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Mafia-Folklore

Thomas Wörtche über Ulrich Schmid und seinen Roman »Der Zar von Brooklyn«

 

Der Zar von Brooklyn An die Stelle der Cosa-Nostra-Folklore in Buch, Film und Fernseh' ist schon längst die Russen-Mafia-Folklore getreten. Russen-Mafia - das ist der blutgewordene Komparativ: Noch gewalttätiger, noch ruchloser, noch atavistischer, noch übler. Umso bemerkenswerter ist der Roman eines Schweizer Autors: »Der Zar von Brooklyn« von Ulrich Schmid. Schmid war Korrespondent der NZZ in Moskau, dann in Washington. Zur Zeit ist er für das Blatt in Peking. Korrespondenten neigen oft dazu, ihre journalistisch unverarbeiteten Materialreste in "Polit-Thriller" umzufüllen, die dann meist Reportagen ergeben, ausstaffiert mit Dialogen und schicken Frauen. Oder im besten Fall die fiktive Fassung von Vorkommnissen, deren Faktenfassung juristisch nicht haltbar wäre oder gewissen Leuten allzusehr auf die Zehen trampelte.

Deswegen ist es Schmid hoch anzurechnen, dass sein Roman kein Korrespondenten-Roman in diesem Sinn ist. Es wäre zu befürchten gewesen, denn mit dem Sachbuch »Gnadenlose Bruderschaften. Der Aufstieg der russischen Mafia«’ hatte er schon einschlägiges Material gesammelt. Aber »Der Zar von Brooklyn« ist einfach ein Roman. Also ein Sprachkunstwerk, bei dem das "Wie" mindestens genauso wichtig wie das "Was" ist. Mehr noch - das "Wie" erschafft das "Was": Der junge russische Journalist Zwetkow gewinnt einen Preis für eine politisch verwertbare Reportage über Missstände in einem Bergwerk, darf zur Belohnung in die USA fliegen und für sein Blatt, den "Sputnik", Russen porträtieren, die es in New York zu etwas gebracht haben. Zwetkow ist ein stattliches Kerlchen mit prominenter Nase, ziemlich intelligent, ziemlich eingebildet, ein Weiberheld und ein feiger Opportunist, wenn's gar nicht anders geht. Das merkt auch Markow, ein Elektronik-Händler, der es in Little Odessa zu bescheidenem Reichtum und einer schönen Frau gebracht hat. Das ideale Objekt für Zwetkows Porträt. Nur stimmt mit Markow etwas ganz und gar nicht. Er wird, so scheint es, erpresst. Von irgendwelchen russischen Schutzgeldgangstern. Plötzlich ist er tot. Selbstmord. Dann sind die Schutzgelderpresser tot. Mord. Markows schicke Frau ist verschwunden. Und Zwetkow wird das Objekt obskurer Begierden. Bis es aber so weit ist, schwelgt unser Journalist im Pathos des Aufklärers. Er will herausbekommen, was mit Markow wirklich passiert ist. So verfällt er der oben geschilderten Mafia-Folklore, beflügelt durch seine amerikanische Gelegenheitsgeliebte Tracy, die sozusagen den Standpunkt des normalen Russen-Mafia-Thrillers vertritt. Alles muss so exotisch gruselig sein wie möglich, um Interesse zu erregen. Wenn's nicht nach Blut, Mord und Modder riecht, dann ist es ihr nichts.

Um was es aber wirklich geht in dem Buch, das liegt von der ersten Zeile an in der Erzählstruktur gleichzeitig offen und verborgen. Zwetkow ist der Ich-Erzähler, der die ganze Handlung jemandem erzählt. Nämlich einem vermutlich gutsituierten Herrn namens Iwan Andrejewitsch mit feudalem Büro und mondäner Sekretärin. "Kompliment, Iwan Andrejewitsch - Kompliment", so hebt das Buch an und baut sogleich eine Hierarchie zwischen Erzähler und Zuhörer, deren Sinn sich lange nicht erschliesst. Der so treuherzig sein Inneres ausbreitende Zwetkow, der sein ganzes Lebensglück und -unglück, seine Frauengeschichten, seine unrühmliche Familiengeschichte, seine diversen Macken und Defizienzen brav rapportiert, ist dennoch kein "naiver" Erzähler. Ganz im Gegenteil. Schmid inszeniert den etwas tumb daherkommenden Russen, der mit scheinbar offenstehendem Mund Amerika bestaunt (aber nebenbei ein paar äusserst scharfsinnige Beobachtungen zum amerikanischen Alltag zum Besten gibt, über Übergewichtige zum Beispiel) als Komponente einer Welt, deren Sinn-Parameter ins Rutschen gekommen sind. Die Story-Twists am Ende des Buches, die die ganze Mafia-Kiste in ein veritables realpolitisches Szenario verwandeln, sind nur deswegen so erstaunlich, weil Zwetkow seine Beichte, seine Erzählung an entscheidenden Punkten durchaus nicht authentisch betrieben hat. Er hat signifikante Löcher gelassen, ohne die ein Hauptstrang (wohin ist Markows Frau verschwunden und warum und weshalb könnte Zwetkow das wissen?) in eine ganz andere Richtung geht. Das ist doppelt clever, weil damit nicht nur der Leser getäuscht wird, sondern auch die Strategie des ganzen Buches Teil des Plots wird. Denn wie gesagt, Zwetkow mag zwar ein Feigling, ein kleines Arschloch (wie mal jemand trefflich anmerkt) sein, aber er ist nicht dumm. Als er gemerkt hat, dass er für den Geschmack einiger Leute viel zu viel weiss, beschliesst er diesen Text zu schreiben, der wir jetzt lesen. Denn wie wird man mit Leuten fertig, denen ein Menschenleben weniger als nichts bedeutet? Ganz einfach, man versucht, dazu zugehören. Deswegen ist Schmids "Mafia"-Roman ein Bewerbungsschreiben zur Aufnahme in eine verbrecherische Struktur, mit der verglichen die "Mafia" in der Tat bloss Folklore ist. "Ich bitte um Aufnahme", heißt denn auch der letzte Satz.

Angesichts so einer raffiniert-ambiguen Erzählkonstruktion braucht Schmid keine sensationellen, exotischen Grausamkeiten und billigen Thrills, um eine Atmosphäre des Undurchsichtigen, Mehrdeutigen und manchmal auch Grotesken zu erzeugen. Die russische Literatur dient ihm dabei als ständiger Verweis auf eine Tradition, die sich genau mit diesen Themen beschäftigt hat. So gelingen Schmid grossartige Sequenzen im phantastisch- satirischen Geist Gogols und karnevalistisch-koprophile Stellen à la Sorokin, und die ganze scheinnaive Grundkonzeption könnte von Leskow stammen.

Ein Polit-Thriller also, der als voll ausgebildeter Roman funktioniert. Und das gibt es ausser beim Viergestirn Greene, Ambler, Thomas und le Carré nur noch sehr selten.

 

© Thomas Wörtche, 2000
(Freitag, 19.05.2000)

Ulrich Schmid: Der Zar von Brooklyn. Roman. Frankfurt am Main/Berlin: Eichborn 2000. 516 Seiten, 25.90 Euro (D)

 

 

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