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Zwischen Dessous und Jägerzaun

Die Dialektik des Marketing. Von Thomas Wörtche

 

Nichts gegen Dolly Buster, schon gar nicht moralisch. Frau muss sehen, wo sie bleibt. Und in den harten Zeiten des Extreme-Marketings, die auch auf dem Buchmarkt die verkaufsfördernde Kombinatorik bewährter Formel braucht, kann man als »Porno-Queen« durch counter-casting mit Literatur, naja, mit literaturanalogen Texten einen netten Gewinn machen: Krimis. »Hard Cut« und »Tiefenschärfe« heißen die beiden Büchlein, die, man kann es ohne jede Häme sagen, gar nicht schlecht sind. Sie sind auch nicht gut, sie sind eben so, wie die Mehrzahl der deutschen Krimi-Standardproduktion halt ist: Unerheblich, aber wegen dem Promi-Namen auf dem Cover und dem doppelmoraligen Sabber-Effekt, der bei dem Label »Dolly Buster« auch nicht ausbleiben darf (denn sonst taugt es ja nichts), immerhin schön verkaufsträchtig. So weit so normal, so okay und wenn das Management von Frau Buster darin Ersprießliches sieht, kein Problem.

Lustiger und beredter für den deutschen Krimi-Markt ist jedoch, dass nicht Frau Buster sich über den Krimi nobilitiert, sondern der Krimi sich mit Frau Buster profilieren möchte. So erklärte der »Syndikats«-Sprecher Horst Eckert, dass die Integration der Lady in die Standesorganisation der Krimi-Autoren lediglich für die Vielfalt der organisierten deutschen Krimi-Szene spreche, in der man auch gerne Horst Ehmke begrüßen würde, der ja auch Krimis schreibt. Im Zuge der Kombinatorik (Politiko/Promi & vermeintlich schlichte Form, nämlich Krimi: In diese Abteilung gehören Till Bastian, Jutta Ditfurth, Werner Sonne etc.) lässt natürlich Herr Ehmke Krimis schreiben, die wegen der Professionalität des Ghostwritings auch nicht schlecht sind. Gut auch nicht, nur eben unerheblich.

Mit anderen Worten: Das Marketing hat das ganze Genre hopsgenommen, die Qualität der Texte ist auf der Prioritätsliste für die Bücherproduktion ziemlich nach unten gerutscht - an ihr, so glaubt, kann man am ehesten durch Lektoratshandwerk schnell noch die gröbsten Mängel übertünchen. Glaubt man. Nur Text reicht für ein Buch nicht mehr.

Sogar nur Buch reicht für ein Buch nicht mehr, zumindest nach traditionellem Verständnis. Denn wie könnte man sich sonst erklären, warum bei einem ansonsten netten kleinen Format wie den »Erotischen Krimis mit Schuss« aus dem Hause Europa (Kombinatorik: Sex and Crime, die älteste Kombinatorik der Welt) der Buchblock links oben durchbohrt ist: Buch mit Loch sozusagen und insofern so peinlich, dass man's in diesem Zusammenhang kaum aufschreiben mag. Man muss sich halt was einfallen lassen, schallt es allenthalben, es darf nur nichts mit Literatur zu tun haben, denn nur Texte überfordern die Leute: Texte mit Loch weniger. Pisa lässt grüßen.

Und so schreitet die Selbstmarginalisierung eines Genres fröhlich voran, dem man einst unter anderen gesellschaftlichen Auspizien sogar beinahe schon Subversivität attestiert hatte. Kein »Krimi-Event« mehr ohne Fun-Faktor - mörderische Dinners, mörderisches Haarewaschen, mörderische Tortenschlachten, Krimi-Lesungen im Dessous-Shop mit anschliessendem Strip von Autoren (Kombinatorik: Grauen und Krimi, mal anders), Krimis im Zoo, Krimis im Garten... In einem Beitrag für die Website der Frankfurter Buchmesse werden diese Aktivitäten positiv verbucht unter der Bereitschaft der AutorInnen, sich ihr Publikum »zu erlesen«. So wie die Herren Bohlen und Effenberg, und mit Texten, die ein solches Publikum hören will.

