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Was Sie schon immer über die Mafia gewusst haben

Thomas Wörtche über ein paar Bücher zur Mafia

 

Die Zeiten der einfachen Weltbilder sind eigentlich vorbei. Dichotomien und Binaritäten taugen höchstens noch als Programmiergrundlagen für Rechenmaschinen. Für die Beschreibung politischer, sozialer und ökonomischer Zusammenhang sind sie so sinnvoll wie ein Abakus für den Umgang mit Computern. Dennoch: Der Kampf zwischen "dem Verbrechen" und "der Gesellschaft", wenn beide als abgrenzbare, gar antagonistische Prinzipe gedacht sind, ist ein solcher Topos, der immer noch irrational, analog zu Religionen funktioniert. Glaubenssätze beherrschen die Diskussion, fungieren als Grundlage der Analyse und bestimmen die Grundsätze politischen Handelns. Kein Wunder also, daß auch das "Sachbuch" zum Thema zur Mythen und Legendenbildung beiträgt; hin und wieder sogar in der christlich erprobten und bewährten Form der Heiligen-Vita. Genau wie eine solche liest sich die Lebensgeschichte von Sam "Mooney" Giancana, einem der geheimnisumwitterten Paten der us-amerikanischen Mafia. Aufgeschrieben haben dessen Leben sein Bruder Chuck und dessen Sohn Sam (jr.) unter dem Titel "Giancana. Der Pate der Macht" (Lübbe).

Das Buch bestätigt alles, was wir schon immer gewußt haben: Die ganzen US von A ein einziger Sumpf! Der Mafia gehört Hollywood und die Olympiade, die Presse und der Sport, die konservativen politischen Parteien und die Gewerkschaften, die CIA und Teile des FBI und seit Truman auch jede Regierung. Aufs Konto der Mafia geht die US-Außenpolitik in Asien, Afrika und Lateinamerika, sie sitzt im Ölgeschäft, im Waffengeschäft und hat den Finger auf dem Vatikan. Beweisen wir mal, daß es nicht so ist! Nicht, daß die Giancanas uns beweisen könnten, daß es so ist, aber genau diese Konstellation macht das "Sachbuch" zu einem nahen Verwandten des PolitThrillers. Weltgeschichtliche Fakten, Ereignisse und Daten sind allgemein bekannt und leicht nachzuprüfen - wie es dazu kam, welche Hintergründe welche Aktionen wie motivierten, das ist mehr oder weniger plausible Spekulation. Der Grad der Plausibilität ermißt sich daran, wie Insiderwissen oder die Ergebnisse langjähriger Recherchen über Tatbestände, die nicht bürokratisch fixiert sind, zum Gang der Geschichte "passen", den wir kennen.

Das organisierte Verbrechen, die Mafia oder ähnliche Gruppierungen, unterscheidet sich in einem Punkt ganz klar vor den offiziellen Staatsgebilden: Sie sind nicht primär bürokratisch strukturiert und führen keine peniblen Akten über ihr Treiben. (Um die Sache noch komplizierter zu machen: Natürlich können auch offizielle Staatsakten gefälscht, vernichtet und manipuliert sein und eine ganz besondere Hermeneutik erfordern. Die deutsche Stasi-Diskussion tut in ihrer aufgeplusterten Wichtigkeit so, als gebe es die nützliche historische Disziplin der Quellenkritik einfach nicht. Auch im Verzicht darauf, sind deutlich irrationale Züge zu erkennen.) Wie schwierig es deswegen ist, einem Drahtzieher des organisierten Verbrechens in einem Rechtstaat seine Untaten nachzuweisen, davon gibt der Bericht der beiden Ex-FBI-Leute Joseph F. O'Brien und Andris Kurins: "Ehrenwerte Männer. Das FBI und der Pate von New York" (S. Fischer) eine leise Ahnung. All die Mühen und Frustrationen, die es kostete, dem New Yorker MafiaBoß Paul Castellano eine Wanze in die Küche zu plazieren, all die bürokratischen und verfahrenstechnischen Hindernisse, von denen O´Brien und Kundris so detailliert berichten, daß sie auch gleich zugeben, echte FBI-Verfahren verfremdet dar gestellt zu haben, stehen im krassen Gegensatz zu den Andeutungen, den Gesten, den geheimnisvollen Blicken, dem double talk und den streng kodifizierten Ritualen, von denen das Buch der Giancanas überquillt. Höchst aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang eine Beobachtung der beiden FBI-Leute: Die Rede- und Verhaltensweise der ehrenwerten Herrschaften haben sich deutlich an die Godfather-Filme angelehnt. Die Giancana-Biographie hingegen stellt diese Details genau so dar, wie sie dann bei Mario Puzo und Francis Ford Coppola lediglich der Wirklichkeit nachgebildet erscheinen.

