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Was muß eine Rezension von Kriminalliteratur leisten?

Kleiner staubtrockener,
humorloser und kondensierter
Kriterienkatalog für idealtypische,
anständige Rezensionen von Kriminalromanen

Von Thomas Wörtche

 

Die Rezension eines Kriminalromans stellt gedachten Roman an seinen richtigen Ort. Historisch, systematisch und wertend.
Der Rezensent soll seinen Gegenstand ernsthafterweise mögen. Mit Leidenschaft, mit Engagement, mit Gründen gar.
Das reicht aber nicht.
Der Rezensent muß sein Metier beherrschen. Und vielleicht die eine oder andere Sprache; günstigenfalls seine eigene.
Er muß alle nötigen Kontexte kennen, bzw. wissen, wo er sie finden kann. Er muß von Kriminalliteratur, Literatur und anderen relevanten Wissensgebieten mehr als eine flüchtige Ahnung haben.
Er muß alle Genre-Literatur, alle Genre-Varianten kennen - auch in allen anderen medialen Darreichungsformen.
Er muß einen eigenen Normenkatalog begründen können. Er muß Maßstäbe haben.
Er muß wissen, dass all dies dynamisch ist, ein pausenlos reflektierendes System, ohne allzu feste Gewissheiten. Transzendent unbehaust, sozusagen.
Er muß Dogmen vermeiden, aber keinen grenzenlosen Relativismus pflegen.
Er muß etwas machen, mit seinem Wissen. Er muß es auf den zu rezensierenden Roman beziehen.
Er muß sich in Realitäten auskennen. Kriminalliteratur besteht nur zu einem Teil aus Literatur. Der andere Teil hängt von der Welt ab, in der sie spielt. Über diese Welt sollte der Rezensent viel wissen. Ganz und gar handfest und mit Erfahrungen. Was es gibt und was es nicht gibt, was es geben könnte, und was garantiert nicht - dafür sollte ein Bewußtsein vorhanden sein.

Die Themen von Kriminalliteratur sind Kriminalität, Verbrechen, Gewalt. Der Rezensent hat sich auf diesen Fachgebieten auszukennen. Und zwar bestens informiert. Das macht Arbeit. Ansonsten glaubt er womöglich jedes dumme Zeug, das man ihm vorsetzt oder hält Realitäten für dummes Zeug. Im schlimmsten Fall prustet er empört über Selbstverständlichkeiten, wenn sie als Sensation oder Skandalon verkleidet daherkommen.

Thema von Kriminalliteratur ist Gewalt als Interaktionsform zwischen Menschen. Menschenkenntnis ist sinnvoll. Die wiederum hat mit Lebenserfahrung zu tun. Die sollte ein Kriminalromanrezensent in überdurchschnittlichem Maße besitzen. Das ist, by the way, auch eine Altersfrage.

Eiserne Ironiefestigkeit, angewandte Lachfeindschaft und mangelnde Einsicht in die Weltkategorie des Komischen machen einen guten Krimi-Rezensenten eher nicht aus.

Wegen ihrer Themen, die allesamt auch ordnungspolitische Implikationen haben, darf, soll und muß eine Rezension Kriminalromane auf ihre ethischen, moralischen, ideologischen, politischen Grundlagen hin betrachten. Und ich meine Grundlagen - nicht oberflächliche Behauptungen, Bekundungen und Absichtserklärungen. Egal, was der Zeitgeist gerade kräht: Moral ist ein Kriterium von Kriminalliteratur. Kann natürlich kompliziert sein, weil es unendlich viele Vermittlungsschritte gibt - aber keinen Weg daran vorbei.

Wie der Kriminalroman mit Wirklichkeiten umgeht, ist ein Qualitätskriterium. So wie seine künstlerische Inszenierung ein Qualitätskriterium ist. Beides hängt zusammen. Wenn nicht, dann hat der Roman ein Problem. Oder die Rezension, die es nicht zusammenbringt.

Eine gute Rezension wird nie den Vorgaben des Verlages oder einer anderen Interessengruppe folgen. Ob ein Buch innovativ, aufregend, wichtig, spannend, unterhaltend, charmant, teuflisch oder sonstwas sei, muß aus der Rezension mit Gründen hervorgehen. Was andere Instanzen - der öffentliche Konsens, der Papst, die Frankfurter Rundschau, die Verlagsvorschau oder die Krimi Couch - dazu meinen, ist ziemlich schnuppe.

Der Rezensent muß Qualität erkennen können, Schaumschlägerei ebenfalls. Hilfreich ist meist logisches Denken. Und kreatives, analytisches, scheuklappenfreies Denken auch. Selbsttätiges Denken überhaupt.

Eine Rezension ist keine Kaufempfehlung. Eine Rezension ist eine Auseinandersetzung mit dem Text. Sie trifft eine begründete Wertung. Die steht zur Diskussion.
Selbst eine Kaufempfehlung kann und soll Gründe enthalten. Plappernden Enthusiasmus find ich sowas von ganz toll ey, ist aber kein Grund.

Eine Rezension, die hauptsächlich den Roman nacherzählt, sollte nicht veröffentlicht werden. Eine Rezension, die einer Nacherzählung am Ende ein Geschmacksurteil beigibt, sollte sofort verboten werden.

Rezensionen dürfen nicht auf das Wohlwollen des breiten Publikums schielen. Wer ernsthaft rezensiert, macht sich ernsthaft unbeliebt. Das ist völlig okay so. Kritiker sind nicht everbody's darling.

Das alles gilt nicht nur für Krimis. Aber für sie in besonderem Maße, weil Kriminalromane janusköpfig verankert sind - in der Kunst und in der Realität. Das ist ihr Distinktionskriterium. Das zeichnet sie aus. Eine Krimikritik, die das nicht berücksichtigt, ist keine.

Man soll eine Krimikritik gerne und begeistert lesen können, weil sie gut geschrieben ist. Witzig, mit Herz, Enthusiasmus, Engagement, Drive, und Verstand. Oder mit Wut, Abscheu und Entsetzen.

Dieser Katalog selbst ist trivial, evident, aufgeplustert, eitel, selbstlegitimierend, tautologisch, prätentiös, geschwätzig, übertrieben, wichtigtuerisch, überflüssig, praxisfremd, kopflastig und sinnenfern.
Fast, als wär er eine Rezension.

 

© Thomas Wörtche, 2007
(Europolar,
Mai 2007
)

 

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