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Reichtum am Horizont

Somalische Piraten rauben keine Güter, sondern nehmen Matrosen als Geiseln und erpressen Lösegeld. Damit tragen sie geschätzte 15% zum somalischen Bruttosozialprodukt bei - und stören die fragilen Abläufe der Just-in-time-Produktion in den europäischen Fabriken. Der Historiker Ralph Klein beschreibt in seinem provokanten Essay die Moderne Piraterie als eine Art Notwehrmaßnahme und widerspricht damit der konsensualen Darstellung aus Politik und Medien, in der die Piraterie am Horn von Afrika als organisierte Kriminalität oder maritimer Terrorismus gesehen wird.

Von Thomas Wörtche

 

Moderne Piraterie

Glaubt man dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle, so handelt es sich bei der Piraterie vor den Küsten Somalias um eine "riesige organisierte Kriminalität", die den Einsatz einer ganzen Flottille der EU ("Operation Atalanta"), US-Verbände (im Zusammenhang mit dem "War on Terror") und Kriegsschiffe anderer Länder wie China, Japan etc. rechtfertigt. Seit Mai 2012 ist das Mandat der Bundeswehrkräfte so erweitert worden, dass Landziele in gewissen Fällen angegriffen werden können.

Dagegen steht die fast lächerliche Summe von 200 Millionen Dollar (zur Relation: Die Ladung eines Tankers kann bis zu 190 Millionen Dollar wert sein, das "Organisierte Verbrechen" setzt jährlich ca. 20 bis 30 Billionen Dollar um, ohne Dunkelziffer), die die somalischen Piraten im "Geschäftsjahr" 2010 an Lösegelder für gekaperte Schiffe verdient haben. Irgendetwas passt da offensichtlich nicht ganz zusammen.

Hier setzt der provokative Essay des Historikers Ralph Klein an. Süffisant erinnert er daran, dass die letzte gemeinsame Armada so vieler Großmächte 1900 zu Niederschlagung des sog. "Boxeraufstandes" in China in Marsch gesetzt worden war. Durch diese Kontextualisierung gerät der Krieg gegen die Piraten ins Assoziationsfeld von Aufstand und Niederschlagung, von Rebellion und gewaltsamer Befriedung. Oder gleich zum Konkurrenzkampf zweier Ökonomien: Der "offiziellen" Ökonomie der Großmächte und Industriestaaten und der "informellen Ökonomie" des Indischen Ozeans, der mit seinen Migrationsströmen und eben auch seiner "Piraten" ein noch nicht vollständig "globalisierter" Raum ist. Deswegen ist es nur logisch, dass Klein sich die Geschichte des Territoriums anschaut, das wir heute "Somalia" nennen, das aber spätestens seit der britischen und italienischen Kolonisation ein artifizielles Konstrukt ist. Die Clan- und Multi-Clan-Struktur lässt "Nationalstaat" nicht zu, und so beschreibt Klein die somalische Gesellschaft als grundsätzlich (und historisch) "unbeugsam" und widerständig. Piraterie ist dann, so gesehen, ein Akt der Selbstermächtigung, die von den Hegemonialmächten nicht geduldet werden kann. Aktuell sieht Klein die somalische Piraterie auch als eine Art Notwehr der Meeranrainer, weil das Wüten der industriellen Fischfangflotten und die Beliebtheit der Gegend als illegaler Verklappungsort von Giftmüll (betrieben vornehmlich von der italienischen Mafia) die Subsistenz der somalischen Fischer gefährdet. Dennoch würde Klein die somalischen Piraten nicht ohne weiteres dem "Sozialbanditentum" (ein Konzept des britischen Historikers Eric Hobsbawm) zurechnen, weist aber auch darauf hin, dass das Gewerbe zumindest in Maßen Wohlstand und materielle Absicherung in eine der ärmste Ecken der Welt bringt. Sympathiefrei für die Piraten ist dieser Essay sicher nicht.

Selbst wenn man Kleins spürbare Romantisierung der Seeräuber mit Skepsis betrachtet, so ist sein Essay (und etwas anderes möchte das Bändchen auch nicht sein) ein krätziges Sandkörnchen im Getriebe der anscheinend konsensualen medialen Aufarbeitung des Themas. Spannend und lehrreich allzumal.

 

Ralph Klein: Moderne Piraterie. Die Piraten vor Somalia und ihre frühen afrikanischen Brüder. Ein Essay. Berlin, Hamburg: Assoziation A, 2012, kartoniert, 120 S., 12.00 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2012
(Deutschlandradio Kultur,
02.08.2012
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Ralph Kleins Essay finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1827991/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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