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Satanisches Borstentier

Ost-Texas, 1933: Der 15-jährige Richard Dale, der mit seiner Familie in den Wäldern am Ufer das Sabine Rivers lebt, steht vor der größten Herausforderung seines jungen Lebens: Ein gigantischer Keiler - ein mythisch-boshaftes Borstenvieh, in den Sagen der ländlichen Region als "Old Satan" bezeichnet - bedroht die Gemeinschaft. Mit einer Winchester und der Unterstützung seines schwarzen Freundes Abraham begibt sich der Junge auf die Jagd. Joe R. Lansdales Roman »Der Teufelskeiler« klingt nach Mark-Twain-Geschichte mit Faulkner-Touch, doch Lansdales Inszenierungskunst tickt anders.

Von Thomas Wörtche

 

Der Teufelskeiler

Der Süden der USA während der Grossen Depression. Ungefähr dort, wo Arkansas und Louisana an Ost-Texas stossen, irgendwo in den Auwäldern des Sabine River. Die Leute, die in den Wäldern am Fluss wohnen, sind arm. Sie sind hauptsächlich Selbstversorger, die von den Erträgen einer kargen Landwirtschaft leben und sich ihr Fleisch jagen müssen. Und wenn in dieser Gegend ein riesiger Keiler auftaucht und die Jagdhunde tötet, die Maisfelder niedertrampelt und auch noch die Menschen selbst mit seinen messerscharfen Hauern bedroht, dann ist so etwas ein ernsthafter Angriff auf die Existenz der Leute. Das Viech muss erlegt werden, koste es, was es wolle. Aber dieser spezielle Keiler, so geht bald die Mär, ist uralt, unsterblich, möglicherweise der Teufel, Old Satan selbst oder - im spökenkiekerischen Süden naheliegend - die Ausgeburt dunkler Magie. Der Erzähler und der Held unserer Geschichte, der 15jährige Richard Dale, wird nun durch verschiedene Umstände dazu gezwungen, das Monsterschwein zu stellen und umzubringen.

Das ist das Szenario von Joe R. Lansdale schmalem Roman "Der Teufelskeiler", im Original schlichter nur "The Boar", also Keiler ohne Teufel. Schlicht und einfach ist auch der Erzählduktus des Textes und das heisst hier: konzentriert, knapp, präzise und mit einer wunderbar minimalistisch hergestellten Poesie. Vor allem, wenn Lansdale die sonderlichen Menschen beschreibt, die diese abgelegene Weltgegend bevölkern, etwa den ururalten, schwarzen Jäger Onkel Pharao, dem der Keiler vor ewigen Zeiten die Beine zertrümmert hatte und der sich jetzt in einer Art überdachter Karre von einem dressierten Hausschwein namens Jesse ("Jesse gehört zur Familie") zum Angeln fahren lässt. Oder der Vater von Richard, der das Familienaufkommen als Ringer auf den Jahrmärkten der Umgebung aufbessert und seinen Sohn darin unterstützt, dereinst Schriftsteller werden zu können, und deswegen unterwegs ist, als der Keiler die Familie bedroht. Oder Richards schwarzer Freund Abraham, der mit Schild und Speer bewaffnet mit in den Kampf zieht.

Das hört sich bis hier hin an wie eine Mark-Twain-Geschichte mit Faulkner-Touch. Aber die Inszenierungskunst von Lansdale tickt anders. "Der Teufelskeiler" wäre auch zu lesen als die Geschichte von der Jagd auf einen wahnsinnigen Killer, so wie Lansdale die ersten, wahrhaft grusligen Auftritte von Old Satan inszeniert. Er wäre zu lesen als Initiationsgeschichte - das Töten als stolzmachendes Männlichkeitsritual; oder als Geschichte übers Überleben; oder über Menschlichkeit inmitten eine üblen, rassistischen Gesellschaft, über das große "dennoch". Und so wie Lansdale die Natur, die Landschaft, die Menschen und die Verhältnisse mit präzisen Worten und ohne didaktischen Fidelwipp schildert, spürt man seine eigene Biographie durch die Zeilen wehen. Denn der "Teufelskeiler" ist auch eine Geschichte übers Geschichtenerzählen. Richard Dale schreibt sie als fertiger Autor nieder, weil für ihn die Mordgeschichte um den Keiler und die Mordgeschichten, die er in den vom Landarzt mitgebrachten Black-Mask-, Weird-Tales- und Doc-Savage-Heftchen liest, die selben narrativen Wurzeln haben. So wie später der Autor Joe R. Lansdale mit seinen furiosen Horror- und Splatterromanen, mit den schrägen Kriminalromanen um das schwarz/weiße, schwul/straighte Duo Hap Collins & Leonard Pine und ihren gewaltsatten, komischen Abenteuern und eben mit den Geschichten aus der großen Depression deep south die populären Erzählformen zu hoher Virtuosität schleift, ohne sie "postmodern" zu beschädigen. Deswegen, und weil er an der Wichtigkeit, Genauigkeit und Ernsthaftigkeit seiner Erzählinhalte festhält, gehört Lansdale zu den weitaus interessanteren amerikanischen Gegenwartsautoren als viele feuilletonnotorische Eintagsfliegen. Also in die Traditionslinie von Ray Bradbury, Jim Thompson, W. R. Burnett und Elmore Leonard.

Ob man den "Teufelskeiler" nun als country noir bezeichnen möchte oder als "Abenteuerbuch" oder wie auch immer - für Schubladen war und ist Lansdale schon immer zu groß.

 

Joe R. Lansdale: Der Teufelskeiler. (The Boar, 1998). Roman. Aus dem Amerikanischen von Richard Betzenbichler. Deutsche Erstausgabe. Berlin: Shayol 2008, Klappenbroschur, 141 S. mit Illustrationen von Henning Ahlers, 12.90 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2009
(Deutschlandradio Kultur,
29.01.2009
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Joe R. Lansdales Roman finden Sie auf der Internetseite des Deutschlandradios unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/892078/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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