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Von Madison, Wisconsin, nach Barcelona, Catalunya

Thomas Wörtche über David C. Hall

 

David C. Hall ist ein seltener Fall: Ein amerikanischer Schriftsteller, der gleichermaßen perfekt englisch und spanisch schreibt. Seine ersten beiden Romane, "Cuatro Días" und "No quiero hablar de Bolivia" sind sogar nur auf Spanisch erschienen, sein dritter "Return Trip Ticket" gleichzeitig in beiden Sprachen. In den USA, für die englische Version, hat er damit den begehrten "Shamus-Award" gewonnen, während die spanische Fassung seiner Kurzgeschichte "He who waits for you" in der spanischen Version "El que te espera" den renommierten Preis des "Concurso de Relatos Semana Negra" gewonnen hat.

Zweisprachigkeit bedeutet evidentermaßen auch einen doppelten Blick: zum Beispiel den des 1974 in Spanien, genauer in Sant Cugat des Valles bei Barcelona gelandeten Amerikaners aus Madison, Wisconsin (wo Hall 1943 geboren wurde) auf die spanische Gesellschaft und umgekehrt, den Blick des im katholischen Mediterráneo heimisch gewordenen Wahl-Katalonen auf die USA. Beides Welten im Umbruch: Die USA hatte Hall in den Zeiten von Nixon und Vietnam verlassen, weil er sie für "politisch unerträglich" hielt, und nach einigen Jahren des Herumziehens in Europa ließ er sich dann ausgerechnet in den letzten Agonien des Franquismus in Spanien nieder. Das dann plötzlich spannend wurde, auch vom schriftstellerischen Aspekt her: Denn die letzten Franco-Jahre und vor allem die brisanten und prekären Jahre der Umwälzung, der "Transicion", also Spaniens mühsamer und gefährdeter Weg zur Demokratie, waren voller nervöser Energien.

Die literarische Flankierung der Transicion bildete dabei das unter Franco zur Irrelevanz unterdrückte Genre des "Kriminalromans", der "novela negra". In dieser Art Literatur, die wie alle Arten der "Popular Culture" nach Francos Tod plötzlich vor Kreativität und Originalität nachgerade explodierte, fanden die entscheidenden Diskussionen über Kontinuität und Neuanfang, über historische Schuld und neue Ordnung statt. Ein literarisches Genre hatte klug überwintert und griff jetzt so nachhaltig wie lautstark in den öffentlichen Diskurs ein. Der Boom hielt bis weit in die 80er Jahre, erst in den 90ern schien er in Spanien zu erlahmen.

Hall hatte die Welle für seine Zwecke nutzen können und sich in der spanischen Öffentlichkeit etabliert, wobei er ständig Skepsis artikuliert: Seine Texte sezieren mit melancholisch-scharfem Blick sowohl die Euphorie des Aufbruchs als auch den allmählich um sich greifenden Katzenjammer der zunehmend Filz und Verkrustungen produzierenden und auslaufenden "Ära Felipe Gonzales". "Pension Maravillas" hieß Halls düster-ironischer Kommentar zu dieser Zeit, den man auf deutsch in der Anthologie "Neonschatten" nachlesen kann.

Auch Halls Wahrnehmung der USA in den bleiernen Reagan-und-Bush-Jahren profitieren von dieser Erfahrung. "Return Trip Ticket" beschreibt eine Reise von quälender Ereignislosigkeit durch ein fahles, ökonomisch fertig gemachtes Land, ein Kontinuum in "grau", das die traditionellen "noir"-Werte der amerikanischen Antimythen um die oppositionelle Kraft gebracht hat.

"Die Tatsachen im Fall Beltrán", David C. Halls erstes Original-Hörspiel, wehrt sich mit Witz und Wut gegen das Rollback der zähen, alten Werte. Die alten Gespenster des katholischen Klerus sind wieder da. Zynisch und frivol nutzen sie die Bereiche der Gesellschaft aus, die man ihnen ohne Not überlassen hat - die "Entsorgung" alter Menschen. Ironischerweise auch solcher alter Menschen, die im Kampf gegen Franco ihre Existenz riskiert hatten. Jetzt hat sie der alte Feind vermeintlich sicher und endgültig wieder in den Klauen. Aber eben nur vermeintlich, denn die Alten sind ganz schön einfallsreich. Und lebenslustig, im wahrsten Sinn des Wortes und bis in den Tod.

David C. Hall, der Meister des minimalistischen, melancholischen und anscheinend resignierten "Gris" hat zu einem bösen, sarkastischen und provozierenden "Noir" zurückgefunden. Als Titel seines Hörspiels hat er eine bewußte Anspielung auf den Gründungsvater der amerikanischen Tradition des "Noir", Edgar Allen Poe, gewählt: "The Facts in the case of the death of the author" - "Die Tatsachen im Fall Beltrán". Die Welt, ob in Madison, Wisconsin, oder Barcelona, Catalunya ist gleichermaßen obzön und grotesk. Man kann sie aber, im Sinne Poes, immer noch verlachen.

© Thomas Wörtche, 1996
(WDR)

 

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