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Ein Superheld nach dem Geschmack seiner Zeit

Thomas Wörtche über die Neuausgabe der Shaft-Romane von Ernest Tidyman

 

Shaft und das Drogenkartell "Shaft", das sind in unserem kollektiven Gedächtnis die ersten Takte von Isaac Hays' Titelmusik zum ersten Shaft-Film. Dann ist Shaft der gleichnamige Film, dann das Sequel (beide von Gordon Parks), dann der unfreiwillig komische Shaft in Africa (diesmal von John Guillermin) und am Ende die trüben TV-Fassungen. Dann wurde Shaft vergessen und unter die seltsamen Wege der Blaxploitation abgelegt - dem Remake unserer Tage zum Trotz. John Shaft, der schwarze Privatdetektiv aus New York City, wird für immer aussehen wie der Schauspieler Richard Roundtree, der wiederum nur als John Shaft weiterlebt. "Shaft" gehört zu der merkwürdigen Kategorie von Kunstwerken, die man verlegen "Kult" nennt. Das gilt jedoch nicht für die Bücher. Es gab nämlich auch Shaft-Romane. Sie waren erst die Vorlage zu den Filmen, entstanden dann parallel dazu und spekulierten auf Verfilmungen, die nie entstanden. Sie waren bedeutend härter und schmutziger, aber auch holzschnittartiger und naiver als die Filme. Und gerieten in Vergessenheit. Dagegen setzt nun der Pendragon-Verlag neu übersetzte und vollständige Ausgaben, die mit Shaft und das Drogenkartell beginnen. Das ist spannend, denn die Romane sind auf eine bestimmte Art interessanter als die Filme.

Das fängt damit an, dass der Erfinder des schwarzen Shaft ein Weißer war: Ernest Tidyman (1928-1984) aus Cleveland, Ohio, ein Journalist, Romancier und Drehbuchautor, der an einem echten Klassiker der Filmgeschichte beteiligt war: Er schrieb das Drehbuch zu Friedkins French Connection (1971), das auf einem Roman des Rechtauslegers und Vietnamkriegs-Glorifizierers Robin Moore (Green Berets) beruhte. Dieser Kontext ist nicht ganz unwichtig, wie sich zeigen wird.

Die Shaft-Romane (sechs, bis auf den letzten: The Last Shaft) erschienen in Deutschland in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Ullsteins Gelber Reihe. Die Ullstein-Bücher dieser Zeit hatten knallige Cover, waren in der Regel gekürzt und hatten oft putzige Übersetzungen zu bieten, die bewusst einen schrägen Geschmack bedienten. Sätze wie: "Er ging zu Boden wie ein tranchiertes Kamel" haben ohne Zweifel ihren Charme. Die erwähnte Vietnam-Verbindung allerdings ging bei den Kürzungen verloren und ist erst jetzt auf deutsch wieder sichtbar. Denn John Shaft ist ein armer schwarzer Junge aus dem Waisenhaus, der das Killen bei der US-Army in Vietnam gelernt hat und nicht wieder davon los kommt. Mit diesem Charakterzug begründete er eine literarische Reihe von Figuren, die erst in den Achtzigern als psychisch und oft physisch verkrüppelte Privatdetektive kritisch gegen die US-Politik gewendet zu literarischen Ehren kamen und ihre vielleicht beeindruckendste Ausprägung in den Drogen- und Gewaltfreaks aus dem Universum von James Crumley gefunden haben.

Doch auch im Kontext der frühen Siebziger war der Auftritt eines starken schwarzen Detektivs in der Kriminalliteratur bemerkenswert. "Shaft" war natürlich nicht der erste seiner Spezies. Schon 1932 gab es den einschlägigen Roman The Conjure Man Dies (der Held allerdings war dort police detective) aus der Feder von Rudolph Fisher, einem Autor aus dem Kreis der Harlem-Renaissance. 1965 betrat dann Virgill Tibbs die Bühne, der schwarze Cop aus dem Norden, der sich in John Balls Roman In der Hitze der Nacht mit einem rassistischen Sheriff im Süden anlegt. Die Verfilmung von Norman Jewison (mit der wunderbaren Titelmusik von Ray Charles) feierte 1967 Triumphe. Tidyman musste nur von dem netten Mr. Tibbs die versöhnlichen Züge entfernen und schon konnte John Shaft auf dem rauen New Yorker Pflaster loslegen. Gemein, gewalttätig, nicht nett, mit viel Sex, großer Klappe, omnipotent, ein Superheld, der auf die Moden und die Mode der Zeit zugeschnitten war.

Die frühen Siebziger waren nicht gerade ein Goldenes Zeitalter für innovative Privatdetektivromane. Die Routine der Ross Macdonald, John D. MacDonald & Co, auch wenn sie oft brillant war, bestimmte den Gang der Dinge. Die wirklich originellen literarischen Texte sollten erst am Ende des Jahrzehnts kommen, das Suspense-Genre im Großen und Ganzen war von den Psycho-Thrillern à la Highsmith und Miller und vor allem von den Polit-Thrillern bestimmt, für die es angesichts der weltpolitischen Lage auch einen stärkeren Haken in der Realität gab. Es war die Zeit von Ross Thomas, Eric Ambler, Len Deighton, John Le Carré und allen anderen, die gegen die Verlautbarungen der Kalten Krieger die moralischen Grautöne in ihren Büchern setzten.

