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10 German Essentials

Die deutsche Literaturgeschichte wimmelt von "Verbrechensdichtung". Das nicht alles, was Erfolg hat, auch wirklich wichtig ist, ist eine Binsenweisheit. Wer oder was ist denn nun wichtig in der deutschen Kriminalliteratur? Eine kleine Autoren-Hitlist, in der Reihenfolge ihres Auftretens auf der literarischen Bühne, zusammengestellt
von Thomas Wörtche

 

Vielleicht hätte man ausgerechnet mich nicht fragen dürfen, aber man hat mich nunmal gefragt - nach den 10 AutorInnen, die ich in der deutschsprachigen Kriminalliteratur für wirklich wichtig halte. Wie jetzt - wirkungsmächtig, erfolgreich oder schlicht und einfach: qualitativ? Die Binsenweisheit, dass nicht alles wichtig ist, was Erfolg hat oder für eine gewisse Zeit für wichtig gehalten wird, kann ich Ihnen leider nicht ersparen. Dazu habe ich zu viele Wellen kommen und gehen sehen, zu viele Hypes in sich zusammenfallen, zu viele "Talente" wieder verschwinden.

Die deutsche Literaturgeschichte wimmelt von "Verbrechensdichtung", einer Kriminaloper, Sie wissen schon, zig Tausenden von Heftchen und Leihbüchern und ein paar Quasi-Kriminalromanen von Döblin, Doderer, Wassermann & Co. Zu einer ausgereiften "Tradition" hat das nicht gereicht. Der deutsche Krimi in Ost und West musste sich nach 1945 neu erfinden und erfand dabei manchmal das Rad neu - oder schielte auf ausländische Vorbilder. Das war legitim. Und hätte vielleicht sogar produktiv sein können. Und natürlich spielte der tief-deutsche Horror vor der Kombination von Intelligenz und Unterhaltung, von Witz und thrill eine Rolle.

Dazu kam und kommt der fatale Gedanke, man müsse unbedingt überall Weltspitze sein - flächendeckend. Also auch beim Krimi. Also ist jeder Verkaufserfolg gleich ein Spitzenprodukt, global gesehen. Wer gegen diesen süßen Wahn Widerworte erhebt, womöglich noch mit Gründen, ist ein Nestbeschmutzer, ein Ketzer. Das Spiel kenne ich seit 20 Jahren, solange bin ich "dabei". Dabei käme ich nicht im Traum darauf, nationalliterarische All-Urteile abzugeben: Der deutsche Krimi taugt nichts. Falsch! Es gibt unendlich viele deutsche Krimis, die unterirdisch schlecht sind. Richtig! Und es gibt andere, die exzellent sind, und manchmal eben auch erfolgreich. Reiht man diese Bücher (und nicht den Hype des Tages) aneinander, dann bekommt die Entwicklung des Genres ein Gesicht. Und immer schön auf dem Teppich bleiben: Von aller künstlerischen Produktion hat nur ein gewisser Prozentsatz Bestand - von der "deutschen Lyrik" genauso wie vom "deutschen Kriminalroman". Also kann ich nur diejenigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller nennen, die ich mit guten Gründen für entscheidend wichtig halte - gemessen an ihrer literarischen Qualität, an ihrer Innovationskraft und ihrer gedanklichen Schärfe.

Es sind dies, in der Reihenfolge ihres Auftretens auf der literarischen Bühne:

Friedrich Glauser:
Der Begründer des modernen, deutschsprachigen Kriminalromans. Die fünf Romane um den Wachtmeister Studer, der 1936 seinen ersten Auftritt hatte, sind Meisterwerke mit unbegrenzter Haltbarkeit. Selbst ein Außenseiter, schrieb Glauser in spröder, sensibler Prosa über Irren- und Armenhäusler, über die Unangepaßten und die, die nicht funktionieren, wie man zu funktionieren hat. Er definierte den Blick, den Kriminalliteratur zu haben hat: Von unten auf die Gesellschaft.

Johannes Mario Simmel:
Ein Buch reicht für den Pantheon - "Es muß nicht immer Kaviar sein" von 1960. Der Zweite Weltkrieg als Schelmenstück & Polit-Thriller, sehr komisch und tragisch, Lust an intelligenter Intrige und Gegenintrige, Cleverness als Tugend und das ganze garniert mit Sinnenfreuden der erotischen und kulinarischen Sorte. Plus eine ganz und gar undeutsche Weltläufigkeit und eine neue Interpretation des Subgenres Spionageroman.

