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Das charakteristische Verhältnis der Amerikaner zur Gewalt

Thomas Wörtche im Gespräch mit Jeremiah F. Healy

 

Thomas Wörtche: Mr. Healy, Ihre Romane um den Privatdetektiv John Cuddy spielen allesamt in und um Boston. Sind Kriminalromane die eigentliche Regional-Literatur?

Jeremiah F. Healy: In gewissem Sinne sicher. Weil es viele Möglichkeiten, Variationen und Vorteile bietet, wenn man sich auf eine Region beschränkt. Nehmen Sie nur die knapp 700 Kilometer um Boston - Ozean, Strände, Wälder, Gebirge, große Städte, Suburbs, ländliche Gegenden. So kann ich beinahe jedes Kapitel in einem anderen setting spielen lassen, ohne daß mein Held große Entfernungen zurücklegen muß. Denken Sie an die wunderbaren Romane vom James Crumley, die im Mittleren Westen spielen. Um dort das Milieu zu varrieren, müssen seine Helden 8 Stunden und mehr durch die Gegend fahren. Das kann für das Zeit-Konzept eines Romans ganz schön eklig sein. Ein weiterer Vorteil von Boston ist, daß dort Leute von sehr verschiedenen ethnischen Backgrounds und sehr verschiedenen Sozialisationen ganz selbstverständlich mit einander umgehen. Deswegen kann ich glaubwürdig viele Leute differenziert sprechen lassen; ich kann sie durch ihre Sprache viel besser unterscheidbar machen als durch letztlich redundante äußere Merkmale. Meine Themen sind natürlich nicht lokal gebunden, im Gegenteil. Aber Crime Fiction hat es ja immer mit universalen, starken Themen zu tun: Rache, Ehre, Geld, Liebe.

Thomas Wörtche: Wenn Sie sich die Komplexität unserer Welt, die Komplexität des Phänomens "Verbrechen" anschauen, glauben Sie, daß der gute, alte Privatdetektiv damit glaubwürdig umgehen kann?

Jeremiah F. Healy: Ich glaube schon, daß es für den PI noch einen glaubwürdigen Handlungs-Raum gibt. Dieser Raum ist zwar von der Realität erschaffen und bedingt, angefüllt jedoch mit purer Fiction. Als Jurist kann ich klar sehen, daß unser Rechtssystem bei 98% aller Fälle funktioniert, bei 2% versagt es vollständig - in der Realität. Im Roman kann der Autor mit dem PI alle Probleme lösen. Wir Amerikaner lieben ja die Vorstellung, daß der Cowboy Gerechtigkeit in eine gesetzlose Gesellschaft gebracht hat. Was natürlich nicht stimmt. Der Cowboy war ein 13jähriges Kerlchen auf einem Gaul. Den PI heute kann man verstehen als jemanden, der Gerechtigkeit in eine von Gesetzen verstopfte Welt bringt. In der Realität ist ein Privatdetektiv nichts anderes als der Gehilfe, der die Beinarbeit macht - für Anwälte.

Thomas Wörtche: Dann ist Ihr Cuddy eine romantische Figur?

Jeremiah F. Healy: Ja, der ist schon sehr romantisiert...

Thomas Wörtche: Und deswegen vielleicht auch die verborgene Hälfte des korrekten Juristen Jeremiah F. Healy III?

Jeremiah F. Healy: Intellektuell gesehen sicher. John Cuddy, eben als romantische Figur, hat einen Ehrenkodex in der klassischen, amerikanischen Tradition des PI. Er unterscheidet sich jedoch von den anderen Privatdetektiven: Er ist ein Gewinner.

Thomas Wörtche: Cuddys Detektiv-Kollegen haben ja immer eine Vigilanten-Komponente. Spillanes Mike Hammer von "rechts", Parkers Spenser von "links", von Zynikern wie Riders Malone ganz zu schweigen...

