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Phantasmagorisches Monumentalpuzzle

Thomas Wörtche über Paco Ignacio Taibo II und seinen Roman »Vier Hände«

 

Vier Hände Zwei Journalisten, Greg und Julio, möchten zusammen endlich einen, den großen Roman schreiben. Vierhändig wollen sie ihn schreiben, den "Spitzenroman" über zwei "Journalisten, die sich weigern, mit der Mode zu gehen, die weiter in jeder verdammten Ecke der Welt Revolutionen suchen, um sich in sie zu verlieben". Aber noch ist nicht so weit. Greg und Julio, die beiden komischen, verzweifelt romantischen und traurigen Helden des Romans "Vier Hände" von Paco Ignacio Taibo II, haben genug zu tun, mit der supra-geheimen Operation "Schneewittchen" einer supra-geheimen Abteilung der CIA fertigzuwerden, in der sie mitwirken, ohne davon die geringste Ahnung zu haben. Diese Abteilung namens "SD", (für: Shit Department) mit ihrem überlebenstüchtigen Chefparanoiker Alex an der Spitze, ihre Geschichte und ihre Intrige gegen die Sandinisten bilden einen weiteren Handlungsstrang in diesem phantasmagorischen Monumentalpuzzle.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: In dem Opus Magnum des spanisch-mexikanischen Schriftstellers Taibo geht es außerdem um einen Kriminalroman, den Leo Trotzki in seinem Exil beginnt, aber nie beenden wird. Um einen Journalistenpreis, den Stan Laurel und ein asturianischer Revolutionär, die 1942 in einem gottverlassenen Nest auf der Baja de California aufeinandertreffen, sich später ausdenken, und für den sich der Enkel des Spaniers, eben Julio, 1988 bewerben wird. Um einen bulgarischen Stalinisten, der als Reisekader ohne bestimmten Auftrag um die Welt treibt und Emilio Salgaris "Sandokan"-Romane im Gefängnis umdenkt. Um Houdini im Gespräch mit einem Psychoanalytiker, um Kubas Rolle im internationalen Drogenhandel, um geile Zwerge und fiktive Narcotraficantes, die plötzlich sehr real werden. Aber das, wie gesagt, sind nur ein Teile des Mosaiks, das Taibo am Ende nicht vollständig zusammensetzt. Wie auch? Es macht den wesentlich Reiz von "Vier Hände" aus, daß Taibo den Komplexionen der Welt kurz vor dem November 1989 mit einer magisch-realistisch-fragmentarischen Mischung aus Trivialmythen, Revolutionsmythen, Alltagsmythen und harter "Realpolitik" zu Leibe rückt. Er bastelt eine Welt, die komisch ist, bizarr, gewalttätig und absurd, zusammengestoppelt aus Fetzen von Vergangenheit und Gegenwart, künstlerisch nur zu bearbeiten mit universal verständlichen Mitteln: Kriminalroman, Slapstick, Politthriller und deren emotionaler Bandbreite von ätzendem Realismus, Pathos bis hin zum schieren Kitsch, heiterem Optimismus und kluger Paranoia. All das nimmt Taibo bitterernst und parodiert es gleichzeitig.

Ein verwirrendes Buch, das der verwirrenden Persönlichkeit Paco Ignacio Taibo II entspricht. Geboren 1949 in Gijón, Asturien; Sohn des Schriftstellers und Intellektuellen Paco Ignacio Taibo; Emigration nach Mexiko. Dort wurde PIT II "Medienarbeiter" und bezaubert seit den 70er Jahren mit surrealen Krimalromanen um den Detektiv Héctor Belascoaran Shayne, der erst stirbt, dann wieder aufersteht. PIT II hat viel für die globale, schriftstellerische Kommunikation von Ost und West getan, war Spiritus Rector der "International Crime Writers Association" (von u.a. US-Amerikanern und Russen 1986 in Havanna gegründet), machte die "Semana Negra" in Gijón für vier Jahre (von 1988-1991) zu einem hochspannenden (und dem weltweit meistbesuchten) Literaturereignis, ließ dann das Festival durch merkwürdige Verquickungen der undurchsichtigen (geheimdienstlichen?) Art zur Bedeutungslosigkeit verkommen, war gerade Co-Autor einer Che-Guevara-Biographie - und ist sicher einer der interessantesten Autoren Lateinamerikas. Vielseitig, schillernd, virtuos, mit einer schier unheimlichen produktiven Energie.

"Vier Hände" ist übrigens 1990 zuerst in Nicaragua erschienen; Taibo ist auch Träger des Nicaraguanischen Staatspreises für Literatur. Die schöne Edition und die gute Übersetzung von Annette von Schönfeld bei VLA läßt (nach unglücklichen Zwischenspielen bei Goldmann, Rotbuch, Rowohlt) hierzulande auf die Entdeckung dieses Autors hoffen.

© Thomas Wörtche, 1996
(Wochenpost)

 

Paco Ignacio Taibo II: Vier Hände (Cuatro Manos, 1990). Roman. Dt. von Annette von Schönfeld. Berlin/Hamburg: Verlag der Buchläden Schwarze Risse/Rote Straßen. Verlag Libertäre Assoziation 1996. 413 Seiten, DM 39, 80

 

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