legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Kriminalliterarische Equilibristik

Für ihr Debüt »Die Stadt der Toten« erhielt Sara Gran den Deutschen Krimipreis. Nun liegt der zweite Roman »Das Ende der Welt« vor, in dem wieder Claire DeWitt ermittelt. DeWitt ist nicht nur die "beste Detektivin der Welt", sondern der literarische Gegenentwurf zu allen Heldinnen, die die Kriminalliteratur in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat.

Von Thomas Wörtche

 

Das Ende der Welt

»Das Ende der Welt« ist der zweite Roman um die sich selbst megaloman-ironisch die "beste Detektivin der Welt" nennende Claire DeWitt. Wie im Vorgänger, »Die Stadt der Toten«, der entweder mit Lob und Preis (zurecht) überhäuft oder mit Unverständnis und tugendpolizeilicher Engstirnigkeit abgelehnt wurde, bleibt die amerikanische Autorin Sara Gran im aktuellen Buch ihrer Methode treu, traditionelle Elemente der Kriminalliteratur neu zu sortieren und zu akzentuieren. Ein Handlungsstrang spielt in dem mythischen Ort San Francisco. Ein Ex-Lover von DeWitt ist getötet worden, die Detektivin wird, klassisch, von der Schwester des Toten engagiert, um dessen Ehefrau des Mordes zu überführen. In der Stadt Dashiell Hammetts, in der Stadt der beat poets, repräsentiert durch den immer noch existierenden Buchladen "City Lights" des ebenfalls noch lebenden Lawrence Ferlinghetti, und in der Stadt von Hippie-Kultur und New Age-Experimenten, die inzwischen zum lifestyle der Reichen und Gelangweilten geworden sind, lässt Gran ihre gewaltbereite, dauerkoksende, sexuell autonome und enigmatische Claire DeWitt all die guten Traditionen der Detektiv-Literatur wiederbeleben, die das Genre einst groß gemacht hatten: Den Hang zum Exzess, die Rigorosität der Wahrheitssuche, die Rolle des Außenseiters, aus dessen Perspektive die Dinge immer anders aussehen als von der "Mitte der Gesellschaft" aus. DeWitt ist erkenntnistheoretische Basis-Demokratin, sozusagen. Sie arbeitet mit klassischer Deduktion, mit der mühseligen Lauf- und Recherchearbeit der professionellen Aufklärerin, und sie nutzt als ebenbürtige Werkzeuge der Wahrheitssuche das I Ging, den Tarot, Visionen, Träume, Intuitionen und die paradis artificiels. Als Romantikerin wie Raymond Chandlers Philip Marlowe restituiert Claire DeWitt das Ethos der grundsätzlich auffindbaren Wahrheit gegen den Zeitgeist-Relativismus des profitablen Pragmatismus.

Dass man diesen Kampf nicht notwendigerweise gewinnen muss, belegt ein zweiter Handlungsstrang, der 1986 in Brooklyn spielt, als DeWitt und ihre beiden besten Freundinnen als Teens dem Detektivspielen verfallen und merken, dass Wahrheitssuche schnell schmerzhaft und lebensgefährlich werden kann, wenn man sie seriös betreibt. So seriös, wie auch gute Kriminalliteratur zu sein hat.

Weil Sara Gran ein feines Gespür für die Fallen von Pathos und Kitsch an solchen Punkten hat, baut sie zum einen den (fiktiven) französischen Vordenker Jacques Silette ein, dessen Werk »Détection« (eine Art Roland Barthes'sches »S/Z« für Detektive) das passende Zitat für jede Lage liefert. Zum anderen färbt sie den Erzählduktus durch verschiedene Abstufungen des Ironischen, Satirischen, Spöttischen und Gebrochenen, was so auch Momente der Poesie, der Trauer, der Melancholie und der liebevollen Hommage an große Traditionen der amerikanischen Kultur erlaubt. Trotz dieser hier gar nicht erschöpfend auszulotenden Vielschichtigkeit gelingt es Gran, den Roman nicht zum Meta-Krimi erstarren zu lassen. »Das Ende der Welt« ist ein großartiger Kriminalroman sui generis, der dem Genre Perspektiven weg von Formel und Klischee aufzeigt

 

Sara Gran: Das Ende der Welt. (Claire DeWitt and the Bohemian Highway, 2013). Roman. Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné. München: Droemer, 2013, kartoniert, 367 S., 14.99 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2013
(Deutschlandradio Kultur,
22.03.2013
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Sara Grans Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/2049030/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen