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Cream of Crime 8/1996

Patrick Quentin: Das Mädchenopfer/ Fatal Woman

 

Hin und wieder ist es sinnvoll, von Aktualitäten abzulassen und anläßlich von Neuausgaben "klassischer" Autoren und Werke den zeitgenössischen Ausstoß von sogenannter "Kriminalliteratur" ein bißchen mit harten Tatsachen zu konfrontieren. So kann man zum Beispiel an den Büchern von Patrick Quentin, die Diogenes gerade in (leider nicht immer glücklichen) Neuübersetzungen präsentiert, sehr schön sehen, wie seit den 30er Jahren "Krimis" daran gelitten haben, daß sie eben unter diesem Terminus zu einer Art Sammelbegriff geworden sind, unter dem das einzelne Buch schnell verschwindet und nach sogenannten "Merkmalen des Genres" gelesen werden kann. Stünde nicht "Krimi" drauf, müßte man sich also mit dem jeweiligen Text sozusagen "einzeln" beschäftigen, käme man vermutlich zu ganz differenten Einschätzungen, nicht zuletzt die Literaturgeschichte betreffend. "Das Mädchenopfer" zum Beispiel, ein Roman, den die beiden unter dem Pseudonym Patrick Quentin schreibenden, in New York gelandeten Briten Hugh Callingham Wheeler (der später alleine als Quentin weitergemacht hat) und Richard Wilson Webb 1948 in einem wider den Zeitgeist gänzlich unromantisierten Mexiko ansiedelten, ist ein raffiniertes und flirrendes Spiel um Identitäten, um Schein und Sein und um handfeste Interessen, die sich kalkuliert solcher Vexiertechniken bedienen. Hinter dem Theater, das dem Helden Peter Duluth (der in neun Romanen von Quentin auftaucht) vorgespielt wird, lauert nicht medientheoretisch aufgeladene Simulation, sondern bösartige Realität. Das macht einen Unterschied zu heutigen Produktionen aus: Verwechselbar waren Sein und Schein schon immer, letztendlich zu verwechseln sind sie auch heute nicht.

Da war Patrick Quentin 1948 längst weiter, nur ist heute das Getöse von "Natural Born Killers" und "Pulp Fiction" inkl. davon abgeleiteter Druckwerken bedeutend lauter. Auch den androgynen, psychopathischen Killer hat Patrick Quentin mit wenigen Strichen und ohne blutige Hysterie in diesem Buch trefflicher gezeichnet, als zwanzig Kilo Psychopathen-Schmonzetten aus modernen Schreibcomputern von sich behaupten dürfen.

In einer zweiten Neuauflage, "Fatal Woman" aus dem Jahr 1953, schlittert der gar nicht so strahlende, mit arg schmierigen Zügen ausgestattet Peter Duluth ins Labyrinth der uneingestandenen, verdrängten, konventionsabhängigen Begierden. Die misogynen Züge des Buches überdecken letztlich nicht, daß es rasiermesserscharf die Verheerungen des weißen, puritanischen McCarthyismus der 50er Jahre herauspräpariert, ein geschlossenes Zwangssystem, das nur die Lebensklugheit einer schwarzen Frau aufbrechen kann. Heute heißt analoge Stoff "Fatal Attraction", ist bei weitem nicht so raffiniert inszeniert und organisiert, wird aber zum Unerhörten, nie Dagewesenen hochgehypet. Daß der Verlag den britischen Titel (der amerikanische hieß "Black Widow") genommen hat, spekuliert ironischerweise auf den Nachfolgefilm. Verdrehte Welt !

Klar, die Bücher von Quentin haben kriminalliterarische Züge. "Fatal Woman" ist ganz an der Oberfläche ein Whodunnit, "Das Mädchenopfer" eine Man-On-The-Run-Story, aber die Komplexität der Romane machen solche Kategorien schon sehr früh (der erste Quentin-Roman erschien 1936, für andere Autoren gilt das Gleiche) nebensächlich. Wer immer noch "Kriminalliteratur" deswegen nicht wahrnehmen will oder sie deswegen herstellen oder in Umlauf bringen oder als literarisches fast food betrachten will, weil sie angeblich immer nur Genreregeln reproduziert, hat nicht nur zwanzig, sondern mindestens fünfzig Jahre verschlafen. Peinlich und schade. Eben: Tertiärer Analphabetismus.

© Thomas Wörtche

 

Das Mädchenopfer

 

Patrick Quentin:
Das Mädchenopfer
(Run to Death, 1948).
Dt. von Peter Naujack.
Zürich: Diogenes 1996;
280 Seiten, 16.80 DM

 

Fatal Woman

 

Patrick Quentin:
Fatal Woman
(Black Widow/Fatal Woman, 1952/3).
Dt. von Jobst-Christian Rojahn.
Zürich: Diogenes 1996;
280 Seiten, 16.80 DM

 

 

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