Und es war noch immer die Zeit von Ian Flemings James Bond. Auch hier ist die Literatur ohne den Film nicht zu denken. Das Bedürfnis nach Superhelden war multimedial geweckt (je problematischer die Lage in Südostasien wurde) und black fing an beautiful zu werden. Tidyman konnte sich so auf ein doppeltes Marktkalkül stützen, und sich zudem von den emanzipatorischen Bewegungen der Zeit die Glitzerelemente holen. So gesehen sind die "Shaft"-Romane strukturell ein wunderliches Amalgam, das disparate Elemente integrieren konnte. Am deutlichsten kann man das bei Shaft's Carnival of Killers von 1974 sehen, das die kleine Welle der Karibik-Thriller jener Jahre von Graham Greene & Co. und den Trend zum Polit-Thriller ausnutzt, ohne je deren analytische und künstlerische Dimensionen zu erreichen.

Die Hautfarbe von John Shaft kombiniert mit dessen Selbstbewusstsein konnte allerdings nur deswegen sensationell wirken, weil das Werk von Chester Himes in den USA bösartig ignoriert wurde. Gegen Himes' Harlem-Cops, Grave Digger Jones und Coffin Ed, ist selbst der brutale, smartcrackende John Shaft eher ein Kuscheltyp. Und an die brillanten und wirklich neuen Erzählweisen, die Chester Himes für seinen Harlem-Zyklus entwickelt hatte, konnte Tidyman selbst in seinen besten Momenten nicht heranreichen. Aber Chester Himes durfte zu dieser Zeit nur in Europa, besonders in Frankreich stattfinden. Deswegen konnte Tidyman auch die Schilderung Harlems, das in den Fünfzigern, Sechzigern und Siebzigern des letzten Jahrhunderts methodisch heruntergewirtschaftet wurde, einfach von Chester Himes übernehmen: Als für weiße Gemüter angstbesetzte Vision eines brodelnden Hexenkessels voller schwarzer Menschen, in den Weiße keinen Einblick bekommen. Weshalb entweder schwarze Cops nach ihren eigenen Gesetzen Ordnung halten müssen oder - wie bei Tidyman - der schwarze John Shaft von dem weißen Cop Victor Anderozzi als Ohr und Auge geschickt werden muss. Vor allem, wenn es um Rassenpolitik und die Panik vor einem Aufstand der schwarzen Bevölkerung geht. Die politisch radikale Bewegung von Shafts Jugendfreund Ben Buford, der in mehreren Büchern auftaucht, ist, zum Beispiel mit Himes radikaler Vision Plan B. verglichen, eine aus dem weißen Blickwinkel beruhigend gemeinte Lachnummer, hart an der Karikatur. Der Schock der bürgerkriegsähnlichen Aufstände von Watts 1965 saß dem weißen Amerika noch so tief in den Knochen, dass Tidyman zur rassistischsten aller Verschwörungstheorien greift: Watts sei das Werk einer diffusen Mafia gewesen, die in South Central L.A. die Schwarzen missbraucht habe, um Grundstücks- und Versicherungsdeals abzuziehen.

Die "Mafia", die nicht nur bei Shaft und das Drogenkartell für die ganz bösen Jungs steht, erklärt sich ebenfalls schlicht aus dem Zeitgeist: "La Cosa Nostra" ist für unseren schwarzen Superhelden nach dem rasenden Erfolg von Mario Puzos The Godfather (1969) marketingtechnisch der ideale Feind. Die "Mafia" funktioniert als anonyme Macht nur über das semantisch leere Reizwort. Man muss über sie nichts Genaues wissen: In einer unfreiwillig urkomischen Szene rennt Shaft durch eine Reihe von Eckkneipen in Little Italy und lässt überall ausrichten, er wolle mit "der Mafia" sprechen. Die dann prompt zum Stelldichein strömt. Und der Padrone lässt sich von Shaft mutterseelenallein in einer dunklen Ecke umlegen. Nu.

Eine andere Zeitgeist-Zutat, die wiederum mit dem Supermann-Aspekt und dem emanzipatorischen Simulacrum verknüpft ist, ist interracial sex. Shaft treibt's gern mit weißen Frauen, die es ihrerseits allzu gern mit dem starken schwarzen Mann treiben. An diesem Thema war in den fünfziger Jahren die Skandalisierung und Vertreibung von Chester Himes ins europäische Exil passiert. Profitiert hat davon Tidyman, der allerdings dieses dreifach gezwirbelte, schein-emanzipatorische Klischee unbehaglich verlängert. Um nämlich flächendeckend vermeintlich schwarze "Authentizität" zu simulieren, greift er in zwei traditionelle Kisten: Shaft among the Jews könnte man gerade noch als kaschierten Rassismus beziehungsweise Antisemitismus bezeichnen; Shaft has a ball hingegen ist offen sexistisch - in diesem Fall grob homophob. Tidyman ging also gegenüber seinem Hauptpublikum, der weißen Mehrheit und deren moralischen Normen, auf Nummer sicher. Das etwas verlegene Manöver des NAACP, ihm einen Preis zu verleihen, zeigt lediglich, dass man auch dort in bekannten ideologischen Hierarchien dachte - Sexismus und eigener Rassismus galten eben bloß als "Nebenwiderspruch".

Immerhin, die Neuausgabe von Shaft gibt auch heute noch schöne Einblicke in das Kalkül von "populärer Literatur", in die manchmal unbehagliche Dialektik von Breitenwirksamkeit und emanzipatorischem Gehalt. Unschuldiges Vergnügen kann man also nicht versprechen.

 

© Thomas Wörtche, 2002
(Freitag, 22.11.2002)

 

Ernest Tidyman: Shaft und das Drogenkartell. (Shaft, 1970). Deutsch von Emanuel Bergmann. Pendragon Verlag, Bielefeld 2002, 213 S., 9,90 EUR

 

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