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Das Grauen unter der provinziellen Ordnung

Thomas Wörtche über Ulrich Ritzel und seinen Roman »Schwemmholz«

 

Schwemmholz Provinz gilt als schauderhaft. In der Großstadt erwartet man sowieso jede Art von Gräuel, und versucht, Ordnung ins scheinbare Chaos zu bringen. In der Provinz herrscht angeblich Ordnung, aber darunter liegt das Grauen. Die Kriminalliteratur hat das seit je begriffen. Obwohl sie eine grundsätzlich urbane Literaturform ist, sind ihre Instrumente in Händen von Könnern auch trefflich für die Verwandlung von Provinz in Literatur zu gebrauchen. Georges Simenon hat grandiose Krimis übers flache Land geschrieben, desgleichen Pierre Magnan oder Jean-Patrick Manchette. In den USA ist der country noir seit William Faulkner und Jim Thompson eine feste Grösse, auch wenn die entsprechenden Romane nicht immer "Krimi" heissen. Und was Ross Thomas aus dem Thema "Kleinstadt, Lokalpolitik" gemacht hat, gehört immer noch zu den Meilensteinen der Gegenwartsliteratur.

So weit ist Ulrich Ritzel aus Ulm noch nicht ganz, aber vielleicht auf dem Weg dorthin. »Schwemmmholz«, sein zweiter Roman um das Ermittlerduo Berndorf und Tamar Wegenast, der gerade zurecht mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet worden ist, hat wie sein Vorgänger »Der Schatten des Schwans« ein paar beachtliche Qualitäten: Ritzel zeichnet mit scheuklappenfreiem Blick eine Art "inneres Panorama" einer durchschnittlichen deutschen Mittel- bis Kleinstadt: Ulm, das mit seinem Appendix Neu-Ulm an der Grenze zwischen Bayern und Baden-Würtemberg liegt, was zu kleinen, vergnüglichen länderhohheitlichen Wirrnissen führt. Ritzel nutzt den erzählerischen Angelhaken "Verbrechen", um uns vorzuführen, was eine solche Gesellschaft "ticken" lässt - ihre Gier, ihre Opportunismen, Mechanismen und Obsessionen. Weil Ritzel aber ein Mensch ist, der schon einige Zeit auf diesem Planeten lebt (er ist Jahrgang 1940) und als Gerichtsreporter der Ulmer "Südwestpresse" seinen Gegenstand intim kennt, kann er bei seinen Erzählmitteln und seinen Plots gelassen down to the ground bleiben. D.h. er muss nicht schrill werden. Kommissarin Wegenast z.B. ist offen lesbisch, und das ist kein Thema. Gewalt ist überall, aber sie ist nicht inszeniert in Schock- und Slashmomenten, was den Büchern deutlich gut tut.

Hinter den politischen und moralischen Schweinereien (Pharmaindustrie, Baugewerbe), die Ritzel sich vornimmt, liegen immer noch menschliche Verheerungen. In »Schwemmholz« besonders gelungen symbolisiert durch die beiden Kerle, die latent schwul sind, aber nicht zusammenkommen können, es sei denn vermittelt über eine Frau, was zu einem katastrophalen Sandwich-Dreier führt. Und der hat Konsequenzen, die wiederum für das boomende Bauwesen in Ulm Konsequenzen zeitigen. Ausserdem hat Ritzel einen elaboriert boshaften Blick für Behörden - für Kompetenzgerangel, für Pleiten, Pech und Pannen und für einzelne schöne Situationen, die ins Bizarre streifen. Und das alles eben vorgetragen in einer ruhigen, klaren, erzählfreudigen und manchmal fröhlich abschweifenden Prosa.

Ein kleines Wermutströpfchen muss aber auch sein: Ritzel macht unverständliche Fehler bei der Schilderung von Ermittlungsarbeit und folgt bei der Zwei-Personen-Dramaturgie Berndorf/Wegenast allzu deutlich der fatalen TV-Tradition. Obwohl doch gerade bei dem Thema aus der Wirklichkeit noch viel witzigere und spannendere Funken zu schlagen wären. Aber das ist vielleicht auch ungerecht: Denn Ritzel ist eine neue, souveräne Erzählstimme aus Deutschland. Und das ist doch schon was.

 

© Thomas Wörtche, 2000
(Zeitung zum Sonntag)

 

Ulrich Ritzel: Schwemmholz. Roman. Lengwil: Libelle, 2000, 414 S., 19.50 Euro (D)

 

 

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