legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Literarische Spurensuche von Watson bis Wallander

Feldkircher Literaturtage 2009 zur aktuellen Standortbestimmung der Kriminalliteratur
Interview mit dem deutschen Krimikritiker Thomas Wörtche

Von Frauke Kühn

 

Sein Meisterdetektiv Sherlock Holmes und dessen Freund und Begleiter Dr. Watson verhalfen dem schottischen Schriftsteller Arthur Conan Doyle (1859 - 1930) zu weltweiter Berühmtheit. Als 16-Jähriger verbrachte der Autor, der später neben Edgar Allan Poe (1809-1849) als Begründer der Detektivgeschichte gelten sollte, ein Jahr an der Jesuitenschule Stella Matutina in Feldkirch und veröffentlichte erste Kurzgeschichten im "Feldkircher Anzeiger". Anlässlich des 150. Geburtstags Arthur Conan Doyles nehmen die Feldkircher Literaturtage 2009 das literarische Verbrechen genauer unter die Lupe.

Der deutsche Krimikritiker Thomas Wörtche, der neben anderen namhaften Expertinnen und Experten im Rahmen der Feldkircher Literaturtage am Theater am Saumarkt zu Gast sein wird, beschäftigt sich seit einem Vierteljahrhundert mit Kriminalliteratur. Seine Kolumnen "Leichenberg" und "Wörtches Crime Watch" sind die dienstältesten deutschen Krimi-Kolumnen. Darüber hinaus hat er u.a. im Berliner Brecht-Haus drei Jahre lang in der Reihe "Cream of Crime" jeden Monat einen Weltstar des Genres präsentiert und mit der Global-Crime-Reihe "metro" (Unionsverlag) die deutschsprachige Krimiverlagslandschaft maßgeblich geprägt. Thomas Wörtche ist Jurymitglied des 'Deutschen Krimipreises' sowie der 'KrimiWelt-Bestenliste' von Arte, Die Welt und Nordwestradio. Im folgenden Interview wirft er einen Blick auf die Anfänge, die Entwicklung und den Status Quo der Kriminalliteratur.

 

Frauke Kühn: Arthur Conan Doyles Werk umfasst historische Romane ebenso wie Lyrik oder auch Theaterstücke. Populär wurde er jedoch mit den vier Romanen und 56 Kurzgeschichten, in denen Sherlock Holmes und Dr. Watson rätselhafte Fälle aufklären. Was machte die Detektivgeschichten für das zeitgenössische Publikum so attraktiv?

Thomas Wörtche: Vermutlich sind es immer die Kleinigkeiten, die Details - die Pfeife, Deerstalker und Cape, das Gekratze auf der Geige, der treue, leicht dumpfe Freund, das Herumspielen mit dem Chemie- und Physikbaukasten, die Omnipotenzphantasie, der strikte Gut-&-Böse- Dualismus (Moriarty), die mütterlich-gestrenge Hauswirtin, die Drogen und das noli-me-tangere im Verhältnis zu Frauen. Holmes gewinnt immer, und wenn mal nicht, muss er dann doch wieder auferstehen... Das wird die Zeitgenossen so gewonnen haben, wie uns James Bond gewinnt, wenn wir alles, was nicht ist, also was normalerweise nicht der Fall ist in einem konkreten menschlichen Leben, ins Fiktionale packen....

FK: Doyle gilt, neben Edgar Allan Poe, als Begründer der 'Detektivgeschichte' und wirkte darüber hinaus mit der Arbeitsweise Holmes' richtungweisend für die damals noch junge Disziplin der Forensik. Inwiefern hat Doyle Standards für die internationale Kriminalliteratur gesetzt und wie groß schätzen Sie seinen Einfluss auf heutige Krimiautorinnen und -autoren ein?

TW: Na ja, ich glaube, man muss da wissenschaftshistorisch eher ein bisschen skeptisch sein - die Forensik hätte es vermutlich auch ohne Watson & Holmes geschafft.... Standards hat das Duo allerdings als Duo gesetzt - die Poe´sche Kombinatorik aus Dupin und "dem Erzähler" war noch zu schwach, aber das Prinzip: Held und Sidekick (der die Kamera führt, sozusagen) ist ja unendlich wirkmächtig. Das heißt: Als formale Konstellation - bis hin zu den großen Duos wie Spenser & Hawk, Modesty Blaise & Willie Garvin, Gravedigger Jones & Coffin Ed und so weiter und so fort... Nicht, dass die (und die hunderte bis tausende anderer Duos) irgendetwas Substantielles mit Holmes & Watson zu tun hätten - poetisch, ästhetisch oder was weiß ich, aber das Muster ist einfach blendend, vermutlich auch deswegen, weil diese Buddy-Struktur ganz einfach und simpel funktioniert und den Anschein hat, sie tue dies auch lebensweltlich. Beileibe nicht nur in Krimis...

FK: Seit den Anfängen der Kriminalliteratur sind gut 150 Jahre vergangen. Wo sehen Sie markante Punkte in der Entwicklungsgeschichte der Kriminalliteratur?

TW: Puuuu, jetzt müssen wir aber aufpassen, dass das hier kein Seminar wird... Gedreht haben die Kriminalliteratur meistens AutorInnen, die wissentlich oder nicht, vermeintliche Konventionen gebrochen haben - Hammett (der von "Red Harvest"), der ohne Mörder-Suche auskommt, Simenon, der die ganze conditio humana an Krimis und Nicht-Krimis unterschiedslos durchreflektierte, Friedrich Glauser mit seinem point-of-view von unten, Chester Himes mit der radikalen Komisierung noch des Grausigsten, Patricia Highsmith mit ihrem kalten Sezierblick, Jerome Charyn mit seiner Mythisierung von New York, der Mafia und der Politik, Jorge Luis Borges mit der radikalen Intellektualisierung, Derek Raymond mit seinem Tiefdunkel-noir…. Heute Autoren wie Lee Child, Leonardo Padura, Yasmina Khadra, Robert Littell... Und gerade merke ich, wie viele wichtige Autorinnen und Autoren ich in den paar Zeilen gar nicht erwähnen kann, die alle sehr entschieden und wirkmächtig der Kriminalliteratur neue spins und Drehungen gegeben haben...

FK: Mit Ihrem aktuellen Buch »Das Mörderische neben dem Leben« (1) bieten Sie den Leserinnen und Lesern einen Wegbegleiter durch die Welt der Kriminalliteratur. Gleichzeitig weisen Sie darauf hin, dass das Etikett 'Kriminalliteratur' immer wieder Texte zu einem großen Ganzen verschwimmen lasse, die mitunter nur wenige Gemeinsamkeiten aufweisen. Gibt es innerhalb dieser disparaten literarischen Texte schlüssige Differenzierungen?

TW: Klar gibt es - neben den üblichen und bekannten Subgenres - Texte, die in einer gewissen Nähe zueinanderstehen. Joseph Wambaugh hat einmal darauf hingewiesen, dass er John le Carrés "Der Spion der aus der Kälte kam" immer als Undercover-Cop Roman gelesen hat. Ich finde solche konzeptuellen Nachbarschaften und manchmal sogar dialogischen Verhältnisse viel faszinierender. Wie schauen sich Autoren die Welt an? Was machen sie zum Thema, was lauthals nicht usw.... Was ist ihnen wichtig? Nehmen Sie zwei formal und thematisch so abgrundtief unterschiedliche Schriftsteller wie Ross Thomas und Jerome Charyn. ABER: Beide erklären nichts, beide verlassen sich auf die Intelligenz ihres Publikums, zu merken, wie sie - jeweils - auf die kriminell verfassten Wirklichkeiten reagieren... Ein paar Scorsese-Filme ("Departed", z.B.) ticken auch so... Das ist spannend und generiert Gemeinsamkeiten und damit auch Trennlinien zu anderen Konzepten, die möglicherweise etwas ganz anderes meinen, wenn sie von Kriminalliteratur reden...

FK: Die Kriminalliteratur gehört weltweit zu der meistgelesenen Literatur. Ein Drittel aller in Deutschland pro Jahr verkauften belletristischen Bücher sind Krimis. Wie erklären Sie sich diesen konsequenten Erfolg bei Leserinnen und Lesern?

TW: Na, so konsequent ist er nun auch nicht, der Erfolg... Denn was ich als gelungene Kriminalliteratur bezeichnen würde - und, meine Güte, nun wirklich nicht ich alleine, sondern eine durchaus sehr qualifizierte und starke Minderheit-, wird ja gerade NICHT auf so breiter Basis gelesen. Oder schon wieder nicht mehr, oder immer noch nicht... Schauen Sie mal, wie viele wunderbare AutorInnen keine Verlage mehr finden - deutsche und ausländische. Mir ist allerdings in den letzten Jahren des Krimi-Booms kaum ein Schrott-Text begegnet, der KEINEN Verlag gefunden und der dann obendrein nicht noch irgendwelche Befürworter in feinen Blättern und Sendern gefunden hätte. Es ist schon arg, arg komisch, auch wenn´s arg, arg traurig ist...

