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Vom romantischen Revolutionär zum blutig-spießigen Gastwirt

Von Thomas Wörtche

 

Arrivederci amore, ciao "Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Sie haben Massimo Carlottos Roman ARRIVEDERCI AMORE, CIAO angefordert und erhalten. Da im Zusammenhang mit den Fällen 'Monhaupt' (sic!) und 'Klar' nun von mehreren Seiten die Frage nach weitere (sic!) Informationen zur Lebensgeschichte des Autors kam, schicken wir Ihnen im Anhang eine kleine Chronik des juristischen Falles 'Carlotto'. Verständlicherweise ist es Massimo Carlotto mit der Zeit etwas lästig geworden, immer wieder über diesen Aspekt seines Lebens zu sprechen."

Diese Pressemitteilung des Tropen Verlages ist schon bemerkenswert. Was haben die Diskussionen um die RAF-Leute Klar und Mohnhaupt, die zur Zeit die Medien beschäftigen, mit einem italienischen Thriller aus dem Jahr 2001 zu tun? Nichts - es handelt sich nur um eine geschmacklose Art, Aufmerksamkeit herzustellen. Für ein geschmackloses, überflüssiges Buch.

Der Reihe nach: Hauptfigur des Romans "Arrivederci amore, ciao" von Massimo Carlotto ist ein italienischer Amateur-Revolutionär und Klein-Terrorist, der nach einiger Zeit im südamerikanischen Exil einen schmutzigen Deal mit dem Staat macht, um sich in Italien wieder legalisieren zu können. Das probateste Mittel dafür ist, so stellt sich heraus, ein Leben als engagierter Krimineller zu führen, das dann folgerichtig im Reiche Berlusconis zu einer wohlbürgerlichen Existenz als Gastronom führen wird. Ein solches Leben führt Giorgio Pellegrini, so heißt die Figur, denn auch ausgiebig. Er mordet, foltert, erpreßt, prügelt, raubt, verrät, erniedrigt und vergewaltigt fröhlich vor sich hin, denn, so suggeriert uns das Buch, es bleibt ihm ja gar nichts anderes übrig. Italien, das will der Autor uns damit sagen, ist gerade in seinen bürgerlichen Teilen längst strukturell und moralisch dem Organisierten Verbrechen adaptiert - es tickt wie eine besonders rassistische Mafia, weil la mafia durch Berlusconi der Staat in persona ist. Und mafia ist weniger eine Organisationsform, sondern ein Verhalten, ein bestimmter Typus von sozialer Interaktion.

Das mag ja alles völlig richtig und plausibel sein, aber seit Hammetts Continental Op-Geschichten oder seinem Roman »Red Harvest« von 1929 ist eine solche Konstellation von Gesellschaft und Verbrechen auch ein literarischer Topos und nun wahrlich nichts Originelles mehr. Ausserdem ist der Weg von Carlottos Held Giorgio Pellegrini vom romantischen Revolutionär und Terroristen zum blutig-spießigen Gastwirt lediglich ein jämmerlicher Abklatsch der Karriere von Jerome Charyns Jahrhundertfigur Isaac Sidel, der seit den frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in einer inzwischen neunbändigen Roman-Saga auf dem Weg zum Präsidenten der USA ist - als Mörder, Mafioso, Polizist und guter Mensch.

Und dass ein gewisses Publikum Mörder und Monster nett - oder toll oder "faszinierend" oder "spannend" - findet, wenn sie nur lecker inszeniert werden, auf diese Gewissheit konnte sich Carlotto seit Jim Thompsons »The Killer inside me« oder Patricia Highsmiths »Ripley«-Romanen ganz sicher verlassen, mit den Rezeptionserfahrungen von »American Pycho«, Hannibal Lecter oder »Pulp Fiction« im Rücken sogar felsenfest und ohne jedes Risiko.

Auch der eisig lakonische Erzählton, den Carlotto für seinen Ich-Erzähler etabliert, ist nicht die Bohne originär. Diesen spezifischen Ton finden wir bei Dashiell Hammett präfiguriert, wir finden ihn beim oben genannten Jim Thompson und vor allem finden wir diesen Ton bei Jean-Patrick Manchette elaboriert. Er sollte bei Manchette - ein Vierteljahrhundert vor Carlotto - mit der Ungeheuerlichkeit des Erzählten kollidieren - in einem "linken", in einem "revolutionären" Kontext.

Bei Carlotto kollidiert mittlerweile gar nichts mehr. Seine Quasi-Ungeheuerlichkeiten sind Posen, leere Gesten, die schocken sollen, wo kein choque mehr funktioniert, weil der Mechanismus längst ausgereizt ist. Übrig bleiben bei Carlotto quälend fahle Muchomacho-Attitüden, die mangels literarisch-ästhetischer Qualität oder mangels moralischer Provokationskraft allerhöchstens auf eine stammtischhafte, einvernehmliche Beömmelung postpubertärer Kerlchen zielen: "Ich wußte nicht recht, was ich mit einer Frau anfangen sollte, die keine Lust hatte, mir den Schwanz zu lutschen oder ihn hinten rein zu bekommen." Ach, du meine Güte, ja...

Was aber hat all das - noch einmal gefragt - mit Klar, Mohnhaupt und einem ominösen "Fall Carlotto" zu tun, wie die Pressemeldung des Verlages suggeriert? Carlotto selbst war in den 70er und 80er Jahren die Hauptperson eines Justizskandals - möglicherweise unschuldig wegen Mordes verurteilt, möglicherweise skandalös vom italienischen Staat behandelt. Die Chronologie der Ereignisse, die der Tropen-Verlag als Pressematerial herumschickt, weist ein paar Lücken auf, über die wir hier nicht verhandeln können. Allerdings wäre es für die Einschätzung des "Falles Carlotto" nicht unerheblich zu wissen, ob dieser Mord eine Beziehungstat war oder einen politischen Hintergrund hatte oder was auch immer. Tatsache ist, dass das Lotta-Continua-Mitglied Carlotto nicht wegen "Terrorismus", sondern wegen Mordes verurteilt, später nach massiver Einmischung internationaler pressure groups begnadigt wurde. Der Zusammenhang mit Mohnhaupt, Klar und der RAF ließe sich also nur über die Figur Pellegrini aus dem besprochenen Roman herstellen - aber wo wäre da irgendein sinnvoller, substantieller Berührungspunkt zu sehen? Nirgends...

Geht es aber um die Figur des "unschuldig" einsitzenden, aus politischen Gründen diffamierten Autors resp. linken Publizisten, so hatte Carlotto eine solche Figur in einer Roman-Serie um den Privatdetektiv Alligator verarbeitet. Eine Serie, die vor ein paar Jahren auf dem deutschen Markt wegen Chancenlosigkeit abgebrochen werden musste. Mit dem Roman »Arrivederci amore, ciao« hat dieser Themenkomplex gar nichts zu tun. Natürlich hatte Carlottos literarische Agentur seit Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, ihn wie sauer Bier anpreisend, auf die deutsche Bühne zurückzubringen. Das ist legitim. Einen doofen, schlechten und langweiligen Roman aber semantisch leer in einen aktuellen Diskurs um Terrorismus, RAF etc. hineinzuplatzieren, hat irgendwie etwas schweinchenschlauhaftes. Überflüssig und peinlich wie der Roman.

 

Massimo Carlotto: Arrivederci amore, ciao. (Arrivederci amore, ciao, 2001). Roman. Aus dem Italienischen von von Hinrich Schmidt-Henkel. Berlin: Tropen-Verlag, 2007, 186 S., 18.90 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2007
Freitag, 23.03.2007

 

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