Mythisierung und Ent-Mythisierung jedoch treffen sich dann im Endergebnis, wenn im Eifer der Enttarnung Positionen des "natürlichen" Feindes des organisierten Verbrechens unreflektiert bezogen werden. Ein Beispiel für eine solche, wider die gute Intention aus schlagende Übernahme von Mythen, ist die Studie von Jürgen Roth und Marc Frey: "Die Verbrecher Holding. Das vereinte Europa im Griff der Mafia" (Piper). Roth/Frey wollen, was völlig richtig ist, die Position der professionellen Verbrechensbekämpfer, also der Polizei und der Staatsanwaltschaft ernstnehmen. Problematisch ist, daß sie auch deren Ideologien unreflektiert übernehmen. Dabei wird der Bereich des Drogenhandels naürlich so zentral, wie es der glühende Prohibitionismus interessierter Kreise sich wünscht. Und Roth/Frey liegen auf dieser Linie, statt sich argumentativ und sachkundig mit den Thesen und Vorschlägen der "Legalisten" auseinanderzusetzen. Neben verschiedenen Einwürfen von Milton Friedman sei auf den von Gerd Grözinger herausgegebenen Sammelband "Recht auf Sucht? Drogen. Markt. Gesetze." (Rotbuch) hingewiesen und darin besonders auf die Beiträe von Michael de Ridder und Jean-Claude Wolf. Eine der weitreichenden Implikationen des "Prohibitionismus" liegt in dessen Grundvorstellung, organisiertes Verbrechen und Staat seien Gegner, mithin zwei säuberlich getrennte Entitäten. Genau diese Vorstellung aber ist der größte Mythos. Denn und das ist das große Thema von Werner Raith (z.B. "Parasiten und Patronen. Siziliens Mafia greift nach der Macht" und "Mafia. Ziel Deutschland" beide Fischer Taschenbücher), das Aufkommen mafioser Strukuren ist direkt korrelierbar mit dem "Verfall politischer Kultur". Wenn legal und illegal von den Stützen des Staates hochoffiziell als scheißegal gleichbehandelt werden (Raith nennt etwa Helmut Kohls "massive Interventionen in den Verkauf ostdeutscher Verlage und Medien", die die Entwicklung einer freien Presse sabotieren), dann sind für Raith auch die historischen Parallelen zur Genese der italienischen Mafia gegeben. Die Wiedervereinigung als größter Coup mafiosen Verhaltens? Stellt man sich ernsthaft die Frage, "wer da mit welchem Interesse genau diese Art der Vereinigung gewollt hat", dann wäre die schiere Dummheit und Inkompetenz der Politik in der Tat die erfreulichere Lösung.

Die Strukturen des ehemaligen Ostblocks jedenfalls stehen zu jeglicher Untat bereit. Werner Raith weist zurecht darauf hin, daß das "Know-how, erlernt im Beruf des Unterdrückens einerseits, das Anwenden von Gewalt oder illegaler Mittel, der Beherrschung von Menschen andererseits" mit dem Verschwinden der alten Mächte keineswegs verschwunden sind. Wie auch, war doch das mächtige Sowjetimperium nicht wirklich über eine gemeinsame politische Philosophie definiert und zusammengehalten, sondern durch krimininelle Energie: Eine Sklavenhaltergesellschaft. Behauptet mit guten Gründen der russische Jourist und Journalist Arkadi Vaksberg. Seine große Studie "Die Sowjetische Mafia. Organisiertes Verbrechen in der Sowjetunion" (Piper) ist nicht nur dazu geeignet, die Realpolitik (auch die westliche) seit Stalin mit anderen Augen zu betrachten, sondern sie zeigt auch einige verallgemeinerbare Kennzeichen mafioser Strukturen. Besonders ein Mechanismus präpariert Vaksberg deutlich heraus: Die immaterielle Korruption, die sich nur sehr vermittelt in Geld und geldwerte Leistungen umrechnen läßt, die aber nicht minder verheerend für eine Gesellschaft sein kann. Die leise Art der Korruption also, die mit einem unbeweisbaren Geflecht schmieriger Leistungen, Gegenleistungen und Verpflichtungen operiert. Vaksberg expliziert solche Strukturen am Beispiel der hohen Politik in der UdSSR. Auf deutsche Verhältnisse übertragen, müßte man mit einem solchen Ansatz nicht nur unsere Parteien und ähnliche Klüngel untersuchen, sondern zum Beispiel die vielen Ungereimtheiten, Merkwürdigkeiten und die brutale Machtausübung der Nullen im Medien- und Kulturbetrieb. Vaksberg denkt in eine ähnliche Richtung und droht mit einer Studie über "besoldete Intellektuelle".

© Thomas Wörtche, 1993
(Plärrer)

 

Sam Giancana, Chuck Giancana: Giancana. Der Pate der Macht. (Double Cross). Ein Insider-Bericht aus der US-Mafia. Aus dem Amerikanischen von Anita Krätzer und Bernd Rullkötter. Bergisch Gladbach: Lübbe, 1992, 560 S., 46.00 DM

Joseph F. O'Brien, Andris Kurins: Ehrenwerte Männder. (Boss of Bosses). Das FBI und der Pate von New York. Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992, 383 S., 39.80 DM

Jürgen Roth, Marc Frey: Die Verbrecher-Holding. Das vereinte Europa im Griff der Mafia. München ; Zürich : Piper, 1992, 436 S., 38.00 DM

Gerd Grözinger (Hg.): Recht auf Sucht? Drogen, Markt, Gesetze. Berlin: Rotbuch-Verl., 1991, 191 S., 18.00 DM

Arkadij I. Vaksberg: Die sowjetische Mafia. Organisiertes Verbrechen in der Sowjetunion. Aus dem Russ. übers. von Bernd Rullkötter. München ; Zürich : Piper, 1992, 367 S., 38.00 DM

 

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