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Der Overkill des Krimimarktes

Eine Sammelbesprechung von Thomas Wörtche

 

Da haben wir ihn, den wundersamen Anblick eines implodierenden "Buchmarktsegments": Einen Overkill von "Krimis" aller Couleur und kaum noch vernünftige Kriminalromane. Die Formel "Krimi" übertäubt, überwölbt und nivelliert alles und jedes zum flutschigen Lesespaß.

Högo Sopatis ermittelt Tom Zürchers Erstling "Högo Sopatis ermittelt" (Eichborn, DM 32.-, 254 S.) ist so ein Fall. Eine an sich ganz nette Satire über die durchgedrehte Logik internationaler Konzernpolitik mit beherzigenswerten Einfällen (z.B. das "Turbo-Mobbing") verläppert sich, weil unbedingt eine Figur, eben Högo Soparis, hermuß, die den schon tausendfach parodierten einsamen Privatdetektiv nochmal parodiert. Und damit hält dann auch das Personal der entsprechenden Hardboiler von vor 60 Jahren mal wieder Einzug: der Vamp, die Sekretärin, die trottelige Polizei usw. Mit diesem altbackenen Inventar kann man wirklich nix Vernünftiges über modern times zuwege bringen.

Geburtstag in Florenz Was natürlich nicht heißt, daß man keine "Krimis" mehr schreiben kann. Sogar, formal gesehen, recht konventionelle: Magdalen Nabbs neues Buch über den widerborstigen Maresciallo Guarnaccia und ein ganz "normales", todtrauriges Familiendrama mit dem Titel "Geburtstag in Florenz" (Diogenes, DM 36.-, 272 S.) ist ein Beleg dafür: Sorgfältige Prosa, ein kluger Plot und unauffällig, aber wirkungsvoll eingearbeitete lokale Realitäten, dazu echte Menschen ergeben einen überdurchschnittlich guten Kriminalroman, wie wir ihn von Nabb seit Jahrzehnten gewohnt sind. Hoffentlich überweist ihr Donna Leon einen Teil ihrer Tantiemen, denn ihre Brunetti-Schmöker sind bloß die hysterische Light-Variante von Nabbs leisen, kratzigen Italien-Büchern, die nicht immer gleich der Gesellschaft die "Maske vom Gesicht reißen" müssen. Nabb genügt es, sich Menschen genau anzuschauen.

Die fünfte Frau Ebenfalls von der sorgfältigen, ruhigen und mit epischem Atem arbeitenden Sorte ist der neue Wallander-Roman von Henning Mankell: "Die fünfte Frau" (Zsolnay, DM 39,80, 541 S.). Diesmal haben es Kommisar Wallander und die Mordkommission von Ystad in Schweden mit einer sehr klargeistigen Mörderin zu tun, die zudem aus Gründen mordet. Was sie von den üblichen Serial Killern unterscheidet. Mankells Manko ist der hin und wieder zu tiefe Griff in die schriftstellerische Klischeekiste (eine Figur, beschreibt sich selbst vermittels eines Spiegels), seine Stärke die Genauigkeit der Schilderung von Polizeiarbeit mit allen Frustrationen, Sackgassen und Fehlern und die Sjöwall/Wahlöö'sche Verbindung von Verbrechen und gesamtgesellschaftlichen Prozessen. Mankell greift allerdings kaum zu den Polit-Traktaten der beiden Altvorderen.

Aurora Solide wie das sprichwörtlich tüchtige Stück Rindfleisch auch "Aurora" von Robert Harris (Heyne, DM 44.-,462 S.). Ein auf der aktuellen Konjunkturwelle (Forsyth und die Folgen) schwimmender Russen-Thriller, der aber weniger spekulativ als "Fatherland" und weniger faktenlastig als "Enigma" agiert. Beides tut dem Roman gut. Harris baut eine klassische What-If-Situation: Stalin hat einen Sohn hinterlassen, und im Chaos der Jelzin-Zeit (der hat ein paar Winzauftritte - "hick !" - am Telefon) sehen interessierte Kreise in dem gefährlichen Kretin einen willkommenen Thronprätendenten. Und ein versoffener britischer Historiker stolpert allen in die Quere. Das ist spannend und, was die russische Situation angeht, hoffentlich nicht allzu realitätsnah.

Die Glücksfee Arg durchgeknallt und gerade deswegen sehr realitätsnah ist "Die Glücksfee" von Carl Hiaasen (Manhattan by Goldmann, DM 25.-, 478 S.). Zwar wird er von Buch zu Buch milder (proportional zu seinem Erfolg), aber die beiden Themen des Romans, Religion als Geschäftsidee und rechtsradikale Milizen, bieten genug Mörderbrüller. Besonders liebevoll in ihrem Schwachsinn sind diesmal apostolische Schildkröten, handgebohrte Stigmata und das psycho-ideologische Innenleben von "White Arayans" gezeichnet. Ein weiteres Teilchen aus Hiaasens Panorama des deliranten Wahnsinns im Sonnenstaat Florida.

Olga forever Richtig gute Kriminalliteratur gibt es auch noch: Paco Ignacio Taibos Doppelwhopper "Olga Forever" (Nautilus, DM 29,80, 187 S.) - zwei Kurzromane, in denen Taibo vorgibt, als Frau zu schreiben. Eben als Olga, Jungreporterin in Mexiko City, Ende der 80er, als Frauenkrimis boomten und sich die politisch-verbrecherische Topographie der Megastadt mal wieder veränderte. Mit beiden Tatsachen spielt Taibo auf bekannt kluge und komische Art. Olga schreibt natürlich ein Buch über einen Kerl wie Taibo und pöbelt sich durch einen Alptraum von flächendeckender Korruption und banalster Elendsgewalt, gegen die schlichtes Erzählen keine Chance hat. Allein ein kleines Kapitelchen (S.41 - 45) über die tägliche Gewalt der Stadt hat die erzählerische Schlagkraft mehrerer Lateinamerika-Epen à 3 Kilo Totgewicht. Bücher diese Art lassen uns die Implosion des "Krimi"-Marktes gelassen betrachten.

 

© Thomas Wörtche, 1998
(Woche)

 

Tom Zürcher: Högo Sopatis ermittelt. Roman. Frankfurt/M: Eichborn, 1998, 254 S., 16.90 Euro (D)
Magdalen Nabb: Geburtstag in Florenz. Roman. Aus dem Englischen von Christa E. Seibicke. Zürich: Diogenes Taschenbuch Verlag, 2000, 271 S., 8.90 Euro (D)
Henning Mankell: Die fünfte Frau. (Den femte kvinnan, 1996). Thriller. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2000 (1. Aufl. - Wien: Zsolnay, 1998), 10.00 Euro (D)
Robert Harris: Aurora. (Archangel). Roman. Aus dem Englischen von Christel Wiemken. München: Heyne Taschenbuch Verlag, 2000 (1. Aufl. - München: Heyne, 1998), 462 S., 8.95 Euro (D)
Carl Hiaasen: Die Glücksfee. (Lucky You). Roman. Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak. München: Goldmann Taschenbuch Verlag, 2000 (1. Aufl. - Manhattan, 1998), 477 S., 8.45 Euro (D)
Paco Ignacio Taibo: Olga Forever. Aus dem Span. übers. von Horst Rosenberger, Hamburg: Edition Nautilus, 1998, 185 S., 15.80 Euro (D)

 

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