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Jenseits der Gattungskonventionen

Thomas Wörtche über Elmore Leonard und seinen Roman »Alligator«

 

Elmore Leonard: Alligator Es gibt eine ganze Reihe von vorzüglichen Autoren und Autorinnen, die, um Newsweek sinngemäß zu zitieren, zu intelligent sind, um wirklich populär zu sein, und nicht prätentiös genug, um den Feuilletons zu schmeicheln. Zu dieser Art Autoren gehört sicher Elmore Leonard, ein ganz großer Name in den USA, hierzulande beinahe ein Nobody. Werbekampagnen, wie der an Albernheit schwer zu überbietende Spruch, Leonard sei "der beste lebende Kriminalautor, den wir je hatten", sind extrem kontraproduktiv, weil Leonard kein "Kriminalautor" ist und weil solche Marktschreiereien niemand hören will. Die stehen schließlich mittlerweile auf den Umschlägen von zigtausend Schundromanen.

Kriminalautor ist Leonard nur in dem Sinn, in dem auch Graham Greene, Jim Thompson, Ross Thomas, Joseph Wambaugh, Tom Wolfe oder Jerome Charyn Kriminalautoren sind oder nicht. Romanciers, die Stoffe schreiben, die unweigerlich mit Verbrechen und Gewalt zu tun haben, die sich aber an keine Gattungskonventionen gebunden haben. Warum auch? Wenn das Telos des Schreibens nicht darin liegt, in den Diskurs der Begriffe einzugreifen (das heißt die Reflexion über die Darstellungformen hierarchisch höher anzusiedeln als die Darstellung selbst), sondern der Literatur einen "Sitz im Leben" zu erhalten, dann wird man bei dem Zustand, in dem die Welt nun einmal ist, zwangsläufig auf Themen gestoßen, für die historisch gesehen vielleicht tatsächlich einmal eine bestimmte Darstellungsform vorgesehen gewesen sein mag, der Kriminalroman eben. Obwohl ich auch da skeptisch bin.

"Alligator" auf jeden Fall ist ein ländliches Sittenstück, eine Tragikomödie aus dem Alltag von Palm Beach County, Florida. Dort residiert Richter Bob Gill, "Maximum Bob " (so heißt der Roman auch im Original), der, pardon, ein Riesenarschloch ist. Rassistisch, sexistisch, ganz bestimmt kein demokratisch gesinnter Mensch, dabei von gewissem Witz und schleimigem Charme. Und er ist ein Tyrann und Rechtsbeuger vom Selbstherrlichsten. Kein Wunder, daß eine Menge Leute ihn los sein wollen, für immer. Dicky Campau zum Beispiel, Froschjäger und Alligatorenwilderer, oder Dr. Tommy, Arzt ohne Zulassung, aber mit der elektronischen Fessel an sein Haus gekettet, oder Elvin und Dale Crowe, Onkel und Neffe Kleinganoven. Richter Gill, der dabei ist, seine Gattin aus dem Haus zu krätzen, ist gerade hinter der Bewährungshelferin der Crowes, Kathy Diaz Baker, her, die sich mit Erfolg in den Polizisten Gary Hammond verliebt hat, nachdem der einen Alligator im Garten des Richters erschossen hatte, den Dicky Campau dort vorher hineingesetzt hatte. Diese überschaubare, einfache Figurenkonstellation reicht Leonard aus, um menschliche Affekte wie Liebe, Haß, Gier, Eifersucht, Geilheit, Machtstreben, Koketterie in all ihrer schillernden Vielfalt zwischen Komik und Entsetzen zu arrangieren. Zwei der oben aufgezählten handelnden Personen überleben diesen Quickstep der Gefühle nicht, aber das Leben hat bekanntlich auch tragische Seiten.

"Alligator" ist ein guter Roman nicht nur, weil er erzählökonomisch meisterhaft gebaut ist, weil die Dialoge stimmen und Leonard verschiedene Handlungsstränge virtuos zu handhaben weiß, sondern auch weil Leonards Figuren durch größtmögliche Differenzierungen ungemein plastisch und anschaulich sind. Typologisierungen gibt es nicht in dem Roman, und deswegen hat auch Maximum Bob wirlich sympathische Züge, selbst Elvin Cowe ist ein sehr menschliches Wesen, der angebetete Jungpolizist Hammond ist trotz seines Heldenimages einfach ein bißchen dumm und Kathy ein klein wenig moralisch schmuddelig. Solche uneindeutigen Verhältnisse sind wahrscheinlich auch der Grund, warum Leonards Bücher hier nicht allzu beliebt sind. Er repräsentiert keinen Standpunkt, er steht für nichts anderes als für seine dichterische Wahrheit, er kann über Leute schreiben und Ausschnitte aus Lebenswelten schreiben, die hierzulande nur in sozialkritischer Absicht vorkommen. Und er produziert keinen Kitsch, will heißen: kein geschlossenes Weltbild nebst ideologischem Wertmaßstab. Das reicht scheinbar aus, um ihn suspekt zu machen. Zumindest unbequem.

Denn wenn schon Bücher über Randexistenzen, bwz. über Machthaber geschrieben werden, dann sollen sie gefälligst kritisch, am besten sozialkritisch sein. Und weil das von vornherein feststeht, muß man nicht mehr so genau hinkucken. Genau das aber tut Leonard, ohne sich selbst zu erhöhen. Dabei entsteht dann eine Art uneitle, genau beschreibende Literatur, die man mit Fug "demokratisch" nennen darf, weil sie den Beobachter nicht für wichtiger hält als das Beobachtete, weil sie Widersprüche benennen und auf den Punkt bringen kann, ohne über die Widersprüchlichkeit der Welt zu lamentieren oder sie gar auflösen zu wollen. Eine Literatur, die weiß, warum Vielfalt spannender und ergiebiger ist als "Identitäten", die das Untere mit dem Oberen verknüpfen kann (weil das eine ohne das andere nicht existiert). Dann allerdings ist der schlanke Roman aus den Sümpfen Floridas nicht mehr nur für "amerikanische Zustände" gültig obwohl er eine ganze Menge Fremderfahrung vermittelt, was bekanntlich schon immer für Leser ein extrem wichtiger und bereichernder Aspekt war und ist , sondern er ist gleichzeitig die ästhetische Umsetzung kleiner Facetten aus der Condition Humana in Literatur.

© Thomas Wörtche, 1994
(Freitag)

Elmore Leonard: Alligator. (Maximum Bob, 1991) Roman. Deutsch von Hans M. Herzog. München: Goldmann Taschenbuch Verlag, 1996, 314 S., 7.45 Euro (D)
(Die Besprechung bezieht sich auf die Hardcover-Ausgabe München: Goldmann, 1994)

 

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