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Leichenberg 03/2010

 

Schneller als  der Tod

Am Ende steht eine der irrsten "Wie-komme-ich-aus-dieser-Situation-raus"-Nummern der Literaturgeschichte. Martial body art, mehr wird nicht verraten. Josh Bazells Roman Schneller als der Tod (S. Fischer), der so endet, ist sowieso ein irrsinniges Buch. Es ist die Geschichte vom Mafia-Killer Pietro Brnwa alias Dr. Peter Brown, der im Zeugenschutzprogramm des FBI Internist wurde und jetzt im abgeranzten Manhattan Catholic Krankenhaus arbeitet, bis er einen moribunden Mobster vor sich hat, der ihn von früher kennt. So beginnt eine Tour de force: Durch den durchgeknallten Klinikalltag; durch Gebräuche, Riten und Sitten von La Cosa Nostra; durch großzügig dosierte Brutalität und erlesene Grausamkeit; durch Zynismus, Menschenfeindlichkeit und Korruption; durch die großen, ewigen Themen Liebe, Verrat, Hass und Verkommenheit. Kleinere Schlenker und Ausflüge in die gegenseitige Bedingtheit von Literatur und Medien und was das alles mit uns Lesern macht. Und schließlich erlaubt sich Bazell noch ein paar bittere Streiflichter auf Auschwitz als theme park. Das hört sich schwer nach meta-postmoderner Spielerei an. Ist es beinahe auch, weil Bazell flink zwischen Satire, Realismus, Parodie und finsterstem Ernst hin- und herschaltet. Aber die Story und die Realien tragen - sie oszillieren zwischen großer Komik und zartem Sentiment. Ein sehr wunderliches, grandioses Buch.

Wunderlich auch dieser Titel: Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen. Das hört sich ein wenig arg witzisch an, aber so heißt der Roman des Isländers Hallgrímur Helgason (Tropen) nun einmal wirklich. Nur witzisch ist das Buch nicht, sondern komisch. Helgason erzählt einen fast lupenreinen Entwicklungsroman, in dessen Verlauf ein Profi-Killer aus verwickelten Gründen die Identität eines fundamentalchristlichen Fernsehpredigers annimmt und als solcher auf dem anscheinend beschaulichen Island landet. Dort muss der New Yorker Stadtneurotiker mit Balkankriegstrauma ein anderer Mensch werden. Das ist in der Tat komisch, aber eben in dem Sinn, dass die Welt umgestülpt werden muss, um sie erkennbar zu machen. Witzig und ausgekocht sind Figuren, Situationen und Dialoge sowieso. Aber nie harmlos und humorig. Das Buch kommt zwar hip und szenig daher, aber es ist einfach nur ein ziemlich kluger und guter Roman.

Russische Freunde

Klug und gut ist traditionell Matti Rönkä mit seinen Romanen um den Grenzgänger zwischen Finnland und Russland, Viktor Kärppä. Russische Freunde (Lübbe) heißt das neue Buch und genau darum geht es: Um "Freunde", die die Firmen unseres Helden einfach so mal übernehmen wollen. Ein Roman über die ganz unspektakuläre Wirtschaftskriminalität im Baltikum, an der Schnittstelle von EU und Russland. Also "unsere Art von Globalisierung", wie ein geschniekelter und gebügelter russischer Gangster mit penibel aufgeräumter Aktentasche und garantiert ohne Alkoholproblem sich amüsiert. Rönkäs Erzählhaltung ist stets deeskalierend und deswegen so interessant und wirklich spannend.

Was man nun von Stadt der Verlierer, dem Romanerstling von Daniel Depp (C. Bertelsmann) nicht so direkt sagen kann. Daniel Depp ist der Halbbruder von Johnny Depp und nur ganz bösartige Gemüter würden behaupten, dieser schicke Marketing-Aufhänger sei der ganze Daseinsgrund des Buches. Dabei ist die nette Geschichte über den rodeoreitenden Ex-Stuntman und Privatdetektiv David Spandau, der sich inmitten von Hollywood-Größen seinen Lebensunterhalt verdienen muss, sehr entspannt und flüssig erzählt. Der Plot und die Erzähldramaturgie sind zwar unterirdisch, und natürlich hat das Buch nichts in der Gegend wirklich bösartiger Hollywood-Romane von Nathaniel West bis Robert W. Campbell zu suchen, aber irgendwie liebenswert ist es doch, wie Spandau gegen la Mafia kämpft und Hollywood als das entlarvt, was es ist: Hollywood.

Nebel am Montmatre

Richtig knuffelig ist der erste Teil einer Hommage-Trilogie an Léo Malet. Sein Held Nestor Burma mochte ein junger Poet und Gelegenheitsdetektiv wie Pipette (Pfeifchen) gewesen sein: Nebel am Montmatre von Patrick Pécherot (Nautilus). Notorisch plotschwach wie die Nestor-Burma-Romane von Malet, aber den Zeitgeist sehr charmant und amüsant einfangend. Und wir lernen, wie André Breton vom automatischen Schreiben zum automatischen Schiessen fand. Ein richtig lieber und unschuldiger kleiner Roman. Fein.

 

© Thomas Wörtche, 2010

 

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