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Plaudern über das Böse

Thomas Wörtche über Andrew Vachss und Claus Leggewie

 

Die Benetton-Kampagne hat's vorgemacht - möglichst existentiell besetzte Themen (Tod & Elend & Co.) in die Dienste des Advertising zu nehmen. Jetzt ist auch "das Böse" da angekommen. Der Eichborn-Verlag läßt Claus Leggewie und den amerikanischen Trivialautor Andrew Vachss "Über das Böse" plaudern - und schon die allerersten beiden Sätze zeigen, wo's wieder mal lang geht: "In Deutschland kennt man Andrew Vachss als Autor von Kriminalromanen. Die meisten Leser wissen gar nicht, daß Sie im Hauptberuf Rechtsanwalt sind....", beginnt Leggewie das Gespräch.

Ich möchte ihm, dessen kluge Kommentare zur Lage der Nation in politicis ich schätzte, nicht unterstellen, er habe sich bewußt von Eichborn funktionalisieren lassen. Aber wäre er sachkundig in literaricis, wüßte er, daß Vachss erst von Ullstein, dann von Eichborn genau unter dem Stichwort "Anwalt für geschändete Kinder" vermarktet worden ist, und daß das Zeitgeistfeuilleton von Stern bis Spiegel eben das gebetsmühlenhaft repetiert hat. Jetzt also zum 50sten Mal. Natürlich ist es ehrenvoll, sich für geschändete Kinder einzusetzen. Über die Qualität von Vachss' Prosa sagt es nichts, und die ist nach wie vor erbärmlich. Seine Romane stammen ästhetisch und inhaltlich/moralisch aus dem Neandertal. Bei ihm sind Männer noch Männer, "Krieger" halt, Frauen Huren oder Heilige (gerne auch nach ihrer jeweiligen Branche im Sexbusiness diversifiziert: S/M = Pfui; liabes Straßenmädel = guat), des Menschen bester Freund ist der Bluthund, und zu all dem tummeln sich asiatische Kampfmaschinen, die nächtens durch New York streifen, das so schick-verottet designed ist wie die Kulissen der Vogue-Modefotografie der mittleren 80er. Dazu unsäglich schlichte Plots und naives, hölzernes Erzählen.

Vachss als kurzfristiger Hype auf dem Buchmarkt hat sich seit Jahren erledigt, seine Vigilanten-Thematik, die man mal schnell so gruselig-toll fand, war sowieso kaum Mickey Spillane im Hochglanz-Gewand. Insofern kann man schon verstehen, warum Eichborn, der vermutlich eine hübsche Stange Geld für Vachss-Lizenzen hingelegt hat (ich hör den Agenten kichern), jetzt dringend einen politischen Kopf aus ihm machen will. Vielleicht hilft's ja beim Abverkauf.

So weit, so traurig normal und eigentlich nicht der Rede wert. Vachss' Äußerungen zum Thema "Kinderschänder" könnte Katharina Rutschky (die er auf Stichwort von Leggewie gleich mal für leicht gaga erklärt) viel kompetenter kommentieren, aber darum geht es nicht wirklich. Nur soviel: Vachss und Leggewie machen sich sehr schöne Gedanken über den Terminus "Kindesmißbrauch" - aber keinen einzigen darüber, was denn dann der korrekte "Gebrauch" von Kindern sein könnte.

Sprachkritik? Ein bezeichnendes Detail, denn das Fahnden nach dem "Bösen", das die beiden da anstellen, ist eine schräge Mischung aus unfreiwilliger Komik (wenn Vachss etwa den "Autor" Sky Nonhoff preist, weil der für ihn den Terminus littérature engagée "gefunden" hat - Schweigen seitens Leggewie) und fahrlässiger Rede darüber, wie es denn mit "Gewalt" und "Verbrechen" und den damit verbundenen Problemlagen so bestellt sei. Wohl einfach, denn mit dem "Bösen" meint Vachss nur ein Verbrechen: Kinderschändung. Das ist das Böse an und für sich, darin geht dieser Begriff auf. Kriminalität (= Kinderschänden und Folgetaten) wird von Gewalttätern begangen und die gehören lebenslänglich hinter Gitter, Bewährung ausgeschlossen.

Darüber könnte man reden, aber nicht mit der simplen Weltsicht, die Vachss anbietet. Kriminelle in den USA, das sind für ihn die Serialkiller, die anscheinend alle und jeden pausenlos bedrohen, als sei die Welt ein Roman seines Kollegen Ellroy. Die Polizeistrukturen haben sich nach diesen Minipromille der realen "Verbrechen" auszurichten, und für Herden von SozialarbeiterInnen sollen auch Stellen geschaffen werden, weil die meisten Serialkiller selbst geschändete Kinder waren, und die könnte man sozialarbeiterseits vielleicht noch retten. Von der Kinderschänderei als übergreifendem Hauptverbrechen leitet sich alles andere ab - "die größte Umweltverschmutzung ist die Kriminalität" (nein, Vachss meint nicht ökologische Verbrechen, sondern die Herrschaften Soziopath & Söhne); Adolf Hitler hat sein Kind, Deutschland, geschändet und "nicht für seine Kinder gesorgt", und deswegen hat das "mißbrauchte Kind seinen Peiniger nachgeahmt". Die schlichte Ästhetik von Vachss' spätpubertärer Banalprosa korrespondiert aufs (un)glücklichste mit dem Stammtisch des Anything goes - nämlich any Unfug goes. Verleger, Lektorat und Übersetzer, die Vachss als seine Mitstreiter im Kampf gegen das Böse versteht, hätten ihn da lieber schützen sollen.

Die paar vernünftigen Sachen, die sich dennoch finden, werden so immer wieder von der Prätention zugedeckt, Vachss hätte überhaupt etwas Originelles zu sagen. Angesichts der realen Verhältnisse in den USA - über die nachzulesen besonders die Aufsätze von Rita Schneider-Sliwa, Wolfgang Knöbl und Richard Maxwell Brown in dem von Hans Joas und Knöbl herausgegebenen Band: "Gewalt in den USA" lohnen - zeigt sich Vachss als Vertreter einer Spezies, die immer dreister um sich greift: Er ist ein Simplifikator, der reduziertes Denken als "Pragmatismus" verkauft, aus der womöglich unbewußten Kalkulation heraus, daß nur noch grobschlächtige Botschaften "ankommen". 'Hochauflösendes' Denken hat in diesem stammtischmedienkompatiblen Verkaufszusammenhang keine Chance, genausowenig wie 'hochauflösende' Prosa in Vachss' ästhetischem Kalkül. Aber so blöd ist das pp Publikum doch nicht. Als Autor ist Vachss längst ein Flop. Die flankierende Maßnahme des Verlags kann's nicht ändern. Das Böse aber ist erkannt und wird von Vachss bekämpft. That's good news.

© Thomas Wörtche, 1994
(Freitag)
(Der Artikel war von der taz bestellt, die ihn dann aber wegen
ihrer guten Beziehungen zu Claus Leggewie nicht drucken wollte.)

 

Andrew Vachss/Claus Leggewie: Im Gespräch Über das Böse. Deutsch von Georg Schmidt. Frankfurt am Main: Eichborn Verlag 1994; 171 Seiten, DM ?
Hans Joas/Wolfgang Knöbl (Hg): Gewalt in den USA. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1994; 336 Seiten, DM 18,80

 

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