legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Cream of Crime 5/1998

Michael Connelly: Der Poet

 

Tausend schlechte serial-killer-Romane schließen nicht aus, daß es auch gute geben kann. Bis jetzt kannte ich fünf oder sechs davon, mit Michael Connellys "Der Poet" ist einer dazugekommen.

Auf den ersten Blick spricht schon mal klar für das Buch, daß wir keine Überbietungsspielchen mitmachen müssen. Wir schleichen nicht mit dem Mörder durch die Nacht, wir müssen nicht zukucken, wie schön er metzelt, wir müssen nicht in dampfendem Gedärm und diversen Körperöffnungen rumpütscbern, und wir müssen uns auch keine ausgewalzten hausgemachten Philosophien anhören, mit denen die Kollegen Schlitz & Hack zu langweilen pflegen. Connellys Mörder garniert zwar seine Untaten mit Edgar-Allen Poe-Zitaten und kargen Selbstdarstellungen, die aber sind nur das, was sie sind: Manifestationen eines ziemlich irren Geistes und nicht mit der üblichen künstlichen Dignität des vermeintlich Substantiellen ausgestattet. Das verhindert auch den öden Interpretationshaken, serial killer seien Pop-Ikonen und deswegen irgendwie subversiv oder sonstwie tabubrechend oder schick. Dieser Killer ist keineswegs der mittels Gewalt kommunizierende outsider im großen road movie des Lebens. Ganz im Gegenteil. Und folgerichtig verzichtet Connelly auf eine klare Erklärung und Motivation des Killers. Daß er als Kind vielleicht vom Töpfchen geschubst wurde, reicht nicht aus.

"Der Poet" ist bedeutend beunruhigender als die üblichen Unholde aus der Geisterbahn - und diese Beunruhigung inszeniert Connelly geschickt mit einem Sample von verzerrten Spiegelungen. Jack McEvoy, der Held des Romans, "lebt vom Tod". Er ist Kriminalreporter und der Mann für besonders eklige Verbrechen in Denver, Colorado. Sein Bruder, ein Detective, wird ermordet. McEvoy wird als Angehöriger plötzlich eine Figur aus seinen eigenen Reportagen. Alles deutet auf Selbstmord hin, aber nach Recherchen des Reporters ist auch dem FBI klar, daß überall im Land Polizisten, die besonders scheußliche Verbrechen an Kindern und Frauen aufzuklären haben, "Selbstmord" begehen. Bei allen taucht ein Hinweis auf Poe auf. Die Kinder- und Frauenmorde, also die ureigene Domäne der serial killer, scheinen lediglich "Ködermorde", die Polizisten anlocken sollen und sie zum Opfer des "Poeten" prädestinieren. Oder ? So einfach ist es nicht.

Die berühmten Profiler des FBI sind so von ihrem Können überzeugt, daß sie gar nicht merken, welche fürchterlichen Pannen und Fehler sie machen, wenn sie sich voll auf ihr Profiling konzentrieren und alles Übel der Welt einem einzigen serial killer in die Schuhe schieben wollen. Und schließlich merken sie auch nicht, wie sehr das übliche Wechselspiel zwischen Killer und Medien - deren gegenseitiges Sich-Bedingen - die Wahrnehmung von Komplexitäten unscharf macht, nur weil man dieses Bedingungsverhältnis schon für teuflisch raffiniert hält. Die schon obsessive Dauerbeschäftigung mit einem bestimmten Tätertyp bleibt nicht ohne Folgen: "Jedes Bruchstück reflektiert einen Teil des Subjekts. Aber wenn sich das Subjekt bewegt, bewegt sich auch das Spiegelbild", heißt es frei nach Heisenberg am Ende des Romans.

Connellys Roman ist auch deshalb so gelungen, weil er ohne Frivolität mit dem Umstand spielt, daß serial-killer-Romane literarische Kunstprodukte sind und serial killer ohne literarische (oder sonstige mediale) Vermittlung gar nicht funktionieren - weder im Leben noch in der Kunst. Leben und Kunst stehen eben in einem hochprekären und vor allem uneindeutigen Spiegelverhältnis, und aus dieser Konstellation hat Connelly einen weit überdurchschnittlichen Roman gemacht.

 

© Thomas Wörtche, 1998

 

Michael Connelly:
Der Poet (The Poet, 1996).
Roman. Dt. von Christel Wiemken.
München: Heyne 1999
(München: Heyne 1998)
556 Seiten, DM 14.90

Der Poet

 

« Cream of Crime 04/1998 zurück zum Index Cream of Crime 06/1998»

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen