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Leichenberg 02/2002

 

Die Kreuzung von historischen Romanen und Kriminalromanen hat viel Unfug hervorgebracht. Meistens wird ein alter, zopfiger Krimiplot einfach in ein anderes Milieu verlegt: In die Bronzezeit, in ein mittelalterliches Kloster oder ins London des 18. Jahrhunderts. Die werden dann fein ausstaffiert, da sitzt jedes Brokathemdchen, jedes Juwel auf dem Dolch. Aber das, was fremde Zeiten ausmacht, die anderen Weltbilder nämlich, die andere Semantik von Texten und Zeichen, das fällt bei diesen Kostümfesten einfach weg. Man möchte ja das pp. Publikum nicht überwölben. Das gilt für 98% dieser Produkte. Aber auch auf höherem Niveau kann man scheitern, wie David Madsens Der Zwerg, der Papst und die Heiligkeit (dtv) zeigt. Madsens Kontextkenntnisse, mit denen er den Vatikan Leos des X. zeichnet, sind zwar erstaunlich, aber dennoch geraten seine »Memoiren eines gnostischen Zwergs« (so heisst das englische Original von 1995) zu einer Porno-Sado-Foltershow mit Polit-Thriller- und Vigilanten-Roman-Elementen. Devianz war halt totschick in den 90ern. Und sei's die der vermeintlichen Renaissance.

Vergnüglicher ist da schon Gisbert Haefs' Roma mit dem seltsamen Untertitel Der erste Tod des Marc Aurel (Diana). Daß dem so ist, liegt an Haefs` Sprachgewalt und seiner Fähigkeit, die Antike nicht nur als Bühnenbild zu inszenieren, sondern mit viel fremdartiger Substanz zu versehen. Das heisst: Die Leute verhalten sich ungefähr so, wie wir mit guten Gründen vermuten dürfen, dass sich Leute im 2. Jahrhundert verhalten haben. Sie sprechen so, sie denken so. Und da hat man auch Freude am Plot, bei dem es um ein Attentat auf den Stoiker-Kaiser Marc Aurel geht. Oder um mehr? Ein wunderbares Buch, dass auch intelligenten Leser diebisch Spaß macht.

Stoff für historische Romane sind mittlerweile die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. London war die Boom-City dieser Zeit, egal, ob man seine Kohle mit Derivaten oder chemischen Substanzen machte. Termingeschäfte von John Barker (DuMont) bilanziert noch einmal sehr eindringlich die Atmosphäre einer Epoche, die Lügen, Betrügen, Heucheln, Rauben und Existenzvernichten gesellschaftsfähig und gesellschaftspolitisch erprießlich gemacht hat. Ein schöner Roman gegen das kurze Gedächtnis.

Besser dem Gedächtnis verborgen geblieben wäre vielleicht Andrea Camilleris erster Kriminalroman (geschrieben 1967, in Italien gedruckt 1978): Hahn im Korb (Piper). Commissario Montalbano gab es damals noch nicht, dafür einen nahen Verwandten von ihm, der Corbo heisst und in einem sizilianischen Städtchen an der These bastelt, es seien halt immer doch die allgemein menschlichen Leidenschaften, und nicht die Strukturen, die zu Mord und Totschlag führen. Gutmütig gesagt: Eine eher naive Vorstudie zu den späteren Erfolgen.

Um ein schweres Kaliber handelt es sich bei Astrid Paprottas Sterntaucher (Eichborn). Ein in sehr eigenwilliger und ausgefuchster Prosa geschriebener Kriminalroman um ein Familiendrama, das von der tiefen Auslotung der seelischen Verfassung der Protagonisten lebt. Dass die Aussenwelt, so wie sie nunmal funktioniert (abseits des Schicksals, nämlich an der angeblich banalen Oberfläche der Polizeiarbeit) auch die Innenwelt entscheidend prägt, das verschwindet aber leider in den seelischen Schlünden. Deswegen hat Paprotta einen ur-deutschen Kriminalroman geschrieben. Immerhin verdient er den Namen.

Der Simenon des Monats: Maigret contra Picpus (Diogenes). Eine Studie über den Hochsommer in Paris und über die Herzenskälte seiner Bewohner.

 

© Thomas Wörtche, 2002

 

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