FK: Nicht nur als Krimi-Kritiker, sondern auch als Jurymitglied des 'Deutschen Krimipreises' oder der 'KrimiWelt-Bestenliste' von Arte, Die Welt und Nordwestradio trennen Sie regelmäßig die Spreu vom Weizen. Welche Elemente vereint ein Kriminalroman, den Sie mit intellektuellem Genuss lesen?

TW: Mein intellektueller Genuss ist ein putziges Kerlchen... Er reagiert fröhlich auf Grobreize, wenn sie wirklich welche sind und nicht nur "buuuh" machen - also von Rex Miller bis Christa Faust, Charlie Huston oder Roger Smith... Dann wieder erfreut er sich an fein gesponnenen, delikat geschriebenen, subtil überlegten und gemein erdachten Büchern - wie die von Pablo de Santis oder Heinrich Steinfest. Grober Unfug auf gnadenlos gutem Niveau wird bei Carl Hiaasen und Gisbert Haefs so sehr gefeiert wie bei Verissismo etc. Bei allem Eklektizismus - nichts ist fahler wie der haute goût des nur Prätendierten, Gewollten, auf Beeindruckung, Betroffenheit oder den feuilletonistischen Zeitgeschmack hin gerichteten Zeugs... Dann quasselt es und quakts, nicht nur im Blätterwald und Klagenfurt und Talkshows, auch das Papier dieser Dinger raschelt besonders knistrig...

FK: Seit einigen Jahren setzen sich auf den Bestsellerlisten immer häufiger deutschsprachige Krimiautorinnen und -autoren auch gegen international etablierte Namen durch. Worin zeigt sich die Qualität der zeitgenössischen deutschsprachigen Kriminalliteratur und wie steht es um deren Nachfrage im Ausland?

TW: Buy German ist natürlich toll…. Und für die Verlage billiger und noch jeder Journalist schreibt lieber über Deutsches, und die Leute finden´s im Moment toll.... Und dann gibt es, wie in jeder Generation, ein paar herausragende AutorInnen - im Moment Heinrich Steinfest, Christine Lehmann, Friedrich Ani & Co. - und die Marketing-Möglichkeiten sind einfach besser geworden, um richtig laut zu werden.... Singuläre Erfolge wie Frau Schenkels "Tannöd" darf man nicht als Teil eines Trends, einer Konjunktur oder wie auch immer missverstehen... solche im Grunde rational nicht erklärbaren Ausreißer gibt es immer wieder, ob Krimi oder nicht. Trend sind eher Projekte wie Schätzings "Schwarm" - da denke ich, dass der enorme Erfolg auch daher rührt, dass dieses Buch - auch sprachlich, schauen Sie sich seine Idiomatik an: Polarbär, z.B.- sich liest und anfühlt wie eine mittelprächtige Übersetzung aus dem Amerikanischen...., oder die Bücher von Fitzek, sozusagen globale Groß-Themen-Thriller, wie es sie auch schon immer gab... Und natürlich heulen heute die Claques jedes mittelmäßigen Autors vor Begeisterung, wenn er irgendwo im Ausland ein Verläglein gefunden hat - in der Generation Biermann, Haefs & Co. war so was noch Anlass wildester Neidorgien und Hassgesänge... Die heutige Nachfrage im Ausland hat womöglich ein klein wenig angezogen, aber nicht wegen spezifisch deutscher Eigenschaften, sondern weil das Verlagsgeschäft auch in Angelsachsien anfängt, gerade mal ein wenig durchlässiger zu werden für books from abroad. Aber natürlich reden wir immer noch von einem winzigen Prozentsatz...

FK: Sowohl in Deutschland als auch in Österreich wächst das Interesse an Ruhrpott-, Eifel- oder auch Weinviertelkrimis stetig an. Ist der 'Regionalkrimi' eine Besonderheit der aktuellen deutschsprachigen Kriminalliteratur oder versteckt sich dahinter ein Trend, der auch in anderen Krimikulturen beobachtet werden kann?

TW: Das ist, man muss es befürchten, sehr deutsch... Natürlich müssen (fast) alle Krimis irgendwo spielen... Ach, je... ein Asturien-Krimi, ein Algerien-Krimi, ein Kongo-Krimi - iiiigitt, letzteren nicht, das is ja so gräulich dort... Local knowledge ist natürlich auch international angebracht, die Leute wissen ja auch dort, über was sie schreiben, aber als losgelöstes Kriterium - na ja, das ist schon ein bisschen sehr mager...

