legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Die Gunst der Justitia

John Grishams neuer Roman »Berufung« beginnt dort, wo andere Romane aufhören - dem Sieg der Guten gegen die Bösen. Die Ärmchen zwar tief in der Klischeekiste vergraben, illustriert Grishams Buch jedoch in schnörkelloser Kenntlichkeit: Wie kauft man sich ein Gericht?

Von Thomas Wörtche

 

Berufung

Sagen wir mal so: Ein Sprachkunstwerk ist "Berufung", der neue Roman von John Grisham, sicher nicht. Aber hat das jemand ernstlich erwartet, bei Grishams grossem, aber schlichten Dauerthema, David gegen Goliath?

In Bowmore, Mississippi, sterben die Leute wie Fliegen an Krebs. Keine Frage - eine Pestizid-Fabrik, die zur mächtigen Trudeau-Gruppe gehört, hat jahrzehntelang das Grundwasser vergiftet. Die Fabrik ist inzwischen längst nach Mexiko umgezogen, wo sie noch billiger produzieren kann und noch weniger von Umweltgesetzen belästigt wird. Denn als Belästigung empfinden die Großen und Mächtigen zunehmend die Justiz. Vor allem, wenn Schadensersatzklagen in astronomischen Höhen erfolgreich sind. Wie im Fall Bowmore - da gewinnen doch glatt die Vertreter der Klage - eine kleine, lokale Anwaltskanzlei ohne finanzielle Ressourcen und schwer idealistisch handelnd - gegen die Riesenkanzlei aus der grossen Stadt. 41 Millionen Dollar soll das ganze Schlamassel die Trudeau Gruppe kosten, wenn das Urteil durch das fast automatisch erfolgende Berufungsverfahren bestätigt wird. Und die Aktie wird in den Keller rauschen und das Investitionsklima wird sich verschlechtern. Weltuntergang fürs big business. "Kein Cent für die in Trailern hausenden Provinzler", tobt der fiese Oberboss Carl Trudeau und rüstet zum Gegenschlag.

Wo also andere Romane aufhören - mit dem Sieg der Guten gegen die Bösen - fängt Grisham diesmal erst an. Und erklärt uns, wie man sich die Gunst von Justitia kauft. Wie man unbequeme Richter einfach diskrediert - in vielen amerikanischen Bundesstaaten werden die Richter in ihre Ämter gewählt und müssen von Wählern bestätigt werden -, indem man auf niedrige Instinkte setzt und wie man ganz einfach große Geldmengen und die Medien einsetzt, um erheblich grössere Geldmengen erst zu sparen, dann zu verdienen, wenn das Recht erst einmal gekauft und gebeugt ist.

Das hört sich für einen Roman etwas spröde an, aber Grishams Buch ist ja auch eher eine Art Sachbuch mit Spielhandlung. Die Reichen sind superreich, haben superdürre, aber supersexy Frauen, sammeln durchgedrehte Kunst von "gequälten argentinischen Genies" und gewinnen am Ende immer. Die Armen sind schrecklich arm und krank und ganz furchtbar lieb und nett; ausser sie stehen im Dienst der Reichen bzw. fallen auf die Propaganda der Reichen herein - dann sind auch die Armen rechte Hinterwäldler, fies, haben was gegen Schwule, sind für die Todesstrafe und bestehen auf ihren Schußwaffen. Grisham greift bis weit über die Ellenbogen so tief in die Klischeekisten, dass man es manchmal fast nicht glauben mag …

Aber wenn er die USA als politisch zerrissen zeichnet, geteilt in "die Rechte", repräsentiert von religiösen Fundamentalisten, dem big business, den Banken, den Medien, dem militärisch-industriellen Komplex und den grossen Law Firms, den Riesenkanzleien - und in "die Linke", repräsentiert von Lehrern, Gewerkschaftern, Prozessanwälten (also die, die für ihre Mandanten kämpfen und nicht für ihre Profitmaximierung) dann überzeichnet er in seiner ganzen Drastik schon fast bis zur Kenntlichkeit.

Wie gesagt: Als Sprachkunstwerk wollen wir auch diesen Grisham-Roman nicht behandeln. Aber als Versuch, die unschönen Verhältnisse auf den Punkt zu bringen, dem Publikum noch ein paar fiese Tricks mehr vorzuführen und damit nicht nur zu belehren, sondern trotzdem zu unterhalten - denn man will ja wissen, wie's ausgeht, wenn man schon an der Angel hängt -, kann man "Berufung" ohne Schamesröte und mit gutem Gewissen wegknabbern.

 

John Grisham: Berufung. (The Appeal, 2008). Roman. Aus dem Amerikanischen von Dr. Bernhard Liesen, Bea Reiter, Kristiana Ruhl und Imke Walsh-Araya. Deutsche Erstausgabe. München: Heyne, 2008, gebunden mit Schutzumschlag 464 Seiten, 19,95 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2008
(Deutschlandradio Kultur,
12. August 2008
)

 

Ein Gespräch mit Thomas über den Grisham-Roman finden Sie auf der Internetseite des Deutschlandradios unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/829879/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen