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Eine Stadt zu zynisch zum Trauern

Völlig unterschätzt wird bei uns die schottische Schriftstellerin Denise Mina. In ihrem neuen Roman »Das Vergessen« führt sie zurück in die Nacht vom 31. August 1997, als Lady Di in Paris tödlich verunglückte. Mina stellt unbequeme Fragen etwa über korrumpierte Institutionen und hebt sich wohltuend ab von ihren Kollegen, die den Krimi-Schauplatz Schottland häufig folkloristische darstellen.

Von Thomas Wörtche

 

Das Vergessen

Am 31. August 1997 verunglückte Lady Di tödlich in Paris. In Denise Minas Roman »Das Vergessen« bringt in eben dieser Nacht im schottischen Glasgow ein Mensch zwei andere um. Alle daran Beteiligten - Schuldige, Polizisten, Anwälte, Zeugen, Helfer - werden sich später, also in der Jetztzeit, in der der Roman hauptsächlich spielt, nicht damit herausreden können, sich nicht mehr an die Ereignisse von damals zu erinnern. Zu tief hat sich dieser Tag ins kollektive Gedächtnis des United Kingdom eingegraben.

Damals, 1997, beschloss ein Polizist, der vorsätzlich und aus karrieristischen Gründen korrupt werden wollte, um im Leben voranzukommen, die Mordermittlungen nicht an der Suche nach Wahrheit auszurichten, sondern an den Interessen seines Klienten, des Organisierten Verbrechens. Detective Inspector Alex Morrow, eine Serienfigur der schottischen Schriftstellerin Denise Mina, muss, als es hier und heute um seltsame Todesfälle rund um eine renommierte, aber auch entschieden kriminelle Anwaltskanzlei geht, auf gefährlich vermintem Gelände zu graben anfangen, bis sie auf jene Nacht von 1997 stößt.

Glasgow, "zu zynisch, um wirklich zu trauern", ist Minas Stadt - ein traditionell hartes Pflaster, nicht folkloregeeignet. Und genau deswegen der ideale Schauplatz für einen komplexen, vielschichtigen Roman, der seine Figuren genau anschaut, sie genau beschreibt, sie adäquat agieren lässt und bei allen verwickelten Handlungssträngen nicht auf überkonstruierte Plots zurückgreift. Die Figuren sind in der Mehrzahl "gesprenkelte Charaktere" - Morrow hat einen prekären Kredit aufgenommen, der Chef der kriminellen Kanzlei ist ein echter Philanthrop, ein adliger Anwalt ein Wüstling und doch ein netter Kerl und aus einer Mörderin wird ein anständiger Mensch. Die meisten Polizisten sehen zu, wie sie durchkommen, manche sind mehr, manche weniger korrupt. Die meisten haben sich den Sitten und Gebräuchen der Behörde angepasst, und die Behörde selbst folgt politischen und wirtschaftlichen Interessen. All das berücksichtigt Minas Roman - er erzählt es einfach, ohne ein größeres "Skandal-Skandal"-Geschrei anzustimmen.

Ein wichtiges Thema des Romans, das in jüngster Zeit immer mehr Autoren relevanter Kriminalliteratur umtreibt: wie weit die Ordnungsmacht und die anderen "Organe" noch im Sinne der Allgemeinheit agieren oder nur noch Einzel- und Profitinteressen schützen und bedienen. Und Mina zeigt, ebenfalls völlig unaufgeregt, was solche Verhältnisse mit den Polizisten machen - und auch mit den "Opfern" schlimmer Polizeiarbeit. Joseph Wambaugh, der Begründer der neuen Cop Novel, hat einmal gesagt, ihn interessiere weniger "das Verbrechen", sondern wie der Job an den Polizisten arbeitet. Denise Mina führt beide Varianten zusammen: Sie interessiert, wie die Dialektik zwischen Job und den ganzen komplexen Verhältnissen, in denen sich der Job abspielt, aussieht. Nur: Letztendlich polizeifromm, wie viele ihrer Kollegen, ist Mina kein bisschen. Ihre Alex Morrow taugt nicht als Glasgow-Souvenir wie Inspector Rebus für Edinburgh. Vermutlich ist es dieser mangelnde Kuschelfaktor, die sie bei uns zur noch eher unbekannten Autorin macht. Alle ihre Romane, so wie »Das Vergessen« auch, jedoch sind sehr seriöse, sehr gute Kriminalromane auf der Höhe der Zeit.

 

Denise Mina: Das Vergessen. (The Red Road, 2013). Kriminalroman. Aus dem Englischen von Heike Schlatterer. Deutsche Erstausgabe. München: Heyne, 2014, Heyne Taschenbuch Nr. 41787, 347 S., 9.99 Euro (D), eBook 8.99 Euro (D)

 

© Thomas Wörtche, 2014
(Deutschlandradio Kultur,
18.12.2014
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Denise Minas Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.deutschlandradiokultur.de/kriminalroman-korrupte-polizisten-in-glasgow.950.de.html?dram:article_id=306575 oder gleich hier zum Reinhören.

 

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