FK: Sie beschäftigen sich seit 25 Jahren mit der deutschsprachigen sowie internationalen Kriminalliteratur und gelten als der renommierteste deutsche Krimitheoretiker und -kritiker. Welche Veränderungen in der Wahrnehmung der Kriminalliteratur aus wissenschaftlicher und publizistischer Sicht konnten Sie in den letzten Jahren beobachten?

TW: Na ja, es gab die langen Jahre der Ignoranz und Ahnungslosigkeit und höchstens ein literatursoziologisches, aber kein ästhetik-theoretisches Interesse am Krimi - er darbte so dahin, kreativ, publizistisch. Das änderte sich in den 80ern ein bisschen - auf allen Ebenen. Wissenschaft ist ja ein langsames Gefährt, insofern nimmt sie jetzt so allmählich Fahrt auf - ich denke, dass das Niveau des wissenschaftliches Arbeiten zur Kriminalliteratur so ganz allmählich merklich besser werden wird, zumindest weiß ich von zwei oder drei Dissertationen, die weit überdurchschnittlich sein werden und wirklich mal Erkenntnisfortschritte bringen....
Publizistisch hat sich ja auch eine Menge getan - und auch wieder nicht. Trotz "KrimiWeltBestenliste" und anderen Qualitäts-Offensiven -Krimijahrbuch etc. - findet in den "Leitmedien" immer noch keine qualifizierte "Krimi-Kritik" statt, bzw. ist sie dort marginalisiert. Natürlich gibt es auch im deutschsprachigen Raum - wie überall - ein paar einschlägige Blogs, die aber nur in einem oder zwei Ausnahmefällen wirklich ernstzunehmende Positionen haben. Der Rest ist ziemlich unfreiwillig komische Simulation von "Kritik" oder "Branchenkenntnis" oder gar "Literaturwissenschaft". Schade, aber vielleicht wird´s ja noch... Ansonsten gibt es natürlich jede Menge von Werbung, die sich redaktionell tarnt.
Aber ja, doch, all at all, ist das Gesamtbild ein wenig heller geworden, wird sich aber, wenn der Boom vorbei ist, wieder eintrüben.

FK: Sie waren Initiator und bis 2007 Herausgeber der Krimi-Reihe metro im Unionsverlag und haben im Zuge dessen 55 internationale Krimiautorinnen und -autoren für den deutschen Sprachraum entdeckt. Welche dieser Entdeckungen war für Sie persönlich die bedeutendste?

TW: Kann man so nicht sagen.... Ich war und bin froh und glücklich, Kalibern wie Leonardo Padura, Garry Disher, Bill Moody, Hannelore Cayre, Pablo de Santis, Celil Oker, Christopher G. Moore und und und unterstützen zu können, zu festen Größen auf dem deutschsprachigen Markt zu werden... Diejenigen, die ich persönlich schon kannte oder durch die gemeinsame Arbeit kennen lernen konnte, sind zu guten Freunden geworden, weit über das Professionelle hinaus. Das ist, in der Tat, für mich ganz persönlich bedeutend.

FK: Worin begründet sich Ihre Vorliebe für Kriminalliteratur und haben Sie einen aktuellen kriminalliterarischen Geheimtipp?

TW: Ich lese die Dinger halt gerne, die auf Niveau erzählen und etwas zu erzählen haben... und ich lese genauso gerne Wittgenstein und Comics und Romane aus aller Welt...
Mit großer Begeisterung habe ich gerade einen sehr bösen, klugen und ausgekochten Roman gelesen, irgendwo zwischen Cop Novel und Polit Thriller, das in Montreal spielt und von dem kanadischen Autor Trevor Ferguson unter dem aka John Farrow geschrieben worden ist: "Eishauch". Der Roman sieht aus wie ein durchschnittlicher Taschenbuch-Thriller, ist es aber nicht, sondern ein ganzes starkes Teil zum Thema: Wie kriminell darf Polizei sein, um wirklich gegen Kriminelle etwas ausrichten zu können.

 

© Frauke Kühn, 2009
(Kultur.
Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft.
29.04.2009
)

 

(1) Thomas Wörtche: Das Mörderische neben dem Leben. Ein Wegbegleiter durch die Welt der Kriminalliteratur. Originalausgabe. Lengwil-Oberhofen: Libelle, 2008, kartoniert, 203 S., 19.90 Euro (D).
[zurück]

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen