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Leichenberg 01/1996

 

Es gab einmal Zeiten, in denen man hoffen durfte, daß Kriminalromane die unendlich verschiedenen Wirklichkeiten dieses Planeten poetisch zum Leuchten bringen würden - und sei's in düsteren Farben. Eine Zeit lang hat das auch sehr schön funktioniert, und stellenweise funktioniert es noch immer. Aber im Großen und Ganzen scheinen solche Konzepte zurückgedrängt zu werden - oder, schlimmer, auf dem freiwillig gewählten Rückzug zu sein.

Zum Beispiel Michael Dibdin. Was hat dieser britische Autor früher für wunderbare Bücher geschrieben. Kleine, genaue und authentisch nüchterne Protokolle aus dem United Kingdom. Dann hat er mit seiner Serie um Aurelio Zen immerhin noch solides Handwerk abgeliefert. Und jetzt ein auf "Bestseller" getrimmtes Debakel: Insel der Unsterblichkeit  (Goldmann). Man nehme, natürlich, eine Mordserie quer durch die USA plus ein bißchen Waco/Texas mit Charles-Manson-Gout plus Vietnam-Trauma plus Drogen-Hallodriö. Als Held das übliche Deppele, das dann plötzlich mithineingerissen wird in den blutigen Strudel der Ereignisse (oder so ähnlich). Und am Schluß wird alles gut. Witz? Intelligenz? Literatur? Fehlanzeige. Unterhaltung? Fehlanzeige, weil man sofort weiß, wie der Hase läuft. Also "Formula Fiction"? Genau - und genau so, wie die Formel "Serial Killer" für jede Albernheit genutzt werden kann: Woanders spielt der Böse Monopoly und murkst danach Leute ab, bis eine clevere Polizistin aufs Prinzip kommt und mitwürfelt. Rochelle Mejer Krich heißt die Autorin dieses unsäglichen Schwachsinns, das Buch Die Spielverderberin  (Bastei). Und am Schluß wird alles gut. Nur die einfachen Sätze werden nicht besser. Aber wahrscheinlich produziert man diese Art Bücher für Leute, die man schon für völlig verblödet hält.

Ein bißchen geschickter auf der syntaktischen Ebene stellt sich da schon Craig Holden an. Und wenn er nicht unbedingt den Mega-Seller über Sex'n Drugs'n Violence starr im Blick gehabt hätte und dementsprechend bekloppte und überdrehte Elemente hätte einbauen müssen, wäre Gestern ist nie vorbei  (Droemer Knaur) vielleicht ein ganz brauchbares Buch über die gegenseitige Abhängigkeit von Drogengeschäft und Anti-Drogen-Branche geworden. Immerhin läßt sich vorsichtig vermuten, daß Mr. Holden schreiben kann. Ob's was wird, wird das nächste Buch zeigen. Rein technisch gesehen "schreiben" kann ohne Zweifel Delacorta (eigentlich Daniel Odier aus der Schwyz, od'r), der seit dem Drehbuch zu "Diva" immer wieder mit flockig-poppigem Fidelwipp nervt. So auch in der verzweifelten Geste des Berufsjugendlichen mit Die Rapper vom Babylon Beach  (Piper). Technischer Leerlauf im Trend der Zeit, diesmal: Voodoo.

Aus der Welt der kernigen Naturburschen das neue Buch von John Straley: Giftiges Gold  (rororo). Im umweltversauten Alaska macht Kriminalität noch Sinn, dort hat sie einen Nährboden, aus dem man kernige, robuste und wackere Kriminalromane machen kann, die gar nicht erst versuchen, prätentiös zu sein.

Aus deutschen Landen kommt eine kleine Kostbarkeit: Kriminalerzählungen, hart an der Grenze zum Phantastischen, in einem ganz eigenen Ton irgendwo zwischen Jean Paul und E.T.A. Hoffmann, die deswegen noch lange keine albernen 'Period-Pieces' sind: Ritter, Tod und Teufel  von Gerhard Neumann (Verlag Juco Gmbh, Halle). Sprachlich virtuos und an eine deutsche Erzähl-Tradition knüpfend, die mit dem Kriminalroman zunächst nichts zu tun zu haben scheint (nein, das "Frl. v. Scuderi" ist kein Krimi!).

© Thomas Wörtche

 

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