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Das Drama der bekennenden Literatur

Thomas Wörtche über André Brink und seinen Roman »Zeit des Terrors«

 

Leser, die sich anhand von André Brinks 874-Seiten-Roman »Zeit des Terrors« über die Situation in Südafrika in den mittleren 80er Jahre informieren wollten, würden lediglich erfahren, was sie über das Apartheidsystem schon immer gewußt und gedacht haben: Weiße unterdrücken Schwarze, und manche Schwarze und Weiße finden das unerträglich, grob gesagt. Nun ist aber »Zeit des Terrors« kein Sachbuch (als solches wäre es ein Debakel), sondern ein literarischer Text, der eigene Wahrheiten formulieren könnte. Ironischerweise thematisiert Brink selbst, warum der Roman fatal gescheitert ist. Er läßt seinen Helden, den burischen Fotographen Thomas Landman, zustimmend Breyten Breytenbach zitieren, der medienkritisch und böse bemerkt hatte, daß gegen die Apartheid zu sein, nichts Heroisches, sondern etwas völlig Normales sei.

Landman aber ist ein Held reinsten Wassers: Gut zu Schwarzen, Frauen, Tieren und Pflanzen - und sein Blick auf die Welt ist die Zentralperspektive des Romans. Zwar etabliert Brink auch andere "Sub"-Erzähler (mindestens 15, Männer und Frauen, Schwarze und Weiße, Freund und Feind), aber Landman dominiert, denn die Teile, die von den anderen erzählt werden, sind keine Dementis, Widersprüche, Relativierungen oder Brechungen der Landman-Perspektive, keine wirklichen Dialoge oder gar Polyphonie - sie alle bestätigen und duplizieren Landman: Sein Widersacher, der Polizist Kat Bester, ist in seinen eigenen Worten ein bigotter, gewaltgeiler Faschist, desgleichen der Vater seiner erschossenen Freundin Nina, Landmans Mitkämpfer sind aufrecht und tapfer. Kurz: »Zeit des Terrors« ist ein monologischer, monolithischer Roman. Wenn aber die komplexe Geschichte und aktuelle Situation Südafrikas, die explizite Themen des Romans sind, nur als Ableitungen aus dem abstrakten literarischen Konstrukt "Held" thematisiert werden, dann besteht auch keine Chance, daß "Wahrheit" etwas anderes sein könnte als das, was der Autor schon lange weiß und jetzt nur noch in eine Fabel gegossen dem Publikum didaktisch beibringt. Das ist das Drama der bekennenden Literatur an und für sich, und basiert außerdem auf einer seit Jahrzehnten obsoleten Vorstellung, was ein "Thriller" soll und kann. Denn als "Polit-Thriller" hat Brink seinen Stoff arrangiert: Landman und seine KumpanInnen, die man sich als bewaffneten Arm des ANC vorstellen darf, verüben einen Sprengstoffanschlag auf den Präsidenten der Republik, der schlägt fehl, ums Leben kommen Unschuldige. Die Attentäter werden gehetzt, der Jäger Kat Bester kommt immer näher, und an der Landesgrenze trifft man sich zum konventionellen Showdown, den Landman konventionell überlebt.

Die Struktur des Trivialthrillers, so wie Brink ihn zu funktionalisieren versucht, dient zur Simplifizierung - die eigentliche Struktur des Politthrillers hat seit Eric Ambler grundsätzlich einen anderen Sinn: Komplexionsaufladung statt Reduktion. Brink muß wohl gemerkt haben, wie unsouverän er mit dieser literarischen Form umgeht. Er hat deshalb in der Originalausgabe sozusagen als Antiklimax eine 200 Seiten lange Chronik der Familie Landman angehängt. Der deutsche Verlag hat im Einvernehmen mit Brink auf dessen Abdruck verzichtet; zurecht - auch diese Verlegenheitslösung hätte das Buch nicht mehr gerettet.

Inspiriert zur Figur des Thomas Landman wurde Brink durch den wirklichen ANC-Mann Hein Grosskopf, einen Afrikaander, der ein Regierungsgebäude gesprengt hatte und inzwischen selbst als Romancier mit dem Buch »Artistic Graves« die Interna des ANC zum Thema gemacht hat. Aber das ist eine Wirklichkeit, die Brink überhaupt nicht interessiert. Stattdessen strickt er an gemütlichen Drittweltismen, die mit der komplexen und blutigen Realität in Südafrika nichts zu tun haben. Bisweilen unfreiwillig komisch, ja lächerlich: Landman wird z.B.von vier Schwarzen zusammengeschlagen und ausgeraubt, behauptet aber steif und fest, Schwarze seien die einzigen Leute, unter denen er sich geborgen fühle. Das ist naiv-affirmativ gemeint, und nicht etwa intrikat gesetzt. Oder: Brink beharrt darauf, daß es unter Schwarzen so etwas wie "Rachegedanken" am weißen Mann überhaupt nicht gebe, allein der Gedanke daran sei rassistische Legitimation für die Metzeleien des weißen Regimes. Ich weiß nicht, ob ich das zum Lachen oder zum Weinen finden soll.

Man könnte also diesen Roman auch ideologiekritisch auseinandernehmen, obwohl an Brinks lauteren Intentionen vermutlich nicht zu zweifeln ist. Aber siehe Breytenbach: eben die sollten normal und nicht extra zu feiern sein. Mehr noch, lauterste Motive können einen schalen Geschmack bekommen: Thomas Landman ist ein weißer, männlicher Intellektueller, der sich andauernd über Fragen der Moral zergrübelt und dennoch mit seiner Bombe unschuldige Menschen tötet und verstümmelt; die positiven Figuren in Landmans Perspektive teilen merkwürdigerweise alle seine kulturellen Werte: Gute Schwarze wissen zierlich über Beethoven zu plaudern, besuchen die Kunsttempel der westlich-weißen Hochkultur in New York und anderswo (natürlich kommt auch ein bißchen schwarze Kunst vor, wenn sie dort ausgestellt ist), so daß es deshalb und nur deshalb als Akt der Barbarei erscheinen muß, daß solch hochzivilisierten Menschen umgebracht werden. Als wäre es nicht barbarisch, "unziviliserte" Menschen umzubringen.

Aber Brink siedelt auch das Räsonnieren des Helden über die Legitimität von Gewalt auf dieser "bildungsbürgerlichen" Folie an. Die Bilder, die er von den Greueln in den schwarzen Townships inszeniert, sind dagegen lediglich Action à la mode. Das alles verhilft »Zeit des Terrors« zu einer Pointe, die, so hoffe ich jedenfalls, unbeabsichtigt ist: Der Roman ist, obwohl er ein Sujet behandelt, an dem sich reale, politische Konflikte literarisch angehen ließen, letztendlich doch nur noch ein Buch über die Befindlichkeit weißer Intellektueller, und damit von deutscher Studienratsprosa doch nur einen knappen Millimeter entfernt.

© Thomas Wörtche, 1994
(Frankfurter Rundschau)

 

André Brink: Zeit des Terrors (An Act of Terror). Roman. Aus dem Englischen von Werner Peterich. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1994, 912 Seiten, 49, 80 DM

 

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