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Urgestein des Franco-Regimes

Mit rund zwei Jahrzehnten Verspätung kann man in Deutschland nun die Kriminalromane von Francisco González Ledesma entdecken, dessen Werk neben den Büchern von Andreu Martín und vor allem Manuel Vázquez Montalbán bisher nicht wahrgenommen wurde. Ledesmas Hauptfigur ist der Bulle Inspector Ricardo Méndez aus Barcelona, ein vulgärer und brutaler Typ, der sein Polizeihandwerk unter dem Franco-Regime erlernte und so gar nicht zur Identifikationsfigur taugt.

Von Thomas Wörtche

 

Gott wartet an der nächsten Ecke

Barcelona, Mitte der 1980er Jahre. Die bevorstehenden Olympischen Spiele von 1992 sorgen für noch mehr Umbruch und Veränderung in einer Stadt und einer Gesellschaft, die sich nach der Diktatur Francos sowieso im rasanten Wandel befinden. Die Zeit nach Franco ist auch die Blütezeit aller Sorten Populärer Kultur in Spanien. Besonders in Katalonien entstehen wichtige, innovative Kriminalromane. In Deutschland wahrgenommen wurde von diesem Boom vor allem und beinahe ausschließlich Manuel Vazquez Montalbán, nur wenig Andreu Martín und gar nicht Francisco González Ledesma.

Das war unverzeihlich, denn Ledesma - Anwalt und Journalist, unter Franco mit Publikationsverbot -, hatte mit seinem Inspector Ricardo Méndez den Prototypen eines im Grunde reaktionären Bullen mit großem Herzen für ehrenhafte Schurken und einer gesunden Skepsis gegenüber den Errungenschaften der Moderne erschaffen. Eine sehr dialektische Figur, ein "gesprenkelter" Charakter, keinesfalls eine "Identifikationsfigur". Zehn Romane um Méndez gibt es, »Gott wartet an der nächsten Ecke« ist der fünfte in der Chronologie der Serie und der zweite, den es auf Deutsch gibt. Das erste übersetzte Buch war das neunte der Serie.

Wir wollen nicht über Verlagsentscheidungen nachdenken, sondern freuen uns darüber, Inspector Méndez bei der Arbeit in seinem Barcelona der billigen Kneipen, der Bordelle, der Halb- und Unterwelt zusehen zu dürfen. Eine Welt, die dem Untergang geweiht ist und die für den melancholisch-trotzigen Grundton des Romans sorgt. Aber dann ist auch schon Schluss mit Klischees. Méndez gerät auf die Fährte eines Kindermörders und landet plötzlich in ganz anderen Zusammenhängen - große Finanzpolitik, Korruption, ETA, Terrorismus, alles, was auch eine Demokratie an Scheußlichkeiten zu bieten hat. Méndez verlässt nicht nur sein barrio, sein Milieu, auch die Handlung springt: nach Madrid und Ägypten. Politisches scheint letztendlich doch wieder privat zu werden. Oder auch nicht. Ledesma bringt den Plot um zwei feindliche Brüder und eine sehr starke Frau zum Tanzen, wirbelt "gut" und "böse" durcheinander, spielt mit Tradition und Moderne, macht sich lustig über hehre Werte und hält an altmodischen Tugenden fest. Sprachlicher Grobianismus und subtile Psychologie stehen sich nirgends im Weg. Méndez gibt sich romantisch und kühl-pragmatisch, sentimental und abgezockt, mucho-machohaft und sensibel, resigniert und kämpferisch - ein Bündel von Widersprüchen. Eindeutig scheint in diesem Roman gar nichts, ordentlich sortiert und geordnet genau so wenig. Aber diese Subversion ist brillant in Szene gesetzt.

»Gott wartet an der nächsten Ecke« ist ein schönes Beispiel dafür, wie komplex und reich Kriminalliteratur sein kann, ohne deswegen "Hochliteratur" kopieren zu müssen. Ein schönes Beispiel auch, wie haltbar ein Kriminaloman mit Substanz über Jahrzehnte sein kann, was man von den hastig gestrickten Erfolgsformelkrimis unserer Tage ganz sicher nicht sagen kann. Ledesma ist eine wichtige Entdeckung.

 

Francisco González Ledesma: Gott wartet an der nächsten Ecke. (Historia de Dios en una Esquina, 1991). Kriminalroman. Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg. Deutsche Erstausgabe. Köln: Ehrenwirth, 2011, gebunden mit Schutzumschlag, 413 S., 22.99 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2011
(Deutschlandradio Kultur,
25.02.2011
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Francisco González Ledesma' Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1362141/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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