Jeremiah F. Healy: In der amerikanischen Kultur gibt es eine bestimmte Perspektive auf Gewalt als akzeptiertes Verhaltensmuster. Gewalt gilt als angemessene Reaktion auf eine Handlung, die hinreichend böse ist. Das ist ein Maßstab sich ständig steigernder Gewalt. Ich habe John Cuddy eine puritanische Komponente gegeben, ihn sozusagen a-sexuell gemacht, um die Gewalt aus dem ansonsten für den amerikanischen Kriminalroman typischen Kontext von sex & violence herauszulösen. So wird das wirklich charakteristische Verhältnis der Amerikaner zur Gewalt "unverkleidet" zum Thema meiner Romane.

Thomas Wörtche: Das hat sehr harsche gesellschaftskritische Implikationen...

Jeremiah F. Healy: Oh ja. Das hat mit den 98% der Fälle zu tun, bei denen das System funktioniert. Das kann nur in einem statistischen Sinn befriedigen, oder in einem industriellen Sinn, wo 2% Ausschuß nicht allzu schlimm sein mögen. Aber die 2%, das sind Menschen und Schicksale und Leben, die möglicherweise zerstört werden - und das kann ich niemals akzeptieren, schon gar nicht in den Romanen. Deswegen hat John Francis Cuddy sich auch entwickelt. Nach der Lektüre von Robert B. Parkers Spenser-Serie war ich der Meinung, daß meine Hauptfigur etwas ernsthafter sein sollte, wo es die Thematik erfordert - unterhaltsam kann man in Passagen sein, die das zulassen.

Thomas Wörtche: Glauben Sie, daß Crime Fiction in den 90er Jahren allmählich eine neue Ästhetik abseits des Schemas entwickeln muß?

Jeremiah F. Healy: In ihrer Themenwahl hat der relevante Teil der amerikanischen Kriminalliteratur die gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA schon immer antizipiert. Dabei hat sich formal in den letzten 50 Jahren nichts wesentliches getan. Es spricht einiges dafür, zumindest eine Formel für den Privatdetektiv beizubehalten, die Hammett und Chandler entwickelt haben. Nämlich der Romancier im Roman zu sein - der oder die sich mit Armen und Reichen, Gebildeten und Ungebildeten, mit dem ganzen Durchschnitt und Querschnitt der Gesellschaft von Berufs wegen beschäftigt. Weil sich die Gesellschaft natürlich verändert, muß auch dieser Romancier seine oder ihre Parameter ständig ändern. Man kann diesen Prozeß wahrscheinlich auch für die 90er Jahre eher als Evolution denn als Revolution beschreiben, analog zu den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen.

Thomas Wörtche: Befürchten Sie nicht, daß diese Formel einmal erstarren könnte?

Jeremiah F. Healy: Das ist ein bißchen wie unser Football oder Ihr Fußball. Daß die Regeln gleich geblieben sind, heißt noch lange nicht, daß sich das Spiel nicht weiter entwickelt hat. Das gilt auch für Privatdetektivromane. Gerade Autorinnen und ihre Heldinnen haben sich der ehemals männlichen Grundformel bedient, mit großem Erfolg.

Thomas Wörtche: Wenn Sie den zeitgenössischen Kriminalroman und den zeitgenössischen "Mainstream"-Roman vergleichen - hat der Kriminalroman da Vorteile, weil er Sprache eher zum Medium denn zum Sujet macht?

Jeremiah F. Healy: Der Vorteil der PI-novel ist, daß man eine vorbereitete Form unendlich variieren kann. Sie ist nicht so einschränkend wie ein Haiku, aber sie ist eine Herausforderung. Sie zwingt zu analytisch-induktivem Denken. Der zeitgenössische Roman, der eher auf seine Sprache reflektiert -nicht, daß das Crime-Autoren nicht auch täten- macht es sich mit dem Plot einfach; der gehört nämlich auch zum "Sinnaufbau" eines Romans. Er beschränkt den Leser immer wieder auf die selbe Landschaft, reduziert diese auf immer neue Ansichten derselben. Während ein Kriminalroman mit verbindlichem Plot stets neue Landschaften entstehen läßt - wenn dieser "geographische" Vergleich erlaubt ist.

© Thomas Wörtche, 1992
(Frankfurter Rundschau)

 

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