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Privatfehde im Drogenkrieg

In seinem Thriller »Tage der Toten« begleitet der US-Romancier Don Winslow den Drogenfahnder Art Keller ein Vierteljahrhundert und zeigt, wie der einst idealistische Kämpfer gegen das Verbrechen selbst zu einem Unhold mutiert. Winslow ist ein fulminanter Roman über eine Obsession mitten im politischen Irrsinn geglückt.

Von Thomas Wörtche

 

Tage der Toten

Extreme Gewalt und extreme politische Widerwärtigkeit - aus diesen nicht unproblematischen Komponenten hat der amerikanische Romancier Don Winslow siebenhundert Seiten große Literatur gemacht. »Tage der Toten« erzählt vom Rachefeldzug des Drug Enforcement Agency-Mannes Art Keller. Im notorischen "War on Drugs", den die USA seit den 1980er Jahren gegen die Rauschgift produzierenden und exportierenden Länder Lateinamerikas führt, hat Mexiko wegen der langen gemeinsamen Grenze immer einen besonderen Stellenwert.

Und so gerät Keller mit einem mexikanischen Clan von Narcotrafficantes aneinander und verstrickt, verhakt und verheddert sich in einer persönlichen Fehde auf Tragischste mit den Leuten, die seinen engsten Mitarbeiter brutal gefoltert und umgebracht haben. Sein Kreuzzug wird über die Jahre - der Roman umfasst die Zeit von 1977 bis 2004 - immer schmutziger und bösartiger. So wie auch das hehre Ziel der Drogenbekämpfung immer stärker pervertiert und der mexikanische Staat bis zur Destabilisierung korrumpiert wird - ein Prozess, dessen Auswüchse wir heute in den Nachrichten verfolgen können. Die CIA finanzierte Budgets für den Krieg gegen die Sandinistas in Nicaragua mit Drogen- und Waffenhandel; die Mafia mischte mit, auch stramm katholische Organisationen wie Opus Dei und der Malteserorden, die eigene Leute in Personalunion im US-amerikanischen Militär wie im Organisierten Verbrechen hatten.

Winslows große Kunst ist es, diese vielfältigen Hintergründe an einem enormen Figurenensemble plausibel und lebendig zu machen, gar mit poetischem Surplus auszustatten.

Neben dem Agenten Keller agiert etwa ein irischer Killer aus New York City, genauer aus Hell's Kitchen, der für La cosa nostra arbeiten muss und sich in eine Edelprostituierte verliebt, die nun wieder Keller als Informantin gegen seinen Hauptfeind, den Narco-Clan der Barreras, installiert hat. Die Barreras verdienen an allem - auch an dem Krieg, den die DEA gegen sie führt. Denn dieser Krieg ist auf beiden Seiten gewollt: Er garantiert den Narcos hohe Profite, weil das Risiko hohe Preise fordert, und den USA flexible politische Möglichkeiten, ihre machtpolitischen Interessen im "Hinterhof" Lateinamerika durchzupowern. Auf der Strecke bleiben wie immer die armen Bauern, die Landbevölkerung, die Mühlseligen und Beladenen und Menschen, die zwischen die Mühlsteine der agierenden Mächte geraten.

Winslows Roman einer Obsession mitten im politischen Irrsinn offeriert keine neuen Fakten - man kann all das, was er erzählt, aus Presse und politischer Literatur erfahren, wenn man man sich denn mit solchen Themen befasst; er konkretisiert auch den einst innovativen Ansatz, den in den 1980-er Jahren die Fernsehserie "Miami Vice" hatte - die USA genauso kriminell darzustellen wie die Drogenkartelle.

Aber Winslow schreibt kein Sachbuch. »Tage der Toten« ist ein komplexer Thriller, der nicht von Genre-Gesetzen lebt, sondern sich seine wichtigsten Komponenten aus der Realität und der conditio humana holt. Gewalt, Besessenheit, Gier, Skrupellosigkeit, Hingabe, Liebe, Loyalität und Verrat. Ein literarisches Großereignis.

 

Don Winslow: Tage der Toten. (The Power of the Dog, 2005). Kriminalroman. Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte. Deutsche Erstausgabe. Berlin: Suhrkamp, 2010, Suhrkamp Taschenbuch Nr. 4200, 689 S., 14.95 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2010
(Deutschlandradio Kultur,
19.10.2010
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Don Winslows Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1299136/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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