morgan.

Aus all diesen merkwürdigen bis obskuren Zutaten und noch vielen schrägen Einfällen mehr, hat der Amerikaner Robert Littell einen Roman komponiert, der das Kunststück fertigbringt, eine Menge auf einmal zu sein. "Der Gastprofessor" ist eine elegante Persiflage auf bleischwere Serial-Killer-Bücher und gleichzeitig auf den guten, alten Whodunnit, hat dazu noch alle Komponenten eines guten Spionageromans und ist passagenweise eine düstere Erinnerung an die bösen alten Tage in der Sowjetunion. Außerdem ein kluger philosophisch-mathematischer Traktat, eine hochkomische Reverenz an jüdische Chuzpe und Rhetorik, ein akademischer Roman für Fans von David Lodge, eine wehmütige Reminiszenz an alte Hippie-Tage und zudem ein schöner Liebesroman.

Lemuel Falk, der als Gastprofessor aus Sankt Peterburg ans "Institut für fortgeschrittenene interdisziplinäre Chaosforschung" nach Backwater kommt, ist natürlich gar nicht hinter dem Wesen des Chaos her - ein netter Seitenhieb gegen eine zur Zeit schicke Disziplin - sondern er sucht nach der reinen, unverfälschten Zufälligkeit. Als er dabei auf einen Serial-Killer stößt, erwischt er ihn alsbald bei dessn Versuch, Zufälligkeit zu simulieren - soviel zur Simulationstheorie -, was realiter natürlich völliger Unfug ist. So löst Robert Littell die verschiedenen Muster der zeitgeistigen Thrillerformen in luftig-leichte Gedankenspiele auf, ohne je Zweifel daran aufkommen zu lassen, daß "Der Gastprofessor" ein 'realistischer' Roman von hier und heute ist. Besonders bewundernswert erscheint mir dabei, wie geschickt und ohne sichtbare dramaturgische Anstrengung Littell die verschiedenen Handlungsfäden zusammenwebt, flink und geschmeidig die Perspektiven wechselt, seine Figuren, statt mit ellenlangen Beschreibungen, tatsächlich mittels ihrer Sprache charakterisiert und zeichnet (der Übersetzer Rudolf Hermstein hat das sehr schön sichtbar gemacht), wie virtuos er überhaupt Sprache als Kunstmittel und Bedeutungsträger einsetzt. Das Resultat ist schließlich nicht nur ein spannender Thriller, sondern eine beeindruckende und packende Atmosphäre von heiterem Wahnsinn. Wenn man sich nicht mal mehr aufs Chaos als ordnende Kraft verlassen kann, dann hilft wahrscheinlich nur noch Lachen. Insofern ist "Der Gastprofessor" auch ein Buch, das auf einem zutiefst legitimen Recht von Literatur insistiert: Eine Utopie formulieren zu dürfen. Eine Utopie freilich, die weder naiv noch fortschrittsgläubig noch weltanschauungs- bzw. religions- bzw. ideologiegestützt ist.

Robert Littell, früher Osteuropa-Korrespondent für Newsweek, gehört mit Sicherheit zu den hierzulande unbekanntesten und international unterschätztesten Gegenwartsautoren, ungeachtet aller Genregrenzen. Dabei hätte man schon seit seinem Erstling, "The Defunction of A.J. Lewinter" (1973) wissen müssen, daß er nicht nur ein brillanter Schrifsteller ist, der Leute wie John Le Carré unbedarft aussehen läßt, sondern eine immer sinnvoller werdende Sicht auf diese Welt zu artikulieren weiß: Mit Skepsis, leiser Melancholie, Witz, Sarkasmus und letztendlich zarter Hoffnung.

© Thomas Wörtche

 

Robert Littell:
Der Gastprofessor.
(The Visiting Professor, 1994).
Roman. Aus dem Amerikanischen
von Rudolf Hermstein.
München: Goldmann 1997, 12.90 DM
(München: Goldmann, 1995).

Der Gastprofessor

 
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