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Zwischen Kleist und Grisham

Der Berliner Anwalt Ferdinand von Schirach ist bisher mit zwei Story-Bänden in Erscheinung getreten, die bei Kritik und Publikum äußerst erfolgreich waren, und ihm sogar den Kleist-Preis einbrachten. Mit »Der Fall Collini« debütiert von Schirach nun als Roman-Autor. Das Buch um einen jungen Strafverteidiger stellt sich deutlich in die Tradition der Gerichtsthriller, wie man sie von Scott Turow oder John Grisham kennt, ist aber nicht nur schlanker, sondern auch dünner als die Texte der populären US-Autoren.

Von Thomas Wörtche

 

Der Fall Collini

Das Beste an Ferdinand von Schirachs Romanerstling »Der Fall Collini« ist, dass das Buch nicht richtig schlecht ist. Allerdings ist es auch nicht besonders gut: Ein schmaler Roman über einen jungen Anwalt in Berlin, der als Pflichtverteidiger seinen ersten Mandaten bekommt. Der hatte anscheinend ohne Motiv im Hotel Adlon einen berühmten Industriellen erschossen und dann mit den Füßen zertrampelt. Der Mörder, Collini, ein älterer, völlig unauffälliger italienischer Gastarbeiter, schweigt beharrlich. Der Zufall will es jedoch, dass das Opfer ein guter alter Familienfreund unseres Junganwaltes war, für den er fast väterliche Gefühle hegte. Das ist der moralische Konflikt des Romans: Soll er den Mörder seines alten Freundes verteidigen, kann man das von ihm verlangen? Sein Anwalts-Ethos gewinnt, die Handlung des Buches muss weitergehen. Unser Anwalt übernimmt die Verteidigung und es gelingt ihm, durch hartnäckiges Recherchieren, unter Zurückweisung erheblicher Bestechungsgelder ein Motiv für die Bluttat zu finden, das - wenig überraschend - weit in der Vergangenheit, nämlich im Italien des Jahres 1943 liegt. In der entscheidenden Gerichtsverhandlung obsiegt die Gerechtigkeit, der Rechtsstaat triumphiert.

Das hört sich alles ein wenig nach Grisham im Westentaschenformat an und damit liegt man auch nicht ganz falsch. Immerhin ist Schirachs Roman schlank und kompakt, er mäandert nicht durch Nebenhandlungen und ergeht sich nicht üppigen Intrigen und Gegenintrigen. Die Prosa ist unauffällig. Sie besteht in der Regel aus anständigen deutschen Sätzen, ohne große künstlerische Formung, was angenehm kühl wirkt. Kleinere Anfälle von selbstverliebter Didaxe (wenn Schirach etwa die Haupthalle des Moabiter Gerichts nicht nur beschreibt, sondern das Beschriebene gleich auslegt: "Angeklagte und Zeugen sollen sich klein fühlen, sie sollen die Macht der Justiz fürchten.") kann man verzeihen.

Bleibt nur die Frage, warum von Schirach mit seinen bisher zwei Sammlungen von Kriminalgeschichten, die sich stilistisch und intellektuell nicht sehr von diesem Roman-Erstling unterscheiden, einen derart rasenden Erfolg im Feuilleton und beim Publikum hatte, warum seine Bücher in 30 Sprachen übersetzt sind und warum man ihm den Kleist-Preis verliehen hat.

Auch »Der Fall Collini« bietet keine überzeugende Erklärung für den Hype an. Dass der Anwalt Schirach kompetent über Verfahren, juristische Standards und andere handwerkliche Dinge erzählen kann, das setzen wir voraus. Dass das Publikum ihm dies als besonders "authentisch" abzukaufen bereit ist, ist gleichfalls okay.

Aber wenn man sich fragt, wo sein Alleinstellungsmerkmal zum Beispiel gegenüber Thomas Hettches True-Crime-Roman »Der Fall Arbogast« (um nur ein Beispiel zu nennen), liegen könnte, und wo genau sich Schirach von seinen Kollegen und Kolleginnen unterscheidet, die sich durchaus auf Niveau mit dem boomenden Genre des kriminalliterarischen Sachbuchs, mit true crime befassen, dann bleibt man ratlos.
»Der Fall Collini« ist, wie gesagt, kein schlechter kleiner Roman.

 

Ferdinand von Schirach: Der Fall Collini. Roman. Originalausgabe. München: Piper, 2011, gebunden mit Schutzumschlag, 195 S., 16.99 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2011
(Deutschlandradio Kultur,
01.09.2011
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Ferdinand von Schirachs Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1509641/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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