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Rührende Aufklärung

Über Krimis, die dem Leser erklären wie es zugeht auf der Welt

Von Thomas Wörtche

 

Manchmal geht etwas, das als Lob gemeint war, nach hinten los. Jörg Fauser lobte an den Polit-Thrillern von Eric Ambler, sie erklärten dem Leser, wie es zugeht auf der Welt. Und denunzierte damit einen der brillantesten Destabilisatoren offizieller politscher, ökonomischer, moralischer und ästhetischer "Werte" als Verfasser unterkomplexer, didaktischer Schmöker, die dem dummen Publikum zeigen, wie der Hase läuft. Lassen wir mal die Frage ruhen, was so ein Kompliment über Fauser selbst sagt, aber mit Amblers radikaler Skepsis an jeglicher "richtigen" Lesart von Geschichte, Gegenwart und menschlichen Verhaltens hat es nichts zu tun. Ambler braucht den kompetenten Leser, dessen Kenntnisse welthaltig, aber nicht dogmatisch oder ideologisch abgesichert sind. Dann erst kann das literarisches Spiel mit der Welt beginnen, deren wir uns nie sicher sein können und die nicht nur den intellektuellen, sondern auch den ästhetischen Reiz seiner großen politisch-ökonomischen Thriller ausmacht - von der »Maske des Dimitrios« bis «Bitte keine Rosen mehr». Beim breiten Publikum ist Ambler vergessen, und dieses Vergessen scheint mit einer gewissen Naivität einherzugehen, mit der man heute wieder damit anfängt, "zu erklären, wie es zugeht auf der Welt."

Einerseits ist die Rückkehr von politischen Themen als Gegengift zu den Serial-Killer- und Heimat-Grimmis der letzten Jahre zu begrüßen. Auf der anderen Seite gibt es einen Trend zu rührender "Aufklärung" - Fakten, die man bei aufmerksamer Zeitungslektüre schon längst kennt, werden "skandalisiert": Oliver Bottinis Roman »Ein paar Tage Licht« gehört dahin, Schorlaus Krimis um die diversen Missstände unserer Tage - von Trinkwasser bis Massentierhaltung -, oder auch Marc Elsbergs Warn-Szenarien »Blackout« oder »Zero«. Was bei Huxley und Orwell noch wuchtige Dystopien waren, ist jetzt zur nett gemachten Hochrechnung bekannter Trends und Tendenzen geworden. Mit ein bisschen Handlung und Dialog außen rum. Romane "über" eben, über Überwachungstechnologie wie Tom Hillenbrands »Drohnenland« oder über AIDS ins Südafrika wie Charlotte Otters »Balthasars Vermächtnis«. Das sind keine bösen Bücher, sie stehen bloß für eine merkwürdige Tendenz. Man kann sich fragen, ab wann Themen »romanrelevant« werden oder ob Themen, die in Romanen und anderen Fiktionen behandelt werden, nur so eine Chance auf breitere öffentliche Wahrnehmung haben. Haben die zuletzt unzähligen Krimis "über Pädophilie" das Thema "diskutabel" gemacht oder reiten sie auf einer Empörungswelle, in dem sie szenischen Umsetzungen des Gemeinplatzes, Kinderschänden sei eine schlimme Angelegenheit, wohlfeil als lustangstgruselnde Unterhaltungslektüre feilbieten? Weil es vielleicht mit dem letzten Gemüsekrimi nicht so geklappt hat?

Auffallend auch ein Mangel an Spiellust - zumindest bei deutschen Autoren. Oder an V-Effekten, an Literarizität oder an ästhetischen Konzepten, die aus Romanen "über" irgendetwas Romane werden lassen, die die üblen Tatsachen voraussetzen, weil die Welt nun mal so ist, wie sie ist, und auf diesem Boden mit den Verhältnissen spielen. Wobei dieses "spielen" nicht frivol sein muss (aber durchaus sein kann, weil Literatur auch mit dem Schrecken Scherz treiben darf und soll), sondern gerne jede Art von Engagement, Wut, Aggression etc. artikulieren darf. Zoë Becks »Brixton Hill« ist weder ein Roman "über" Gentrifizierung noch einer "über" IT-Thematiken. Beide Aspekte sind aber präsent und prägen den Gang der Handlung und deren Inszenierung. Besonders deutlich wird der Unterschied vielleicht bei genre-überschreitenden Formen, weil da der V-Effekt besonders durchschlägt: Nick Harkaways »Der Goldene Schwarm« ist ein Plädoyer für die "Normenkontrolle" unserer Zeit, in der vielleicht der Punkt kommt, an der das "normale" Verbrechen eine gesellschaftliche sinnvolle Rolle spielen könnte - so ironisch diese Idee im steampunk-mässig mit martial arts geführten vergnüglichen Kampf um die Existenz des Universums auch anmutet. Und richtig politisch wird's da, wo das Genre am weitesten von der Realität entfernt scheint. »Roter Mond« von Benjamin Percy ist ein Werwolf-Roman, in dem der Begriff genauso wenig vorkommt wie die üblichen Werwolf-Nummern. Die Lykaner sind die universalen Außenseiter in einer Welt, die beinahe so ist wie die unsere, nur an manchen Punkten ihrer Geschichte abweicht. Weil man eben schon seit langem mit den "Anderen" lebt. Percy erzählt mit großer Kunst, wie sich das Verhältnis zwischen Mehr- und Minderheiten in hysterischen Zeiten ändert. Ein halluzinatorischer Zeitkommentar, kein Schulfunk. Der politische Kriminalroman braucht eine Ästhetik, die zum Ausdruck bringen kann, was nur auf ästhetischen Weg gesagt werden kann. Spannende Ansätze gibt es genug.

 

© Thomas Wörtche, 2014
(Buchkultur,
Krimi Spezial,
Sommer 2014
)

 

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