Friedhelm Werremeier:
Wichtiger als die Erfindung des ersten "Tatort"-Kommissars Trimmel, war Werremeiers Gespür für Themen, die ein aktuelles Unterfutter für Kriminalromane sein können. White Collar-Kriminalität, Umwelt-Kriminalität, Fußball als verbrechische Veranstaltung usw. nach dem Grundsatz: Immer dem Geld folgen. Das kombiniert mit intelligenten Plots ergab eine Chronique scandaleuse der Bundesrepublik, nachdem das Wirtschaftwunder sauer geworden war.

Ulf Miehe: Mit nur drei Romanen schloß er die deutsche Kriminalliteratur an den internationalen roman noir an, ungezwungen und organisch. Seine Romane verzichteten auf die Fall/Aufklärung-Klammer und zeichneten mit präziser, gehämmerter Prosa eine Welt außerhalb der üblichen Wahrnehmungsraster. Nicht das wirklichere "wirkliche Leben", sondern das Leben, wie es auch sein kann. Knapp, atmosphärisch dicht, literarisch ohne Prätention, ohne die Tröstungen der Form, ohne die Scheuklappen der Sinnstiftung.

D.B. Blettenberg:
Er öffnete die Fenster zur Welt, kombinierte Polit-Thriller und Abenteuerroman und etablierte einen immer sarkastischer werdenden, lakonischen Erzählton. Seine erfahrungsgesättigten Romane aus Asien, Afrika und Lateinamerika räumten mit exotistischen und drittweltistischen Romantizismen auf, begrenzten deutsche Schweinereien nicht auf Deutschland und erweiterten die Grauzonen von Legalität noch um ein paar erfreulich skeptische Schattierungen.

Gisbert Haefs:
Der homo ludens der deutschen Kriminalliteratur erfand das monströse Universalgenie Balthasar Matzbach, und dessen Streiche sind eine zwerchfellerschütternde und wunderliche Kombination aus angelsächsischem Deduktionswahn, französischer Karnevalisierung und enzyklopädischer Verschrobenheit. Matzbachs schräge Manierismen verhindern jedoch nicht, dass die deutsche Wirklichkeit hin und wieder kräftig Prügel bezieht.

Frank Göhre:
In seiner St.Pauli-Trilogie verdichtete er das Nebeneinander, die Zufälligkeiten und Koinzidenzen des alltaglichen Wahnsinns zu reinem suspense. Dialog ist alles, der psychologische Realismus wird außer Kraft gesetzt, das streetlife in Literatur komprimiert. Das Verbrechen ist nicht "Fall", sondern Kontinuum und soziale Praxis, seine Dimensionen reichen in jeden Winkel der Gesellschaft - der Kiez wird zum Weltdorf und nicht zum regionalen Folklorismus.

Pieke Biermann:
Führte die Realität der Polizeiarbeit u.a. vermittels des Personals ihres Kommissariats in die deutsche Kriminalliteratur ein und die exakten sozialen Realitäten von Berlin, einschießlich Huren als stolze Hauptfiguren. Sie mobilisierte virtuos sämtliche Verfahren der Moderne: Polyphonie, Rollenprosa, Montage, radikale Komisierung etc., Verzicht auf "Erklärungen" und epische Breite, öffnete damit die Feuilletons für deutsche Kriminalliteratur, machte sie international sichtbar und erreichte gleichzeitig ein sehr breites Publikum.

Friedrich Ani:
Kriminalromane müssen nicht notwendigerweise und immer mit Mord zu tun haben. Die zehn Tabor-Süden-Romane waren der schlagende Beweis dafür. Der elegische Dekalog war der radikale Anti-Zeitgeist, der den Vergessenen, Verschwundenen, Marginalisierten ihre Leben in einer toll und gnadenlos geworden Gesellschaft wiedergab. Kriminalliteratur als Trauerarbeit, durch die eigenwillige, nuancenreiche Prosa und Plotführung in kein bisher bekanntes Muster von noir zu pressen.

Heinrich Steinfest:
Der sanfte Terrorist und höfliche Pöbler über die Zumutungen des Lebens in unseren Zeiten. Zeit und Raum werden zerdehnt, seziert, neu angeordnet und paradox verzwirbelt. Das Ungeheuerliche lauert überall und gebiert manchmal Gelächter, manchmal Grauen. Die Traditionen heissen Wittgenstein, Musil, Hermanovsky-Orlando und die werden plötzlich Krimi-kompatibel. Und am Ende stehen auch keine Krimis, aber ohne Zweifel Kriminalromane.

 

© Thomas Wörtche, 2006
Bücher Spezial, Herbst 2006

 

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