Denn das ganz breite Publikum, das liest vermutlich das am liebsten, was es schon immer gelesen hat: Heimatromane, Adels-Romane und dergleichen Heftchen. Am besten deutsche. Und die gibt es seit geraumer Zeit und -eben!- immer mehr kombiniert mit Grimmi: Christian Bonmarius hat in einem wunderbaren Artikel in der »Berliner Zeitung« gerade festgestellt, dass der Regionalkrimi die »Wiedergeburt des deutschen Heimatromans aus dem Geist des deutschen Krimis« betreibt und diese Tendenz zur »verheerendsten Literaturverwüstung seit Hera Lind« führe. Ich hätte es nicht schöner sagen können - obwohl: Die Hera-Lindisierung hat lediglich den Krimi erreicht und ihre Zielgruppe mitgebracht. Das sieht man daran, wie man über Krimis redet: Jeder Maßstab, den man diskutieren könnte, ist dem patenten, unerschrockenen Digitalurteil: »Mag ich/mag ich nicht« gewichen. Ein Blick in viele (gilt nicht für alle) Internet-Foren zum Thema Krimi genügt als Beleg. Dort feiern sich Ahnungslosigkeit, schlichte intellektuelle Faulheit und die aggressive Abwesenheit jeder Reflexion als demokratische Tugend im Plappern über Bücher. Vermutlich war das schon immer so, aber das Internet gibt dieser ganz realen Rezeption von Kultur ein materielle Existenz. Das wird natürlich von den Machern verfolgt (Marktforschung for free, sozusagen) und beobachtet. Da kann man es der Buch-Industrie nicht übel nehmen, wenn sie die sich dort auftuende geistige Leere nutzt und mit allerlei fluffigen Schaumstoffen füttert. Verbraucherkritischer Widerstand ist nicht zu erwarten. Von Petra Hammesfahr (Kombinatorik amerikanischer Plot & deutscher Biedersinn) über Gabriele Wollenhaupt (Kombinatorik: Heimat und hausfrauliche Frivolität) bis zu Alexandra von Grote (Kombinatorik: Gute Plots und Lore-Roman settings) - wobei hier Namen lediglich für die Machart stehen. Aber die Regel gilt: Die Qualität eines Textes ist ein Produktionsfaktor von nachgeordneter Wichtigkeit.

Und noch mal Hera Lind: Die ist bekanntlich schon längst Vergangenheit. Und so muss auch die Heimat-Produktion schon schwer gestützt werden. Erstens fragmentiert sie sich immer mehr, fast jeder Regierungsbezirk hat inzwischen einen Krimi-Kleinverlag und Krimiautoren zu Hauf, zweitens werden auch ein paar »Giganten« des Geschäfts wie Jacques Berndorf nicht ewig ihre Klone nähren können (wer kennt noch all die Hera-Lind-Klone, wenn man Frau Lind schon nicht mehr kennt?) und drittens beginnt schon der rigor mortis: Zunehmend tauchen so aparte Subsortierungen wie Kirchen- und Friedhofskrimis auf.

Hinter dem Heimat-Krimi lauert aber schon die nächste marketing-gestützte Trendbombe: Der historische Krimi (Kombinatorik: historische Romane und Verbrechen von heute im Wams von dunnemals). Kaum ein Epoche wird verschont werden, und historische Epochen haben zudem noch den Vorteil, ihrerseits wieder untergliederbar zu sein - regional, sexuell, mit Katzen, ohne Köche, mit Friseuren. Bis man alleine Gallia Cisalpina durch Aufstieg und Fall des Römischen Reichs dekliniert hat, braucht man schon ein paar Bände, bevor man an sich Hispania Ulterior mit schwuchteligen Tribunen seit dem Jahr macht, in dem Caligulas Katze verzehrt wurde. Ad infinitum. Ich hatte jüngst einen finnischen Steinzeit-Krimi auf dem Schreibtisch. Toll.

Wer aber will schon der kulturkritische Sauertopf sein? Ich nicht, denn natürlich gehört markt-gerechtes Verhalten zum professionellen Handwerk des Buchmachens. Was nützen wunderbare, spannende, verstörende, irre und brillante Kriminalromane, von deren Existenz kein Mensch erfährt?

Nur könnte der Moment kommen, wo kein Mensch mehr wunderbare Kriminalromane produzieren kann, weil sie nicht als solche erkannt werden oder weil sie, weil wunderbare Bücher alles andere brauchen als bequeme LeserInnen, nicht mehr »ankommen«. Denn wenn das Marketing derart den Text dominiert und wenn dieses Kräfteverhältnis zunehmend vom Publikum honoriert wird und wenn ein grosser Teil der Autorinnen diese Selbstentmündigung vorauseilend gehorsam betreibt, dann gelingt es zwar, die »kulturelle Schwellenangst« zu beseitigen (was ja angesichts verblasener Konzepte von »Hochkultur« sehr sinnvoll ist), aber gleichzeitig jede kriminalliterarische Substanz zwischen Jägerzaun, Tunika-Oase und Dessous zu ersticken. Diese Dialektik eines populären Genres wird Leuten noch viel Ärger machen, die das Marketing als sinnvolles Beförderungsinstrument für gute Bücher verstehen.

 

© Thomas Wörtche, 2003
(Buchkultur, Juli 2003)

 

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