legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Der kriminelle Kontext des Jazz

Thomas Wörtche über die Louis Armstrong-Biographie vonLawrence Bergreen

 

Louis Armstrong Es gibt Allianzen, die sind so merkwürdig, dass höchstes Misstrauen geboten ist. Wenn sich zum Beispiel Jazz-Hasser Theodor W. Adorno und Jazz-Enthusiast Joachim-Ernst Berendt in herzlicher Eintracht gruseln, dann mag an dem Begruselten etwas sehr Richtiges dran sein. So tobte Berendt in seinem Bemühen, seinen Jazz als Musik für den gehobenen Geschmack zu kanonisieren und als Filmmusiken immer mehr Jazzelemente benutzten: "Über dem allgemeinen Triumphgeschrei, dass der Jazz endlich als Filmmusik akzeptiert wird, hat man vergessen, in welchem Film er verwendet wird. Es sind Filme, die mit Verbrechen, Rauschgift ... und krimineller Unterwelt verbunden sind", zeterte er und brachte das Unsägliche auf den Punkt: "Der Jazz ist der musikalische Ausdruck der Unterwelt.". Was für den Jazzpropheten unter horribile dictu fällt, ist für den Jazzhasser und schlecht verkappten Rassisten Adorno ganz logisch: "In der Integration des Asozialen berührt sich das Schema des Jazz mit dem ebenso standardisierten des Kriminalromans, wo regelmässig die Welt so verzerrt - oder enthüllt - ist, als wär das Asoziale, das Verbrechen die alltägliche Norm."

Wie gut, dass die beiden Herren nicht Laurence Bergreens kapitale Biographie "Louis Armstrong. Ein extravagentes Leben" gekannt haben. Dann hätten sie sich nämlich ohne die Vermittlungsschritte "Film" und "Kriminalroman" direkt gruseln können, denn Bergreen akzentuiert in seiner Studie zwar taktisch vorsichtig, aber dennoch entschieden zwei Punkte. Erstens: Der Jazz war der musikalische Ausdruck der Unterwelt - historisch und später in seinen ökonomischen Bedingungen ganz evident. Und zweitens: Das Verbrechen, das sich da musikalischen Ausdruck verschafft hat, war bis weit in die "klassische" Phase des Jazz in der Tat die "Norm".

Natürlich bringt Bergreens 639 Seiten-Hammer von Buch keine allzugrossen Neuigkeiten über das Leben und die geniale Musik von Louis Armstrong. Auch der Gag, dass Armstrong nicht am 4. Juli 1900, sondern am 4. August 1901 geboren wurde, rechtfertigt sicher keine neue Biographie. Aber dass ausgerechnet Bergreen ausgerechnet Armstrong zum Gegenstand seiner Forschungen macht, hat mit dessen vorherigen Buch zu tun: Das war die grosse Studie über Alphonse Capone ("The Man and the Era") und die Rolle des organisierten Verbrechens für die Kulturgeschichte der USA. Im Fall Armstrong zeichnet Bergreen mit viel Material und Belegen die frühen Jahre des Jazz in New Orleans nach - einer Stadt, die in ihrer kulturellen Originalität und Kreativität durch und durch von etwas dominiert wurde, das man gerne Verbrechen nennt. Jazz musste die Prügeleien und Schiessereien überdröhnen, kam von "ganz unten" (was die Verachtung aller guten Bürger egal welcher Hautfarbe provozierte) und geriet über die Stationen Chicago und New York in die Hände der aufkommenenden, von der Prohibition (also von temperenzlerischen und dogmatischen Bürgern, die schon die Hurenhaus-Musik aus New Orleans moralisch bekämpft hatten) erst recht starkgemachten Gangster-Syndikate, vulgo: Mob.

Man kann das alles an der Person Louis Armstrong festmachen. Er lebte und wuchs im "kriminellen Milieu" auf, ganz einfach, weil kein anderes da war. Er schaffte es, diesem Milieu (dem er nie entrinnen wollte und zu dem er zeitlebens offensiv gestanden hatte) einen künstlerischen Ausdruck zu geben. Und damit sich selbst, aber vor allem diesem Ausdruck weltweit Gültigkeit zu verschaffen. Da beisst die Maus keinen Faden ab. Und später, als Armstrong schon ein Star war, biss auch die Maus keinen Faden von der Tatsache ab, dass er der "Mafia" gehörte. Seine zweite, triumphale England-Tournee 1933 z.B. hatte schlicht damit zu tun, dass Louis aus den USA abhauen musste, bis die Herrschaften Syndikat über ihm handelseinig waren. Früher hatten sogar Superschwergewichte wie Dutch Schultz Beteiligungen am Produkt Armstrong. Nach England wurde Joe Glaser sein Manager. Und der war die personifizierte organisierte Kriminalität - tat aber Armstrong zumindest wirtschaftlich gut.

Nun kann man immer noch sagen, dass so etwas einfach ins Umfeld gehört und mit der Musik an sich nichts zu tun hat. Aber das ist frommes Wunschdenken, denn es gibt keine Kunst ohne Kontexte. Kunst kann allerdings gegen diese Kontexte gerichtet sein und sie übrwinden: Bergreen führt ein bizarres Detail in diesem Zusammenhang auf, das zumindest mir neu war: Die ersten Schallplattenaufnahmen machte Armstrong bekanntlich mit Joe Olivers Creole Jazz Band. Und zwar am 5. und 6. April 1923 in den Studios von Gennett in Richmond, Indiana. Pikanterweise produzierte Gennett Musik vom und für den Ku-Klux-Klan ("Johnny, Join the Klan"). Richmond war ein derart rassistisches Nest, dass die schwarzen Musiker aus Sicherheitsgründen dort nicht übernachten konnten. Krudestes Verbrechen und Jazz sind also auch hier aufs Engste verzahnt - und das meinten weder Adorno noch Berendt so.

Hätte Bergreen den berühmten Satz seines New Yorker Schriftsteller-Kollegen Jerome Charyn gekannt: "Wo Verbrechen ist, da ist Geld. Wo Geld ist, da ist Kultur", er hätte ihn vermutlich dem Buch vorangestellt - denn diese These belegt sein ganzes Unternehmen. Louis Armstrong erscheint dann eben nicht mehr als der Onkel-Tom-Clown, der nett ist zu Weissen (was er nicht immer war - mein Lieblingsspruch zu Benny Goodman ist: "Mit dem Arschloch geh ich nicht essen"), sondern ein sehr pragmatischer Mann, der seine Herkunft, seine obszöne Sprache, seine Freude an sehr Deftigem, sein ewiges Marihuana-Rauchen eben nicht als Makel begriff, sondern als Kraft- und Inspirationsquelle für sein Genie, das ein ganzes Jahrhundert musikalisch prägen konnte.

Bergreens Armstrong-Biographie ist ein Baustein für eine Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, die "Verbrechen" unterhalb der Holocaust-Schwelle als konstitutiven Faktor für sämtliche Lebensbereiche begreift.

© Thomas Wörtche, 2000
(Plärrer)

 

Laurence Bergreen: Louis Armstrong. Ein extravagantes Leben. (1997). Dt. von Juliane Zubitzer. Zürich: Arte Edition/Haffmans Verlag: 2000, 638 S. mit Fotos, 24.90 Euro (D)

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen