legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Trends werden noch immer außerhalb des Netzes gemacht

Carlos Bernasconi im Gespräch mit Thomas Wörtche über Krimi-Blogs

 

Carlo Bernasconi: Dem Krimi-Boom sind im Internet ungezählte Crime-Blogs gefolgt, die oft ganz unterschiedliche Ziele verfolgen. Woran soll sich der Buchhändler halten, wenn er Orientierung für sein Krimi-Sortiment sucht und sich nicht auf die gängigen Reihen verlassen will?

Thomas Wörtche: Naja, so ungezählte Krimi-Blogs sind es im deutschsprachigen Raum verblüffenderweise gar nicht. Im Gegenteil, eine sehr aktive Krimi-Blogger-Szene gibt es nicht, die man ernstnehmen müsste. Das scheint mir allerdings reiner Zufall. Es gibt ja sonst eine Menge teilweise vorzüglicher Literatur- , Film- oder Comic-Blogs, sowie es auch überall auf der Welt exzellente Krimi-Blogs gibt.
      Klar, es gibt bei uns im Krimibereich Ansätze von Newcomern wie My Crime Time (http://mycrimetime.wordpress.com/ - bereits wieder offline, Anm. d. Red.) oder France Polar (http://francepolar.wordpress.com/), die den frischen Charme der Unbefangenheit haben. Da macht es großen Spaß zu beobachten, wie sich Leute ein Themenfeld - nämlich die unendlichen Weiten von Kriminalliteratur - erschließen.
      Anders sieht es mit unterschiedlichen Internet-Formen aus: Da gibt es in der Tat einige Portale und Websites, die eine sehr große Bandbreite von Krimi-Geschmack und Reflexionshöhe bedienen. Um die beiden Pole nur mal idealtypisch zu skizzieren: Die Krimi-Couch (http://www.krimi-couch.de/) bedient ein sehr breites Publikum und hält sich eng an die jeweils aktuellen Bücher, die z.B. mit Interviews und Podcasts unterfüttert werden. Zudem bietet die Couch (ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell, das auch andere "Couchen" für andere literarische Felder generiert hat) ein interaktives Krimi-Forum mit Leserunden und anderen Aktivitäten, das, wenn man es klug interpretiert, durchaus Hinweise fürs Marketing und den Einkauf geben kann - man findet dort die ganze Bandbreite von möglichen Publikumsreaktionen - von sachkundig und reflektiert bis zu harm- und ahnungslos. Ein sehr treffender Spiegel des realen Publikums.
      Andere Portale, wie Krimi-Kiosk (http://krimikiosk.blogspot.de/), Krimi-Zeit (http://www.x-zine.de/krimi/) oder Krimi-Kiste (http://www.krimikiste.com/) sind mehr oder weniger Zu- und Abrat-Foren, die ein im wesentlich vermutlich eher reines Lese-Publikum mit klar definiertem Unterhaltungsanspruch für Kriminalliteratur begeistern möchten.
      Am anderen Ende des Skala bewegt sich CrimeMag (http://culturmag.de/category/crimemag)- die Krimi-Sektion von CULTurMAG (http://culturmag.de/) - , das sich eher um Themen, Hintergründe, Transmedialität, Kritik (im klassischen Sinn), auch Sekundäres sowie um internationale Szenen (CrimeMag bringt auch Artikel auf Englisch) kümmert und die entsprechenden Autoren aus aller Welt mit Texten präsentiert, auch ohne dass diese Autoren aktuell auf unserem Markt präsent sein müssen. Naturgemäß ist dieses Konzept nicht für das ganze breite Publikum ausgelegt und als "Labor" und kritische Instanz vermutlich für die Programm-Macher der Verlage und Feuilleton-Kollegen, den interessierten Leser und die aficionados eher eine Anlaufstelle. Dem Publikumserfolg in Zahlen tut das keinen Abbruch, aber CrimeMag bedient dazu noch ein deutlich anderes Publikum als die "populäreren" Plattformen. Was keinesfalls hierarchisch gemeint ist, sondern der Mix aus sehr vielen, auch internationalen Beiträgern (allesamt professionelle Schreiber) und der große Mix von Themen ziehen Leute an, die an Vertiefung und Breite interessiert sind.
      Dass die beiden Konzepte, Krimi-Couch und CrimeMag sich ohne Probleme als komplementär verstehen, zeigt die reibungslose Kooperation der beiden Plattformen bei dem Branchen-Newsdienst Alligatorpapiere.de für den beide gleichermaßen verantwortlich zeichnen.
      Und, wir wollen es nicht vergessen - es gibt immer noch /http://www.kaliber38.de/ , den Nukleus aller Krimi-Aktivitäten im Internet. Die Pionierleistung von Jan Christian Schmidt und der andauernd hohe Servicestandard, was Neuerscheinungen, Bibliographien, Autorenporträts angeht, ist immens und immer noch up to date.

Carlo Bernasconi: Auch Verlage nutzen die Blogs für ihre tägliche Arbeit. Worin besteht der Nutzen für Verlage - und können sie darin allenfalls neue AutorInnen entdecken?

Thomas Wörtche: Verlage vermuten Talente eher in verschiedenen book-on-demand- oder Selbstverlags-Formen, denken Sie an die die Karriere von Nele Neuhaus. Tatsächlich gibt es auch Fälle, bei denen Projekte aus Blogs entstanden sind, allerdings im Non-Crime-Bereich. Im Crime-Bereich ist an der Stelle im Moment noch nichts zu holen... Wiederum: Es gibt Fälle, in denen auf verschiedenen Portalen einzelne Texte veröffentlicht wurden, die sich später zu Büchern gefügt haben. Schwer zu sagen, ob das auf Grund der Beobachtungen des Netzes seitens der Verlage oder wegen der Persistenz von Autoren passiert ist. Um da feste Erkenntnisse (die nicht nur Wunschdenken sind) zu vermuten, ist es, glaube ich, noch zu früh.

Carlo Bernasconi: Blog-AutorInnen - woran erkennt man ihre Qualitäten? Und woran, ob es um vergammelte PR in eigener oder fremder Sache geht?

Thomas Wörtche: Wie gesagt, die zarte Pflanze "Krimi-Blogs" ist ausgerechnet bei uns nie erblüht, warum auch immer nicht. Wenn es Diskussionen um Krimis und krimi-affine Themen gibt im Netz, dann sind die heute eher an ganz disparaten Stellen bei Facebook zu finden oder bei anderen social networks und dort nicht immer unter dem Label "Krimi", sondern da verzweigt das Netz die Kommunikation doch sehr weit - und das ist ja sehr attraktiv, weil es auch einen erfreulich anarchistischen Aspekt hat.
      PR in fremder Sache spielt sich eher in anderen Netz-Segmenten ab: Amazon-Rezensionen, postings in Foren (die, wie bei der Krimi-Couch öfters zu beobachten, ein relativ feines Gespür für reine Propaganda haben und darauf gereizt reagieren). Natürlich gibt es auch Aktionen des "viralen Marketings", die zunächst nicht als solche zu erkennen sind. Auch in den social networks, bei Facebook z.B., finden sich Communities, die keinesfalls von Lesern für Leser betrieben werden, sondern professionell von Agenturen im Auftrag potenter Verlagsgruppen...
      Die Qualitäten eines Blogs kann man einfach erkennen: Wirkliche Informiertheit, Sicherheit im Urteil, Formulierungsfähigkeit, Kenntnis des Gegenstandsbereiches etc. ... im Grunde alles, was einen "klassischen Kritiker" ausmacht plus eben eine eigene Qualität, eine eigene Stimme, eine gewissen Originalität, die, weil der, nennen wir ihn mal Netzwerker, ja meist sein eigener Herr ist, auch durchaus positiv schräg sein kann... Umkehrschluss verboten - nicht alles, was schräg oder originell sein will, ist es auch tatsächlich...

Carlo Bernasconi: Welche Blogs gelten als Trendsetter bei den Krimifans?

Thomas Wörtche: Blogs im klassischen Sinn gar keine. Trends werden immer noch eher außerhalb des Netzes gemacht. Einerseits natürlich durch die klassische Marketing- und Werbemacht der Großverlage (die natürlich im Netz ihre Ableger haben, aber ich glaube kaum, dass irgendwer Verlagswebsite oder Verlags-Facebook-Accounts als Ort objektiver Auseinandersetzung übermäßig ernst nimmt). Interessanter ist, wo sich Leser im Netz informieren, über die Lektüre, die für sie in Frage kommt. Da kommen dann die vielen, vielen allgemeinen Leser-Foren ins Spiel, die auch Krimi-Unterabteilungen haben. Im Grunde sind das "gefällt-mir", "gefällt-mir-nicht"-Urteile, die sich an bekannten Mustern orientieren: Wie Donna Leon, wie Wallander, wie Nele Neuhaus... Ganz neue Trends werden so, glaube ich, nicht generiert; Autoren, die diese Skala zu bedienen wissen, im Einzelfall durchaus...
      Aber man darf aber die üblichen Verdächtigen des "Trendsettens" (oder "Trendaufnehmens") nicht unterschätzen, wie zum Beispiel der KrimiZeit-Bestenliste (http://www.zeit.de/krimizeit-bestenliste), die Autoren und Bücher nicht nur direkt auf dem Markt unterstützt, sondern die ganzen anderen, schwer zu quantifizierenden Systeme bedient: Einladungen, name dropping, Prestige etc...

Carlo Bernasconi: Sie selbst arbeiten an einem Krimi-Blog mit: die www.alligatorpapiere.de - was ist Ihr Antrieb, auch oder vor allem im Internet Präsenz zu zeigen? Und wie messen Sie qualitativ die Reaktionen auf die Tätigkeit?

Thomas Wörtche: Die Alligatorpapiere sind kein Blog, sondern ein Branchendienst für Verlage, Medien, Buchhandel, Wissenschaft und interessierte Leser. Sie melden werktäglich, welche Bücher nicht nur in Deutschland, sondern ausschnittsweise auch in anderen Ländern rezensiert werden, welche Autoren porträtiert werden. Alle Arten von Medien werden dazu ausgewertet - die klassischen Printmedien, Audio, TV, Magazine, auch ausgewählte Blogs und Magazine, die durchaus auch Internet-Magazine sein können. Der Alligator frisst alles, unter der Voraussetzung, dass die jeweiligen Rezensionen etc. seriös und kompetent und darstellbar relevant sind. Jeden Schluckauf aus der Regionalzeitung nehmen wir nicht, aber jeden sachkundigen Artikel auch aus der Regionalzeitung schon. Kirsten Reimers, die die Alligatorpapiere täglich zusammenstellt, trifft die richtige Mischung hervorragend. Für Verlage und auch Buchhandel sind die Alligatorpapiere, wie schon zu Zeiten ihres Gründers Alfred Miersch, in dessen Geist wir versuchen, weiterzuarbeiten, eine unschätzbare Quelle zur Kontrolle der Aufnahme der Bücher, der Wertschätzung der Autoren etc. Außerdem sind die Alligatorpapiere für jede Art empirische Rezeptionsforschung ein Thesaurus.
      Ansonsten kümmere ich mich persönlich um CrimeMag, weil das Internet alle Möglichkeiten bietet, die die starr gewordenen Print-Medien aus tausend Gründen nicht mehr bieten können, obwohl ich auch für Print und Radio arbeite und die verschiedenen Medien als durchaus komplentär sehe. Aber viele Formate haben eben nur im Netz Platz, mit all den gebotenen Freiheiten. Sehr lange, tiefgreifende Artikel etwa, die man aber dennoch kurzweilig gestalten kann, weil man multimedial arbeiten kann, also Videos, Clips, Verlinkungen ad lib einsetzen kann. Auch Formate, vor denen sich Printmedien wegen der Anzeigenkunden scheuen, sind bei uns machbar... Also sehr explizit kritische Betrachtungen ... Oder Formate, die so recht nirgends in die Print-Rubrizierungen passen... etc. Wir können ganz junge Rezensenten sich ausprobieren lassen, wir haben einen sehr hohen Frauen-Anteil bei unseren Mitarbeitern, ohne deshalb typische "Frauen-Themen" zu bedienen, bei uns können Primärautoren auch andere Wege gehen etc. Wir funktionieren nicht über Hierarchien, sondern über Talente und Kompetenzen. Wir beleuchten fokusartig auch andere Kulturen. Gebündelt werden solche Merkmale zur "Handschrift" - und das ist auch für uns Macher sehr spannend.
      Qualitativ sehen wir, welche unserer Themen, Bücher, Argumente etc. aufgegriffen werden und wie oft wir positiv zitiert werden (oft). Wir arbeiten natürlich auch gerne und produktiv mit Facebook und Twitter, dadurch bekommen wir nicht nur relativ verlässliches qualitatives Feedback, sondern es macht eben auch großen Spaß, Diskussionen und Kommunikation über die verschiedensten nationalen und internationalen Vernetzungen zu betreiben.

Carlo Bernasconi: Wichtig für den Handel ist ja, entstehende Trends rechtzeitig zu erkennen und allenfalls zu reagieren, indem man diese AutorInnen in die Regale stellt. Wie wichtig ist diese Qualität heute im Angebot einer gut sortierten Krimi-Buchhandlung?

Thomas Wörtche: Die guten Sparten-Buchhandlungen, also fast alle Krimi-Buchhandlungen, die ich kenne, setzen eher selbst Trends durch ihre Beratungsqualitäten, auch durch ihre eigene Internetpräsenz - Pionier dabei ist Hammett (http://www.hammett-krimis.de/) in Berlin - mit eigener kritischer Website, mit einer Kooperation mit Lettra TV, auch mit CrimeMag. An deren Verkaufs-Top-Ten zum Beispiel kann man sehr schön erkennen, was in einer solchen Sparten-Buchhandlung, die ja sozusagen die Zielgruppe pur bedient, geht - und wo die Unterschiede zu den allgemeinen Belletristik-Rankings liegen. Es gibt also durch ein erfolgreiches Buch-Leben jenseits der Spiegelbestseller-Liste.

 

© Carlo Bernasconi, 2012
(Schweizer Buchhandel,
Heft 5/2012 vom 26. April,
S. 22 ff.
)

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen