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Mit Wollust und präziser Erzählökonomie

Thomas Wörtche über John Harvey und seine Charlie Resnick-Romane

 

Der Einfallsreichtum unserer Verlagslandschaft reicht mal gerade dahin, "ekelhafte und verdrießliche Ballen" (Jean Paul) von schlechten und zudem politisch anrüchigen Autoren und -innen mit prominenten Publikationsplätzen auszustatten, ob es sich um Reagans Leibautor Tom Clancy, McCarthy-Dumpfbacke Mickey Spillane oder dumme Anwaltsschwarten handelt. Für sie alle gibt es Platz, Geld und Publicity auf dem deutschen Markt. Das wirkliche Leben spielt sich dagegen woanders ab. Zwar hat sich immerhin der Goldmann-Verlag aufgerafft, bis jetzt fünf (von neun) Bücher der Charlie-Resnick-Serie des Briten John Harvey zwischen Halden unnützer anderer Taschenbücher zu verstecken, aber auf diese Art wird kaum deutlich, daß es sich bei Harveys Romanen um den jazzliebenden, katzenhaltenden Detective Inspector polnischer Herkunft, der in Nottingham mit den Banalitäten des Alltags zu tun hat, um eines der interessantesten Projekte der britischen Gegenwartsliteratur handelt und nicht um eine x-beliebige Krimi-Serie. In England und in den USA streicht Harvey nicht nur höchstes Kritikerlob ein, sondern hat auch eine riesige Lesergemeinde. Dabei sollte doch zu denken geben, daß ein Mann, der so viele ästhetische Artikulationsformen beherrscht, wie das John Havey tut, nicht rein zufällig eine Kriminalroman-Serie, angesiedelt in einer englischen Mittelstadt wie Nottingham, als seine Form wählt, um damit literarisch zu kommunizieren, was er kommunizieren möchte. John Harvey hat so ziemlich alle literarischen Genres und Texttypen beherrschen gelernt. Trash-Romane, Science Fiction und Western, Kurzgeschichten aller Art, Radiofeatures und Fernsehfilme, er betreibt einen kleinen, aber hochfeinen Verlag für Lyrik, die "Slow Dancer Press", und ist selbst ein sehr ernstzunehmender Lyriker. Das zeigt sich besonders an seinen Jazz & Poetry-Projekten, mit denen er live auftritt und von denen eine programmatische Auswahl auf der Kassette "Ghosts of a Chance" zu hören ist, die er mit der Gruppe Second Nature eingespielt hat.

Von daher gekuckt ist dann Charlie Resnick, der leicht übergewichtige Held seiner Romane eben nicht noch ein Bulle, als dessen Erkennungsmerkmal (wider die Ticks und Macken der Konkurrenz, die in England gerne Gedicht-Bände verfassen und/oder Jaguar fahren) halt Liebe zum Jazz herhalten muß. Bei Harvey hat diese ganz spezielle Musik (Resnick mag nur einen bestimmten Jazz, nämlich allen guten, und haßt abgrundtief alle Jazz-Goes-Fashion-Attitüden von Gershwin bis zu dem Zeug, das man uns heute als "Jazz" verkaufen will) gute Gründe: Sie gibt nicht nur die atmosphärische und emanzipatorische Grundhaltung seiner Bücher vor, sondern strukturiert die Prosa selbst: "It was the night Milt Jackson came to town", so beginnt der neunte Resnick Roman, "Deep Waters" (erscheint 1997 in England), und der erste, 27-Zeilen lange Satz ist minutiös und meisterhaft einer Vibraphon-Phrase von Milt Jackson nachgebildet. Was an und für sich noch nicht allzuviel besagt, aber auf Implikationen von Harveys Bücher verweist, die man hierzulande in "Krimis" nicht unbedingt vermuten möchte.

Überhaupt ist Harvey ein Meister der stillen, unaufgeregten und unhysterischen Implikation. Man merkt es besonders deutlich an dem, was fehlt: Monster, Serialkiller, Superbullen, pathetische Privatdetektive, klare Fälle, die man mittels Kombination lösen kann, spektakuläre, sensationelle Fälle, exotische (oder idyllische) Settings, philosophische Überhöhungen und alle anderen Exaltationen der ideologischen oder politischen Art, die einen gewissen Typus von Kriminalliteratur immer unerträglicher und mangels angebotener Alternativen immer verkaufsträchtiger machen. Harvey ist ein blendender Schriftsteller, bei dem kein Wort zufällig da steht, wo es steht, und er hat die seltene Qualität, die gute Literatur immer noch auszeichnet: Er bastelt mit Wollust und präziser Erzählökomie eine literarische Welt, die glaubwürdig und plausibel funktioniert, weil sie mit literarischen Mitteln gut gestaltet, und nicht, weil sie einfach der Wirklichkeit abgekupfert ist. Harveys Polizisten aus Nottingham, nebst assoziierten Figuren aus ihrem Umfeld, (mit Charlie Resnick als narrativem Primus inter pares, mehr nicht), haben alle ihre eigene Geschichte, sind nett und fies, stark und schwach, lieben und leiden. Das ist einerseits das Prinzip Soap Opera, andererseits auch das Merkmal großer erzählerischer Würfe wie bei Balzac oder Zola. Weder muß Harvey Themen des heutigen Großbritannien - ob sie Rasssmus heißen oder Folgen des Thatcherismus, ob es Ekelhaftigkeiten sind, die die Brits, wie jede Gesellschaft, an der Hacke haben - nicht jeweils zum Thema eines Romans aufblasen (wie in Deutschland der öde Soziokrimi), noch braucht er sie außen vor zu lassen (wie im UK die verlogenen Bücher von P.D. James & Co.), er kann sie einfach mitlaufen lassen als Teil eines verbrecherischen Alltags, der Realität ist. Und insofern nicht sensationell.

Harvey bringt das Kunststück fertig, aus einer Serie von Kriminalromanen neun einzelne, für sich selbst Bestand habende Romane zu machen, auch jeder einzelne mehr als ein "Krimi". Welche kreativen Folgen das hat, kann man an der englischen TV-Serie "Cracker" oder an neuen Autoren wie Jim Lusby studieren, die von Harvey zumindest angeregt worden sind.

© Thomas Wörtche, 1996
(Plärrer)

Verführung zum Tod. (Lonely Hearts, 1989) Dt. von Mechthild SandbergCiletti, 1993
Spezialbehandlung. (Rough Treatment, 1990) Dt. von Bernhard Schmidt, 1993
Tiefer Schnitt. (Cutting Edge, 1991). Dt. von Bernhard Schmidt, 1994
Vermisst. (Off Minor, 1992). Dt. von Bernhard Schmidt, 1994
Wasted Years, 1993
Nebel über dem Fluss. (Cold Light, 1994). Dt. von Bernhard Schmidt, 1996
Living Proof, 1995
Easy Meat, 1996
Still Water, 1997

 

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