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Cream of Crime 10/1995

William Marshall: Die Ehre der Kämpfer

 

Von Chester Himes führt eine direkte Linie zu William Marshall: zu dessen Serie von Romanen, die in Hongkong spielen, und die nach dem Standort des Polizeireviers, von dem sie erzählen, die "Yellowthread Street"-Romane heißen. Wie Chester Himes unter Auflösung aller kriminalliterarischen Konventionen seinen Ort, nämlich Harlem, mittels irrwitziger Komik, Groteske und totaler Karnevalisierung erzählt und somit in surreale, also höchst realistische Literatur verwandelt hat, hat Marshall für Hongkong eine analoge Lösung gefunden.

"Die Ehre der Kämpfer" (aus dem Jahr 1982, der vierte Titel bei Rotbuch; sechs weitere gab es früher bei Goldmann, die sind aus dem Handel; auf neue und andere Titel von Marshall darf das deutsche Publikum vermutlich weiterhin vergeblich warten) bündelt alle Verfahren von William Marshall sozusagen pur: Sein Hongkong besteht aus Geschichte, Gegenwart und Zukunft, so wie seine Personen ständig in Geschichte, Gegenwart und Zukunft leben, denken und sprechen, die Stadt besteht aus einem explosiven Bevölkerungsgemisch und steht immer kurz davor (wie in diesem Buch), in die Luft zu fliegen; Hongkong ist Oberwelt und Unterwelt, und das ist sowohl soziologisch wie topographisch gemeint - auch darum geht es in diesem Roman. Hongkong ist Realität und Alptraum, und man kann sich bei Marshall keine Sekunde sicher sein, auf welcher der Ebenen man sich gerade befindet. Es gibt nur ein Ordnungsprinzip: Das Chaos.

Und so erzählt Marshall auch in diesem Buch eine Geschichte, die eigentlich nicht passieren kann: Es sieht so aus, als ob die Hongkonger Polizei und das Stadtgebiet plötzlich von überlebenden Soldaten der japanischen Besatzungmacht mit surrealen Kriegsmaschinen angegriffen werden. Von irgendwo unten, aus den Katakomben der Stadt dringen diese merkwürdigen Angreifer feuersspeiend nach oben. Japan ist der Hauptfinanzier der Kronkolonie, Fragen nach der Geschichte und dem japanischen Anteil daran, werden aus politischen Gründen nicht gern genommen. Der Irrsinn eskaliert. Es kommt zu erbitterten Duellen mit veritablen Leichen, die als Lebende offiziell nicht existieren.

Was Ihnen hier in meinen Worten bloß gespenstisch vorkommen mag, ist bei Marshall, weil Menschen verwickelt sind, die ihre Geschichte haben, die sich in die Zukunft mengt, auch tragisch. Und weil in diesem Chaos zeitweise niemand weiß, was gerade passiert, aber jeder agiert, ist es auch komisch. Weil aber Komik ein Darstellungsmittel ist, das auf Gewißheiten per definitionem verzichtet, kann Marshall seine Geschichte komisch inszenieren und sie weit über die Grenzen des Absurden und Grotesken hinaustreiben. Dabei wird seine Prosa so dicht, so schnell geschnitten, springt so virtuos auf allen Zeit- und Ortsebenen hin und her, hüpft aus dem Kopf einer Figur in den der nächsten, rochiert von einer Erzählperspektive in die anderen, daß allein die ästhetische Organisation des Romans rasend spannend ist.

Das - plus die bis an den Anschlag gedrehten Spannungsschrauben der Geschichte - ergibt das reinste Lesevergnügen. Dabei ist dieser Roman nicht "leicht" zu lesen. Er ist allerdings auch nach dreizehn Jahren noch immer ein Beispiel dafür, wieviel man mit knapper, witziger, intelligenter Prosa transportieren kann, ohne einerseits bräsig-episch, andererseits hektisch-wirr wie ein schlechter Videoclip zu werden. Aber Diskussionen über den Stand der zeitgenössischen Literatur werden bekanntlich sowieso anhand falscher Beispiele geführt. Das kommt auch daher, daß man Autoren vom Kaliber Marshalls nicht kennen zu müssen glaubt. Welch ein Irrtum !

© Thomas Wörtche

 

William Marshall:
Die Ehre der Kämpfer.
(War Machine, 1982).
Roman.
Deutsch von Gunnar Kwisinski
Hamburg: Rotbuch Verlag 1995;
252 Seiten, 18.90 DM

Die Ehre der Kämpfer

 

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