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Gangster, Girlies, Serienmörder

Auf knapp 600 Seiten im Duzmodus durcherzählt präsentiert sich der neue Roman Zoran Drvenkars, der entsprechend den Titel »Du« trägt. Der härteste Gangster, der effektivste Serienmörder und fünf Girlies mit Rauschgift, das ihnen nicht gehört, sind hintereinander her und treffen sich zum Showdown in Norwegen. Klingt nach Parodie, ist aber keine - leider.

Von Thomas Wörtche

 

DU

Zoran Drvenkars Roman »DU« wird von einem einzigen Kunstgriff dominiert: der permanenten Leseranrede, über lange 575 Seiten hin. In »DU« duzen alle Erzähler und Erzählerinnen sich selbst. Erzählstimmen sind beinahe alle im Roman auftauchenden Figuren: Fünf Berliner Girlies, ein Gangster, der Sohn des Gangsters, ein Serialkiller, der Sohn des Serialkillers und ein paar andere Figuren mit unterschiedlicher Relevanz. Eine Ausnahme sind zwei marginale Nebenfiguren. Die werden plötzlich und unvermittelt von einem auktorialen Erzähler beschrieben. Die seltsamste Erzählerstimme aber gehört Oskar. Der ist tot und erzählt sich selbst, wie er in seiner Tiefkühltruhe allmählich zerfällt.

Ein solcher Kunstgriff erzielt vor allem Aufmerksamkeit, die die eher unterkomplexe Geschichte des Romans nicht so ohne weiteres erzielt hätte. Zwei Erzählstränge werden am Ende zusammengeführt. Der eine schildert die Untaten eines Serialkillers, der ohne Motiv tötet. Er rottet einen ganzen Stau auf der Autobahn aus, ein Dorf, ein Hotel und einen IC. Er tötet nur mit den Händen und bringt es auf ein paar hundert Opfer. Keine Polizei kommt ihm je nahe. Er ist aber keine Parodie, sondern eine als "dämonisch" gezeichnete Figur, vor der wir uns gruseln sollen. "Der Reisende", so wird er genannt, ist vor allem peinlich papiern.

Der zweite Strang: Ein Teenie mit inzestuösem Verhältnis zu Papi bringt selbigen um, weil er nicht länger mit ihr Sex haben will. Sie findet Drogen und will die mit Hilfe ihrer vier besten Freundinnen an Onkel Ragnar verticken, dem sie ohnehin gehören und der sie nur bei Vati zwischengelagert hatte. Gangster Ragnar, der uns als eiskalter Profi vorgestellt wird, fängt, anstatt den Mädels ein paar auf die Ohren zu geben und sein Rauschgift wieder einzusammeln, einen blutigen Rachefeldzug gegen sie an, der zum Showdown nach Norwegen führt, wo inzwischen auch »Der Reisende« angekommen ist. Das zieht sich über hunderte und aberhunderte Seiten wie Kaugummi. Man möchte die Passagen, in denen die einzelnen Ichs sich jeweils über ihre Befindlichkeit auslassen, schnellstens überblättern. Denn was immer wir über die Figuren erfahren, macht sie nicht plausibel, sondern stattet sie höchstens mit einer Art Scheintiefe aus: Girlies plappern wie Girlies; Gangster sind knallhart; Jungs geiern hinter Mädels her. Das ist wenig spannend. Spannend ist vielleicht, wie und wann sich die Zahl der MitspielerInnen reduziert. Wenn auch nicht sehr spannend, denn die karge Geschichte lässt kaum Überraschungen zu.

Auch wenn Drvenkar den Teenie-Talk gut beherrscht und dabei ein paar hübsche Sprüche abfallen: der Roman bleibt getragen pathetisch und bedeutungsvoll mit Emo-Kitsch und Psychoromantik vollgestopft. Das einzige literarische Verfahren übertäubt überdeutlich alle anderen Komponenten, die literarische Qualität ausmachen könnten. Mit einem guten (Kriminal-)Roman, der womöglich in irgendeiner Realität verankert sein möchte, hat die ganze Angelegenheit wenig zu tun. Und für einen Thriller, der sich in action und Tempo ausdrücken möchte, ist er zu aufgeplustert und ambitionös. Ästhetische Aufmerksamkeit, die man »DU« gutwillig entgegenbringen möchte, wird schon bald durch die blanke Belanglosigkeit anästhesiert.

 

Zoran Drvenkar: DU. Roman. Originalausgabe. Berlin: Ullstein, 2010, gebunden mit Schutzumschlag, 575 S., 19.95 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2010
(Deutschlandradio Kultur,
25.11.2010
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Zoran Drvenkars Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1327578/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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