Alle sind zufrieden mit dem Stand der organisierten Kriminalität in Newcastle ganz im Norden Englands - die Polizei, die Politik und die Gangster selbst, denn organisierte Kriminalität ist viel schöner als unorganisierte Kriminalität. Damit die Maschinerie ihren geschmeidigen Gang gehen kann, bedarf es des Cash-Flows auch zu übergeordneten Einheiten etwa in London, die unmittelbaren Einfluss auf die Justiz nehmen können. Als sich ein Geldbote mit dem Schmiergeld unerlaubt von der Truppe entfernt, gerät der Geldfluss in Stocken, und der consigliere des Syndikats in Newcastle hat 72 Stunden Zeit, den Defekt zu beheben.
Von Thomas Wörtche
Organisiertes Verbrechen hat gegenüber unorganisiertem viele Vorteile. Klare Verhältnisse, keine Kollateralschäden bei Auseinandersetzungen, eindeutig definierter Geldfluss, Preisstabilität, transparentes Preis/Leistungsverhältnis und andere ordnungspolitische Maßnahmen gegen die Anarchie ungeordneter Verhältnisse mehr. So sehen das im nordenglischen Newcastle nicht nur die örtlichen Gangster, sondern auch die Polizei, die gegen eine erhebliche Aufbesserung der schmalen staatlichen Bezüge gerne an der Aufrechterhaltung des status quo beteiligt ist. Sehr zufrieden ist auch die hohe Politik in London, die gerne gegen entsprechende Finanzierung mit Gesetzesvorhaben und anderen nützlichen Initiativen dem Organisierten Verbrechen hilft, wo sie kann. So ist alles bestens geordnet, am Anfang von Howard Linskeys Debütroman »Crime Machine«. Die Maschinerie beginnt zu knirschen, als eine große Schmiergeldzahlung an einen Lobbyisten, der als Bindeglied zwischen Gangstern und Politik fungiert, ausbleibt. Verantwortlich für den Transfer ist die Hauptfigur unseres Romans, David Baker, der Berater des Big Boss von Newcastle. Baker ist eher ein Intellektueller als ein Verbrecher mit Stallgeruch und aus seiner Perspektive ist der Roman mit oft heiterem Sarkasmus erzählt.
Richtig bösartig wird die Angelegenheit im weiteren Verlauf des Geschichte, als der smarte consigliere - Anspielungen und Zitate aus Mario Puzos/Coppolas »Der Pate« geben dem Roman noch eine ironische Komponente mehr - plötzlich zu sehr robustem Handeln gezwungen wird. Das tut er dann auch - und wir stecken mitten einem klassischen, brutalen britischen Gangsterroman in der Tradition eines Ted Lewis (der 1970 mit »Get Carter« eine ganze Tradition des BritNoir initiiert hatte).
»Crime Machine« überzeugt nicht nur wegen der politischen Klarsicht der Handlung - eine dreiseitige Lektion über die Kooperation von Politik und Verbrechen gehört zum Prägnantesten, was zum Thema je gesagt wurde -, der Roman erfreut zudem mit allen seinen Elementen: Mit wunderbaren, trockenen Dialogen, mit präzisen Beschreibungen von Land und Leuten, mit trefflich charakterisierten Figuren und einer beinahe schon mustergültigen Spannungsdramaturgie, die erst langsam, dann aber stetig und rasant beschleunigt, ohne an Lakonie und Coolness zu verlieren.
Die roman-noir-hafte Romantik des scheiternden Gangsters ist Howard Linskey Sache nicht. Auch eine Diskussion, ob das Organisierte Verbrechen sich am Ende durchsetzen wird oder nicht, findet nicht mehr statt. Die Romantik des Outlaw ist einem vernünftigen ökonomischen Kalkül gewichen, das auch die jeweilige Eskalationsstufe der eingesetzten Gewalt regelt - was nicht heißt, dass es in dem Roman nett zugeht. Aber dieses vernünftige Kalkül gegen die üblichen Posen und Stilisierungen des Noir ist nicht etwa ein Verlust an düsterer Poesie, sondern radikalisiert den Roman eher noch, weil sich dadurch jede märchenhafte, also jede versöhnliche Lesart verbietet. Und das macht »Crime Machine« zu einem großartigen, wenn auch durchaus unbehaglichen Buch.
Howard Linskey: Crime Machine. (The Drop, 2011). Roman. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Deutsche Erstausgabe. München: Knaur, 2012, Knaur Taschenbuch Nr. 51036, 378 S., 9.99 Euro (D).
© Thomas Wörtche, 2012
(Deutschlandradio Kultur,
20.07.2012)
Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Howard Linskeys Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1816888/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).